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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Bismarck und Prokesch-Gsten

Aber diese Wahrheit ist wenigstens einmal, ein einziges Mal anch bei
Bismarck durchgedrungen. Auf die Kunde von Prokeschs bevorstehender Ab¬
berufung, die ihn offenbar in hohem Maße überrascht und stutzig gemacht hat,
schreibt er plötzlich an den Minister (Poschinger II 173): "entweder will man
ihn auf eine schonende Weise aus einer Stellung beseitigen, in welcher er nicht
zur Zufriedenheit gewirkt hat, oder man beabsichtigt hier Dinge, für deren Aus¬
führung man eines minder wohlwollenden und gewissenhaften Charakters als
des Herrn von Prokesch bedarf."

Man kann diese Worte nur mit dem größten Erstaunen lesen: sie wirken
durchaus wie ein Aus-der-Rolle-Fallen, wie ein Vergessen, fast wie ein Druck¬
versehen. Ein einsames Eiland in einem Meer! Psychologisch erklären wird
man es wohl nie können, wie Bismarck dazu gekommen ist, dies eine Mal sich
selbst in seinen tausend anderen Kundgebungen Lügen zu strafen. Aber das
eine darf man wohl sagen: wenn man sieht, wie unendlich schwer es ihm an¬
kommt, einmal gerecht gegen Prokesch zu sein (was er selbst bezeugt durch
Wendungen wie "die Gerechtigkeit muß ich ihm widerfahren lassen", ja selbst
durch gelegentliches Halbwiederzurücknehmen oder Einschränken derartiger Zu¬
geständnisse), so wird man das Gewicht und die Tragweite jener Worte gar
nicht zu hoch veranschlagen können. Sie wiegen in der Tat zentnerschwer, sie
wiegen die ganze Summe der Anklagen und Schmähungen auf, sie sind eine
ungewollte Ehrenerklärung für Prokesch. Sie bedeuten für ihn eine restitutic"
in inteZrum nach der einzigen Seite, auf welcher er sich wirklich Blößen gegen
Bismarck gegeben hatte, und wir dürfen dessen Worte ausbeuten und erweitern
dahin, daß wir sagen: was Prokesch als österreichischer Diplomat in Frankfurt
gesündigt hat, hat sündigen müssen, ist mit so vielem anderen von der Zeit
hinweggeschwemmt worden. Was er in seinem ganzen übrigen Leben als Staats¬
mann, als Militär, als Forscher, als Schriftsteller, als Mensch geleistet und
gewesen, sichert ihm bleibenden Ruhm und ein dankbares Andenken. Daß dies
beides nicht mehr nur auf seine engeren Landsleute sich zu beschränken braucht,
das dankt er und das danken wir dem Manne, der ihn einst so leidenschaftlich
bekämpft, der ihn selbst noch in dem Augenblick, da er Österreich die Bruder¬
hand reichte, an dieser Sinnesänderung nicht teilnehmen lassen wollte, und der
doch durch die innige Verbindung, in die er uns mit dem Nachbarreiche ge¬
bracht, an erster Stelle dahin gewirkt hat, daß wir uns an dessen besten Söhnen
wie an denen des eigenen Landes mit erfreuen können. Unter ihnen aber wird
Anton Prokesch auf immer einen ehrenvollen Platz für sich in Anspruch nehmen
dürfen.




wältigend vornehmen Denkungsart" (Deutsche Literaturzeitung, Ur. 44, 19V9. Allgemeine
Zeitung, 1896, 2. Juni) sich gewonnen. Ersterer erklärt zugleich mich ganz im Sinne obiger
Darstellung, wie es kommen konnte, bald Bismarck ihn in so ganz anderem Lichte sah.
Bismarck und Prokesch-Gsten

Aber diese Wahrheit ist wenigstens einmal, ein einziges Mal anch bei
Bismarck durchgedrungen. Auf die Kunde von Prokeschs bevorstehender Ab¬
berufung, die ihn offenbar in hohem Maße überrascht und stutzig gemacht hat,
schreibt er plötzlich an den Minister (Poschinger II 173): „entweder will man
ihn auf eine schonende Weise aus einer Stellung beseitigen, in welcher er nicht
zur Zufriedenheit gewirkt hat, oder man beabsichtigt hier Dinge, für deren Aus¬
führung man eines minder wohlwollenden und gewissenhaften Charakters als
des Herrn von Prokesch bedarf."

Man kann diese Worte nur mit dem größten Erstaunen lesen: sie wirken
durchaus wie ein Aus-der-Rolle-Fallen, wie ein Vergessen, fast wie ein Druck¬
versehen. Ein einsames Eiland in einem Meer! Psychologisch erklären wird
man es wohl nie können, wie Bismarck dazu gekommen ist, dies eine Mal sich
selbst in seinen tausend anderen Kundgebungen Lügen zu strafen. Aber das
eine darf man wohl sagen: wenn man sieht, wie unendlich schwer es ihm an¬
kommt, einmal gerecht gegen Prokesch zu sein (was er selbst bezeugt durch
Wendungen wie „die Gerechtigkeit muß ich ihm widerfahren lassen", ja selbst
durch gelegentliches Halbwiederzurücknehmen oder Einschränken derartiger Zu¬
geständnisse), so wird man das Gewicht und die Tragweite jener Worte gar
nicht zu hoch veranschlagen können. Sie wiegen in der Tat zentnerschwer, sie
wiegen die ganze Summe der Anklagen und Schmähungen auf, sie sind eine
ungewollte Ehrenerklärung für Prokesch. Sie bedeuten für ihn eine restitutic»
in inteZrum nach der einzigen Seite, auf welcher er sich wirklich Blößen gegen
Bismarck gegeben hatte, und wir dürfen dessen Worte ausbeuten und erweitern
dahin, daß wir sagen: was Prokesch als österreichischer Diplomat in Frankfurt
gesündigt hat, hat sündigen müssen, ist mit so vielem anderen von der Zeit
hinweggeschwemmt worden. Was er in seinem ganzen übrigen Leben als Staats¬
mann, als Militär, als Forscher, als Schriftsteller, als Mensch geleistet und
gewesen, sichert ihm bleibenden Ruhm und ein dankbares Andenken. Daß dies
beides nicht mehr nur auf seine engeren Landsleute sich zu beschränken braucht,
das dankt er und das danken wir dem Manne, der ihn einst so leidenschaftlich
bekämpft, der ihn selbst noch in dem Augenblick, da er Österreich die Bruder¬
hand reichte, an dieser Sinnesänderung nicht teilnehmen lassen wollte, und der
doch durch die innige Verbindung, in die er uns mit dem Nachbarreiche ge¬
bracht, an erster Stelle dahin gewirkt hat, daß wir uns an dessen besten Söhnen
wie an denen des eigenen Landes mit erfreuen können. Unter ihnen aber wird
Anton Prokesch auf immer einen ehrenvollen Platz für sich in Anspruch nehmen
dürfen.




wältigend vornehmen Denkungsart" (Deutsche Literaturzeitung, Ur. 44, 19V9. Allgemeine
Zeitung, 1896, 2. Juni) sich gewonnen. Ersterer erklärt zugleich mich ganz im Sinne obiger
Darstellung, wie es kommen konnte, bald Bismarck ihn in so ganz anderem Lichte sah.
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[0086] Bismarck und Prokesch-Gsten Aber diese Wahrheit ist wenigstens einmal, ein einziges Mal anch bei Bismarck durchgedrungen. Auf die Kunde von Prokeschs bevorstehender Ab¬ berufung, die ihn offenbar in hohem Maße überrascht und stutzig gemacht hat, schreibt er plötzlich an den Minister (Poschinger II 173): „entweder will man ihn auf eine schonende Weise aus einer Stellung beseitigen, in welcher er nicht zur Zufriedenheit gewirkt hat, oder man beabsichtigt hier Dinge, für deren Aus¬ führung man eines minder wohlwollenden und gewissenhaften Charakters als des Herrn von Prokesch bedarf." Man kann diese Worte nur mit dem größten Erstaunen lesen: sie wirken durchaus wie ein Aus-der-Rolle-Fallen, wie ein Vergessen, fast wie ein Druck¬ versehen. Ein einsames Eiland in einem Meer! Psychologisch erklären wird man es wohl nie können, wie Bismarck dazu gekommen ist, dies eine Mal sich selbst in seinen tausend anderen Kundgebungen Lügen zu strafen. Aber das eine darf man wohl sagen: wenn man sieht, wie unendlich schwer es ihm an¬ kommt, einmal gerecht gegen Prokesch zu sein (was er selbst bezeugt durch Wendungen wie „die Gerechtigkeit muß ich ihm widerfahren lassen", ja selbst durch gelegentliches Halbwiederzurücknehmen oder Einschränken derartiger Zu¬ geständnisse), so wird man das Gewicht und die Tragweite jener Worte gar nicht zu hoch veranschlagen können. Sie wiegen in der Tat zentnerschwer, sie wiegen die ganze Summe der Anklagen und Schmähungen auf, sie sind eine ungewollte Ehrenerklärung für Prokesch. Sie bedeuten für ihn eine restitutic» in inteZrum nach der einzigen Seite, auf welcher er sich wirklich Blößen gegen Bismarck gegeben hatte, und wir dürfen dessen Worte ausbeuten und erweitern dahin, daß wir sagen: was Prokesch als österreichischer Diplomat in Frankfurt gesündigt hat, hat sündigen müssen, ist mit so vielem anderen von der Zeit hinweggeschwemmt worden. Was er in seinem ganzen übrigen Leben als Staats¬ mann, als Militär, als Forscher, als Schriftsteller, als Mensch geleistet und gewesen, sichert ihm bleibenden Ruhm und ein dankbares Andenken. Daß dies beides nicht mehr nur auf seine engeren Landsleute sich zu beschränken braucht, das dankt er und das danken wir dem Manne, der ihn einst so leidenschaftlich bekämpft, der ihn selbst noch in dem Augenblick, da er Österreich die Bruder¬ hand reichte, an dieser Sinnesänderung nicht teilnehmen lassen wollte, und der doch durch die innige Verbindung, in die er uns mit dem Nachbarreiche ge¬ bracht, an erster Stelle dahin gewirkt hat, daß wir uns an dessen besten Söhnen wie an denen des eigenen Landes mit erfreuen können. Unter ihnen aber wird Anton Prokesch auf immer einen ehrenvollen Platz für sich in Anspruch nehmen dürfen. wältigend vornehmen Denkungsart" (Deutsche Literaturzeitung, Ur. 44, 19V9. Allgemeine Zeitung, 1896, 2. Juni) sich gewonnen. Ersterer erklärt zugleich mich ganz im Sinne obiger Darstellung, wie es kommen konnte, bald Bismarck ihn in so ganz anderem Lichte sah.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/86>, abgerufen am 21.06.2024.