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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Franz Liszt

gegen seine Feinde, von größter Wahrhaftigkeit erfüllt, immer nur auf andere
bedacht, von unsagbarer, fast sträflicher Güte," so werden wir von dem Adel
des Wesens, dem gegenüber die dem Staubgeborenen nun einmal anhaftenden
Schwächen bedeutungslos erscheinen, uns nicht minder angezogen fühlen als
von der künstlerischen Potenz.

Von dem Menschen und Künstler, wie er uns zum Greifen lebendig in
dem ausgezeichneten Buche von Julius Kapp entgegentritt"), sollen also die
folgenden Blätter zunächst handeln, bevor von seinem Lebenswerk zu reden
sein wird.

Am 22. Oktober 1811 unter dem Schein des gewaltigen Kometen zu
Raiding in Ungarn geboren, mit elf Jahren eine europäische Berühmtheit,
geweiht durch den Kuß eines Beethoven, war der junge Liszt nach Paris ge¬
kommen, um seine durch Czernu und Salieri erhaltene gediegene musikalische
Ausbildung noch weiter zu vervollkommnen. Sein Spiel sowie sein liebens¬
würdiges, gewinnendes Wesen verschafften ihm überall in der Gesellschaft
Zutritt, Konzertreisen nach London und der Schweiz erhöhten seinen Ruhm,
so daß, als nach dem schon 1827 erfolgten Tode des Vaters dem sechzehn¬
jähriger die schwere Aufgabe der Erwerbung des Lebensunterhaltes für sich
und seine geliebte Mutter zufiel, er sich bald mit Anträgen so überhäuft sah,
daß ihm "kaum Zeit zum Atemholen" blieb. Damals erlebte er auch seine
erste Liebe, die zwar erwidert, aber von dem adelsstolzen Vater des Mädchens,
dem Grafen von Se. Criq, mit rascher Hand zerstört wurde. Dieser Schlag
traf seine junge Seele mit fast vernichtender Gewalt, er wollte der Welt ent¬
sagen und Priester werden, zumal ihn das ganze damalige Musiktreiben aufs
höchste anwiderte. Wie unsäglich er gelitten hat, bezeugt ein späterer Brief an
George Sand: "Um diese Zeit machte ich eine Krankheit von zwei Jahren
durch, während welcher mein ungestümes Bedürfnis des Glaubens und der
Hingabe sich an die erneuten Übungen des Katholizismus verlor. Meine
brennende Stirn beugte sich über die feuchten Stufen von Se. Vincent de Paule,
ich brachte mein Herz zum Binden und meine Gedanken zum Fußfall. Ein
Frauenbild, keusch und rein wie der Alabaster heiliger Gefäße war die Hostie,
die ich unter Tränen dem Gott der Christen darbot. Entsagung alles Irdischen
war der einzige Hebel, das einzige Wort meines Lebens." Aber die Armut,
"die alte Vermittlerin zwischen dem Menschen und dem Übel" entriß ihn seiner
Lethargie, sein Wissensdurst erwacht, der Hauch der zählenden Zeit berührt
auch ihn, und mit der ganzen Leidenschaftlichkeit seines Temperaments stürzte
er sich in die geistige und politische Bewegung jener Tage. Die Lehre
Se. Simons, deren Anschauung von Religion und Kunst er auch bei seinem
väterlichen Freunde, dem Abbe Lamennais, wieder fand, machte tiefen Eindruck
auf ihn, und der flammende Protest, den er in die Welt schleuderte, als der



*) Dr. I. Kapp, Franz Liszt. Verlag von Schuster ki. Löffler, 1909.
Franz Liszt

gegen seine Feinde, von größter Wahrhaftigkeit erfüllt, immer nur auf andere
bedacht, von unsagbarer, fast sträflicher Güte," so werden wir von dem Adel
des Wesens, dem gegenüber die dem Staubgeborenen nun einmal anhaftenden
Schwächen bedeutungslos erscheinen, uns nicht minder angezogen fühlen als
von der künstlerischen Potenz.

Von dem Menschen und Künstler, wie er uns zum Greifen lebendig in
dem ausgezeichneten Buche von Julius Kapp entgegentritt"), sollen also die
folgenden Blätter zunächst handeln, bevor von seinem Lebenswerk zu reden
sein wird.

Am 22. Oktober 1811 unter dem Schein des gewaltigen Kometen zu
Raiding in Ungarn geboren, mit elf Jahren eine europäische Berühmtheit,
geweiht durch den Kuß eines Beethoven, war der junge Liszt nach Paris ge¬
kommen, um seine durch Czernu und Salieri erhaltene gediegene musikalische
Ausbildung noch weiter zu vervollkommnen. Sein Spiel sowie sein liebens¬
würdiges, gewinnendes Wesen verschafften ihm überall in der Gesellschaft
Zutritt, Konzertreisen nach London und der Schweiz erhöhten seinen Ruhm,
so daß, als nach dem schon 1827 erfolgten Tode des Vaters dem sechzehn¬
jähriger die schwere Aufgabe der Erwerbung des Lebensunterhaltes für sich
und seine geliebte Mutter zufiel, er sich bald mit Anträgen so überhäuft sah,
daß ihm „kaum Zeit zum Atemholen" blieb. Damals erlebte er auch seine
erste Liebe, die zwar erwidert, aber von dem adelsstolzen Vater des Mädchens,
dem Grafen von Se. Criq, mit rascher Hand zerstört wurde. Dieser Schlag
traf seine junge Seele mit fast vernichtender Gewalt, er wollte der Welt ent¬
sagen und Priester werden, zumal ihn das ganze damalige Musiktreiben aufs
höchste anwiderte. Wie unsäglich er gelitten hat, bezeugt ein späterer Brief an
George Sand: „Um diese Zeit machte ich eine Krankheit von zwei Jahren
durch, während welcher mein ungestümes Bedürfnis des Glaubens und der
Hingabe sich an die erneuten Übungen des Katholizismus verlor. Meine
brennende Stirn beugte sich über die feuchten Stufen von Se. Vincent de Paule,
ich brachte mein Herz zum Binden und meine Gedanken zum Fußfall. Ein
Frauenbild, keusch und rein wie der Alabaster heiliger Gefäße war die Hostie,
die ich unter Tränen dem Gott der Christen darbot. Entsagung alles Irdischen
war der einzige Hebel, das einzige Wort meines Lebens." Aber die Armut,
„die alte Vermittlerin zwischen dem Menschen und dem Übel" entriß ihn seiner
Lethargie, sein Wissensdurst erwacht, der Hauch der zählenden Zeit berührt
auch ihn, und mit der ganzen Leidenschaftlichkeit seines Temperaments stürzte
er sich in die geistige und politische Bewegung jener Tage. Die Lehre
Se. Simons, deren Anschauung von Religion und Kunst er auch bei seinem
väterlichen Freunde, dem Abbe Lamennais, wieder fand, machte tiefen Eindruck
auf ihn, und der flammende Protest, den er in die Welt schleuderte, als der



*) Dr. I. Kapp, Franz Liszt. Verlag von Schuster ki. Löffler, 1909.
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[0604] Franz Liszt gegen seine Feinde, von größter Wahrhaftigkeit erfüllt, immer nur auf andere bedacht, von unsagbarer, fast sträflicher Güte," so werden wir von dem Adel des Wesens, dem gegenüber die dem Staubgeborenen nun einmal anhaftenden Schwächen bedeutungslos erscheinen, uns nicht minder angezogen fühlen als von der künstlerischen Potenz. Von dem Menschen und Künstler, wie er uns zum Greifen lebendig in dem ausgezeichneten Buche von Julius Kapp entgegentritt"), sollen also die folgenden Blätter zunächst handeln, bevor von seinem Lebenswerk zu reden sein wird. Am 22. Oktober 1811 unter dem Schein des gewaltigen Kometen zu Raiding in Ungarn geboren, mit elf Jahren eine europäische Berühmtheit, geweiht durch den Kuß eines Beethoven, war der junge Liszt nach Paris ge¬ kommen, um seine durch Czernu und Salieri erhaltene gediegene musikalische Ausbildung noch weiter zu vervollkommnen. Sein Spiel sowie sein liebens¬ würdiges, gewinnendes Wesen verschafften ihm überall in der Gesellschaft Zutritt, Konzertreisen nach London und der Schweiz erhöhten seinen Ruhm, so daß, als nach dem schon 1827 erfolgten Tode des Vaters dem sechzehn¬ jähriger die schwere Aufgabe der Erwerbung des Lebensunterhaltes für sich und seine geliebte Mutter zufiel, er sich bald mit Anträgen so überhäuft sah, daß ihm „kaum Zeit zum Atemholen" blieb. Damals erlebte er auch seine erste Liebe, die zwar erwidert, aber von dem adelsstolzen Vater des Mädchens, dem Grafen von Se. Criq, mit rascher Hand zerstört wurde. Dieser Schlag traf seine junge Seele mit fast vernichtender Gewalt, er wollte der Welt ent¬ sagen und Priester werden, zumal ihn das ganze damalige Musiktreiben aufs höchste anwiderte. Wie unsäglich er gelitten hat, bezeugt ein späterer Brief an George Sand: „Um diese Zeit machte ich eine Krankheit von zwei Jahren durch, während welcher mein ungestümes Bedürfnis des Glaubens und der Hingabe sich an die erneuten Übungen des Katholizismus verlor. Meine brennende Stirn beugte sich über die feuchten Stufen von Se. Vincent de Paule, ich brachte mein Herz zum Binden und meine Gedanken zum Fußfall. Ein Frauenbild, keusch und rein wie der Alabaster heiliger Gefäße war die Hostie, die ich unter Tränen dem Gott der Christen darbot. Entsagung alles Irdischen war der einzige Hebel, das einzige Wort meines Lebens." Aber die Armut, „die alte Vermittlerin zwischen dem Menschen und dem Übel" entriß ihn seiner Lethargie, sein Wissensdurst erwacht, der Hauch der zählenden Zeit berührt auch ihn, und mit der ganzen Leidenschaftlichkeit seines Temperaments stürzte er sich in die geistige und politische Bewegung jener Tage. Die Lehre Se. Simons, deren Anschauung von Religion und Kunst er auch bei seinem väterlichen Freunde, dem Abbe Lamennais, wieder fand, machte tiefen Eindruck auf ihn, und der flammende Protest, den er in die Welt schleuderte, als der *) Dr. I. Kapp, Franz Liszt. Verlag von Schuster ki. Löffler, 1909.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/604>, abgerufen am 24.07.2024.