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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Bismarck und Prokesch-Böden

würdigen. So viele Worte, so viele Vcrkennungen. Am meisten tritt das da
zutage, wo von den allerinnerlichsten Dingen die Rede ist, vom Religiösen zum
Beispiel. Man sehe nur einmal, wie er (an Gerlach S. 63) an Prokeschs
Religionsbekenntnis herumspürt: man gewinnt den Eindruck, daß er hier an ein
Äußerliches, ein Kostümstück sich hält, weil ihm das auch nur alleroberflächlichste
Eindringen in das Seelenleben des Mannes versagt bleibt. Gerade in dem
Verhältnis der beiden zur Religion offenbart sich -- begreiflicherweise -- ihre
ganze abgrundtiefe Verschiedenheit. Wir wissen aus Prokeschs Briefwechseln, wie
tief die religiösen Probleme ihn, in ununterbrochenem geistigem und seelischem
Ringen, bis zuletzt bewegt haben, während Bismarck, nachdem er die ent¬
sprechenden Skrupel, die auch ihm in jüngeren Jahren nicht gefehlt haben, durch
die mit seiner Verlobung und Verheiratung zusammenfaltende Annäherung an
die evangelisch - kirchlichen Lehren zum Schweigen gebracht hatte, in der engen
Anlehnung an diese auch für sein ferneres Leben völlig Ruhe fand und sich
fort und fort lebhaft zum Christentum bekannte, was ihn aber z. B. nicht ab¬
hielt, einem reichlich antiken Haß so leidenschaftlich zu stöhnen, als sei nie
ein Christus in der Welt gewesen. Freilich war Bismarck dieser große Hasser
zumeist -- nicht immer -- als Patriot, wie er denn auch als solcher, über¬
haupt als Politiker, zu stark und zu einseitig in seinem Denken absorbiert
war, um sür andere Dinge, und selbst die Religion, noch Kräfte von dieser Seite
zu erübrigen.

Fast noch mehr hat man den Eindruck des zwei Männer -- zwei Welten,
wenn man sieht, wie sich Bismarck zu dem geistigen Menschen in Prokesch stellt.
Wir sind der Meinung, daß diejenigen Bismarck Unrecht tun, die ihn aus der
deutschen Geisteswelt im engeren Sinne ganz herauslösen wollen: er stand
zu deutschem Geist und deutscher Bildung etwa so, wie einzelne hochstehende
Spartaner der späteren Zeit zur hellenischen. Aber das wird man nicht leugnen
können, daß. wenn er je Anlaß zu einer solchen Verkennung gegeben hat, dies
in seinem Verhalten gegenüber Prokesch der Fall gewesen ist. Die Auffassung
Schacks, daß es gerade für uns Deutsche beschämend sei, daß unsere hervor¬
ragenden Staatsmänner nicht, wie die der Engländer, Franzosen, Italiener und
Spanier, hohe Geistesbildung und womöglich wissenschaftliche und schriftstellerische
Auszeichnung zu ihren Ruhmestiteln rechneten, hat ihm offenbar in einem
Grade ferngelegen, daß dergleichen ihm vielmehr fast als Allotria erschien. Die
beiden deutschen Staatsmänner, die jenen Typ vertraten, Radowitz und Prokesch,
haben ihn jedenfalls ganz besonders abgestoßen. Bei Prokesch scheint er keine
über das vage Gerede der Fama") hinausgehende Ahnung davon gehabt zu
haben, daß er in ihm einen der reichsten, universellsten Geister des damaligen
Europa vor sich hatte; und hätte er sie gehabt, so lehren die ganz wenigen, durch-



") Einzig dies klingt auch aus der oben angeführten offiziellen Begrüßungsansprache
heraus.
Bismarck und Prokesch-Böden

würdigen. So viele Worte, so viele Vcrkennungen. Am meisten tritt das da
zutage, wo von den allerinnerlichsten Dingen die Rede ist, vom Religiösen zum
Beispiel. Man sehe nur einmal, wie er (an Gerlach S. 63) an Prokeschs
Religionsbekenntnis herumspürt: man gewinnt den Eindruck, daß er hier an ein
Äußerliches, ein Kostümstück sich hält, weil ihm das auch nur alleroberflächlichste
Eindringen in das Seelenleben des Mannes versagt bleibt. Gerade in dem
Verhältnis der beiden zur Religion offenbart sich — begreiflicherweise — ihre
ganze abgrundtiefe Verschiedenheit. Wir wissen aus Prokeschs Briefwechseln, wie
tief die religiösen Probleme ihn, in ununterbrochenem geistigem und seelischem
Ringen, bis zuletzt bewegt haben, während Bismarck, nachdem er die ent¬
sprechenden Skrupel, die auch ihm in jüngeren Jahren nicht gefehlt haben, durch
die mit seiner Verlobung und Verheiratung zusammenfaltende Annäherung an
die evangelisch - kirchlichen Lehren zum Schweigen gebracht hatte, in der engen
Anlehnung an diese auch für sein ferneres Leben völlig Ruhe fand und sich
fort und fort lebhaft zum Christentum bekannte, was ihn aber z. B. nicht ab¬
hielt, einem reichlich antiken Haß so leidenschaftlich zu stöhnen, als sei nie
ein Christus in der Welt gewesen. Freilich war Bismarck dieser große Hasser
zumeist — nicht immer — als Patriot, wie er denn auch als solcher, über¬
haupt als Politiker, zu stark und zu einseitig in seinem Denken absorbiert
war, um sür andere Dinge, und selbst die Religion, noch Kräfte von dieser Seite
zu erübrigen.

Fast noch mehr hat man den Eindruck des zwei Männer — zwei Welten,
wenn man sieht, wie sich Bismarck zu dem geistigen Menschen in Prokesch stellt.
Wir sind der Meinung, daß diejenigen Bismarck Unrecht tun, die ihn aus der
deutschen Geisteswelt im engeren Sinne ganz herauslösen wollen: er stand
zu deutschem Geist und deutscher Bildung etwa so, wie einzelne hochstehende
Spartaner der späteren Zeit zur hellenischen. Aber das wird man nicht leugnen
können, daß. wenn er je Anlaß zu einer solchen Verkennung gegeben hat, dies
in seinem Verhalten gegenüber Prokesch der Fall gewesen ist. Die Auffassung
Schacks, daß es gerade für uns Deutsche beschämend sei, daß unsere hervor¬
ragenden Staatsmänner nicht, wie die der Engländer, Franzosen, Italiener und
Spanier, hohe Geistesbildung und womöglich wissenschaftliche und schriftstellerische
Auszeichnung zu ihren Ruhmestiteln rechneten, hat ihm offenbar in einem
Grade ferngelegen, daß dergleichen ihm vielmehr fast als Allotria erschien. Die
beiden deutschen Staatsmänner, die jenen Typ vertraten, Radowitz und Prokesch,
haben ihn jedenfalls ganz besonders abgestoßen. Bei Prokesch scheint er keine
über das vage Gerede der Fama") hinausgehende Ahnung davon gehabt zu
haben, daß er in ihm einen der reichsten, universellsten Geister des damaligen
Europa vor sich hatte; und hätte er sie gehabt, so lehren die ganz wenigen, durch-



") Einzig dies klingt auch aus der oben angeführten offiziellen Begrüßungsansprache
heraus.
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[0083] Bismarck und Prokesch-Böden würdigen. So viele Worte, so viele Vcrkennungen. Am meisten tritt das da zutage, wo von den allerinnerlichsten Dingen die Rede ist, vom Religiösen zum Beispiel. Man sehe nur einmal, wie er (an Gerlach S. 63) an Prokeschs Religionsbekenntnis herumspürt: man gewinnt den Eindruck, daß er hier an ein Äußerliches, ein Kostümstück sich hält, weil ihm das auch nur alleroberflächlichste Eindringen in das Seelenleben des Mannes versagt bleibt. Gerade in dem Verhältnis der beiden zur Religion offenbart sich — begreiflicherweise — ihre ganze abgrundtiefe Verschiedenheit. Wir wissen aus Prokeschs Briefwechseln, wie tief die religiösen Probleme ihn, in ununterbrochenem geistigem und seelischem Ringen, bis zuletzt bewegt haben, während Bismarck, nachdem er die ent¬ sprechenden Skrupel, die auch ihm in jüngeren Jahren nicht gefehlt haben, durch die mit seiner Verlobung und Verheiratung zusammenfaltende Annäherung an die evangelisch - kirchlichen Lehren zum Schweigen gebracht hatte, in der engen Anlehnung an diese auch für sein ferneres Leben völlig Ruhe fand und sich fort und fort lebhaft zum Christentum bekannte, was ihn aber z. B. nicht ab¬ hielt, einem reichlich antiken Haß so leidenschaftlich zu stöhnen, als sei nie ein Christus in der Welt gewesen. Freilich war Bismarck dieser große Hasser zumeist — nicht immer — als Patriot, wie er denn auch als solcher, über¬ haupt als Politiker, zu stark und zu einseitig in seinem Denken absorbiert war, um sür andere Dinge, und selbst die Religion, noch Kräfte von dieser Seite zu erübrigen. Fast noch mehr hat man den Eindruck des zwei Männer — zwei Welten, wenn man sieht, wie sich Bismarck zu dem geistigen Menschen in Prokesch stellt. Wir sind der Meinung, daß diejenigen Bismarck Unrecht tun, die ihn aus der deutschen Geisteswelt im engeren Sinne ganz herauslösen wollen: er stand zu deutschem Geist und deutscher Bildung etwa so, wie einzelne hochstehende Spartaner der späteren Zeit zur hellenischen. Aber das wird man nicht leugnen können, daß. wenn er je Anlaß zu einer solchen Verkennung gegeben hat, dies in seinem Verhalten gegenüber Prokesch der Fall gewesen ist. Die Auffassung Schacks, daß es gerade für uns Deutsche beschämend sei, daß unsere hervor¬ ragenden Staatsmänner nicht, wie die der Engländer, Franzosen, Italiener und Spanier, hohe Geistesbildung und womöglich wissenschaftliche und schriftstellerische Auszeichnung zu ihren Ruhmestiteln rechneten, hat ihm offenbar in einem Grade ferngelegen, daß dergleichen ihm vielmehr fast als Allotria erschien. Die beiden deutschen Staatsmänner, die jenen Typ vertraten, Radowitz und Prokesch, haben ihn jedenfalls ganz besonders abgestoßen. Bei Prokesch scheint er keine über das vage Gerede der Fama") hinausgehende Ahnung davon gehabt zu haben, daß er in ihm einen der reichsten, universellsten Geister des damaligen Europa vor sich hatte; und hätte er sie gehabt, so lehren die ganz wenigen, durch- ") Einzig dies klingt auch aus der oben angeführten offiziellen Begrüßungsansprache heraus.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/83>, abgerufen am 21.06.2024.