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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Das Wiederaufleben des Mittellandkanals

Und solche neuen Gesichtspunkte sind allerdings heute vorhanden; sie liegen zum
Teil aus wirtschaftlichem Gebiete, in noch höherem Maße auf strategischen, wie
schon angedeutet. Die Verstümmelung des Mittellandkanals hat auch insofern
zu einer höchst seltsamen Schwierigkeit geführt, als die Stadt Hannover sich
mit Recht weigerte, zu einem "Endhafen" beizusteuern, da sie über kurz oder
lang doch nur ein "Durchgangshafen" im Kanalverlauf sein dürfte.

Der entscheidende Gesichtspunkt, der den Stein aufs neue zum Rollen bringt,
wird jedenfalls wohl der militärische sein. Das Fehlen des entscheidenden Ver¬
bindungsstückes im Mittellandkanal muß geradezu strategisch als ein bedenklicher
Fehler angesehen werden. Bei den parlamentarischen Debatten der Jahre 1904 und
1905 wurde der strategische Wert des Mittellandkanals bereits hervorgehoben,
ohne daß damit dem Schicksal der Kanalvorlage gewehrt werden konnte. Heute
aber würde der Wert des Mittellandkanals im Kriegsfall noch ungleich größer
sein als vor acht oder zehn Jahren. Selbst ein Nichtdeutscher, der österreichische
Hochschulprofessor Oelwein, betonte im Sommer 1913 in einem in der Neuen
Freien Presse veröffentlichten Aufsatz, daß die Fertigstellung des Mittelland¬
kanals im strategischen Interesse Deutschlands unerläßlich sei und geradezu ge¬
fordert werden muß. Zur Begründung hebt er die folgenden bedeutsamen
Gesichtspunkte hervor: "Bei der Schnelligkeit, mit der die binnenländischen
Armeekorps gegebenenfalls an die westliche und östliche Grenze befördert werden
müßten, sind die Eisenbahnen viel früher an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit
angelangt als zur Zeit, wo Butte Eisenbahnminister war. Natürlich kann man
nicht die mobilen Truppen mit Binnenschiffen befördern, da dieser Transport
ein zu langsamer wäre; auch müssen diese Truppen ihre Pferde, Geschütze,
Munitions- und Fouragewagen als unentbehrlichen Train mit sich führen. Da¬
gegen muß aber Proviant, Fourage und Munition ununterbrochen nachgeschoben
werden.

Im Kriege muß aber das übrige, von demselben nicht betroffene Land
auch leben können. Für den Transportbedarf des wirtschaftlichen Lebens werden
die Eisenbahnen nicht viel leisten können, denn Mobilisierung und Krieg werden
so ziemlich die volle Leistungsfähigkeit der Eisenbahnen in Anspruch nehmen.
Dieses wirtschaftliche Leben soll aber nicht lahmgelegt werden, wenn der
ununterbrochene Kräftezuschuß, dessen der Krieg ohne Verzögerung bedarf, nicht
ernst Schaden leiden soll . . . Wenn die deutschen Seehäfen blockiert sein sollten,
woher wird das Inland seinen Bedarf an Rohstoffen decken, wenn nicht über
die neutralen Häfen Rotterdam und Antwerpen, die durch Wasserstraßen mit
dem deutschen Wasserstraßennetz verbunden sind? Wie will man die Aussuhr¬
erzeugnisse auf den internationalen Märkten zu Geld machen, wenn nicht mit
Hilfe der neutralen Häfen? Zur Zeit, wenn die Eisenbahnen durch den Krieg in
Anspruch genommen sind, wird die Binnenschiffahrt also ganz unentbehrlich
werden. Das Fehlen des Bindegliedes Hannover--Magdeburg wird sich dann
verhängnisvoll rächen."


Das Wiederaufleben des Mittellandkanals

Und solche neuen Gesichtspunkte sind allerdings heute vorhanden; sie liegen zum
Teil aus wirtschaftlichem Gebiete, in noch höherem Maße auf strategischen, wie
schon angedeutet. Die Verstümmelung des Mittellandkanals hat auch insofern
zu einer höchst seltsamen Schwierigkeit geführt, als die Stadt Hannover sich
mit Recht weigerte, zu einem „Endhafen" beizusteuern, da sie über kurz oder
lang doch nur ein „Durchgangshafen" im Kanalverlauf sein dürfte.

Der entscheidende Gesichtspunkt, der den Stein aufs neue zum Rollen bringt,
wird jedenfalls wohl der militärische sein. Das Fehlen des entscheidenden Ver¬
bindungsstückes im Mittellandkanal muß geradezu strategisch als ein bedenklicher
Fehler angesehen werden. Bei den parlamentarischen Debatten der Jahre 1904 und
1905 wurde der strategische Wert des Mittellandkanals bereits hervorgehoben,
ohne daß damit dem Schicksal der Kanalvorlage gewehrt werden konnte. Heute
aber würde der Wert des Mittellandkanals im Kriegsfall noch ungleich größer
sein als vor acht oder zehn Jahren. Selbst ein Nichtdeutscher, der österreichische
Hochschulprofessor Oelwein, betonte im Sommer 1913 in einem in der Neuen
Freien Presse veröffentlichten Aufsatz, daß die Fertigstellung des Mittelland¬
kanals im strategischen Interesse Deutschlands unerläßlich sei und geradezu ge¬
fordert werden muß. Zur Begründung hebt er die folgenden bedeutsamen
Gesichtspunkte hervor: „Bei der Schnelligkeit, mit der die binnenländischen
Armeekorps gegebenenfalls an die westliche und östliche Grenze befördert werden
müßten, sind die Eisenbahnen viel früher an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit
angelangt als zur Zeit, wo Butte Eisenbahnminister war. Natürlich kann man
nicht die mobilen Truppen mit Binnenschiffen befördern, da dieser Transport
ein zu langsamer wäre; auch müssen diese Truppen ihre Pferde, Geschütze,
Munitions- und Fouragewagen als unentbehrlichen Train mit sich führen. Da¬
gegen muß aber Proviant, Fourage und Munition ununterbrochen nachgeschoben
werden.

Im Kriege muß aber das übrige, von demselben nicht betroffene Land
auch leben können. Für den Transportbedarf des wirtschaftlichen Lebens werden
die Eisenbahnen nicht viel leisten können, denn Mobilisierung und Krieg werden
so ziemlich die volle Leistungsfähigkeit der Eisenbahnen in Anspruch nehmen.
Dieses wirtschaftliche Leben soll aber nicht lahmgelegt werden, wenn der
ununterbrochene Kräftezuschuß, dessen der Krieg ohne Verzögerung bedarf, nicht
ernst Schaden leiden soll . . . Wenn die deutschen Seehäfen blockiert sein sollten,
woher wird das Inland seinen Bedarf an Rohstoffen decken, wenn nicht über
die neutralen Häfen Rotterdam und Antwerpen, die durch Wasserstraßen mit
dem deutschen Wasserstraßennetz verbunden sind? Wie will man die Aussuhr¬
erzeugnisse auf den internationalen Märkten zu Geld machen, wenn nicht mit
Hilfe der neutralen Häfen? Zur Zeit, wenn die Eisenbahnen durch den Krieg in
Anspruch genommen sind, wird die Binnenschiffahrt also ganz unentbehrlich
werden. Das Fehlen des Bindegliedes Hannover—Magdeburg wird sich dann
verhängnisvoll rächen."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/545>, abgerufen am 25.07.2024.