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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Das Wiederaufleben des Mittellandkanals

werden kann, bald aufs neue die öffentliche Meinung beschäftigen wird. Ist
doch schon ein eigener Verein gegründet worden, der lediglich für die Vollendung
des Mittellandkanals Propaganda machen will und an dessen Spitze der Geheime
Kommerzienrat Zuckschwerdt in Magdeburg steht. Dazu kommen aber als zwei
neue, sehr gewichtige Faktoren: einmal das merkliche Nachlassen des agrarischen
Widerstandes gegen den Kanal, also gerade desjenigen Einflusses, der im Jahre
1899 und in der Folgezeit die Schaffung der Wasserstraße vereitelt hat, und
weiterhin das lebhafte Eintreten der militärischen Fachkreise für den Mittel¬
landkanal, der sich für die Schlagfertigkeit und Verproviantierung des deutschen
Heeres im Kriegsfall als ein strategisches Mittel ersten Ranges erweisen könnte*).

Schließlich ist auch die Sachlage gegenüber der Situation von 1899 insofern
sehr viel günstiger, als damals von dem ganzen sogenannten Mittellandkanal,
der Rhein, Weser und Elbe miteinander verbinden soll, nur das verhältnismäßig
kurze Stück des Dortmund ° Ems - Kanals vorhanden war, während jetzt in
einigen Monaten der Kanal von Duisburg bis Hannover schon fertiggestellt
sein wird, so daß alsdann nur noch das kurze und mit verhältnismäßig geringen
Kosten zu schaffende Stück von Hannover bis zur Elbe neu ins Leben
gerufen werden müßte.

Die trotz idealer Geländebeschaffenheit noch allenthalben vollständige Trennung
der Elbwasserstraße von dem westdeutschen, nun bald bis Hannover reichenden
Fluß- und Kanalnetz ist wohl unzweifelhaft die größte Absonderlichkeit, die sich
in irgendeinem Kulturland der Erde auf dem Gebiete der Binnenschiffahrt
finden läßt. Von der Elbe bis zur Memel und noch weit ostwärts darüber
hinaus bis in das innere Rußland hinein und nach dem Schwarzen Meere
hinab gibt es ein einheitlich zusammenhängendes Binnenschiffahrtsnetz; ander¬
seits kann man vom Rhein und von der Weser, bald auch von Hannover auf
Binnenwasserwegen mit genügend kleinen Fahrzeugen bis an den Fuß der
Pyrenäen, zur Rhünemündung und sogar (durch den freilich völlig veralteten
bayerischen Ludwigskanal) bis zur Donaumündung gelangen. Hamburg und
Lübeck können mit Cherson oder Riga, Bremen und Hannover mit Marseille
oder Galatz auf Binnenwasserwegen verkehren, aber von Hannover nach Magde¬
burg ist jede Wasserverbindung unmöglich, und da der Güterverkehr erfahrungs¬
gemäß die Wasserwege bevorzugt, wo immer es nur angängig ist, so kann
man auch ohne zahlenmäßigen Nachweis leicht ermessen, was für volks- und
weltwirtschaftliche Nachteile das Fehlen des Wasserüberganges aus der Elbe in
die Weser nach sich zieht. Die Verstümmelung des Mittellandkanals zum Torso
ist in ihren Wirkungen um so fühlbarer, als die Elbe auch sonst von ihren
Stromgebieten zur Linken in geradezu hermetischer Weise abgeschlossen ist. Im
letzten Dezemberheft der Monatsschrift Weltverkehr und Weltwirtschaft ist auf
die sehr wenig bekannte Tatsache hingewiesen worden, daß es in Europa noch



*) Über die hohe strategische Bedeutung des Mittellandkanals vgl. einen Aufsatz Oberst
von Kurmatowskis im Juliheft 1914 der Monatsschrift "Weltverkehr und Weltwirtschaft".
34*
Das Wiederaufleben des Mittellandkanals

werden kann, bald aufs neue die öffentliche Meinung beschäftigen wird. Ist
doch schon ein eigener Verein gegründet worden, der lediglich für die Vollendung
des Mittellandkanals Propaganda machen will und an dessen Spitze der Geheime
Kommerzienrat Zuckschwerdt in Magdeburg steht. Dazu kommen aber als zwei
neue, sehr gewichtige Faktoren: einmal das merkliche Nachlassen des agrarischen
Widerstandes gegen den Kanal, also gerade desjenigen Einflusses, der im Jahre
1899 und in der Folgezeit die Schaffung der Wasserstraße vereitelt hat, und
weiterhin das lebhafte Eintreten der militärischen Fachkreise für den Mittel¬
landkanal, der sich für die Schlagfertigkeit und Verproviantierung des deutschen
Heeres im Kriegsfall als ein strategisches Mittel ersten Ranges erweisen könnte*).

Schließlich ist auch die Sachlage gegenüber der Situation von 1899 insofern
sehr viel günstiger, als damals von dem ganzen sogenannten Mittellandkanal,
der Rhein, Weser und Elbe miteinander verbinden soll, nur das verhältnismäßig
kurze Stück des Dortmund ° Ems - Kanals vorhanden war, während jetzt in
einigen Monaten der Kanal von Duisburg bis Hannover schon fertiggestellt
sein wird, so daß alsdann nur noch das kurze und mit verhältnismäßig geringen
Kosten zu schaffende Stück von Hannover bis zur Elbe neu ins Leben
gerufen werden müßte.

Die trotz idealer Geländebeschaffenheit noch allenthalben vollständige Trennung
der Elbwasserstraße von dem westdeutschen, nun bald bis Hannover reichenden
Fluß- und Kanalnetz ist wohl unzweifelhaft die größte Absonderlichkeit, die sich
in irgendeinem Kulturland der Erde auf dem Gebiete der Binnenschiffahrt
finden läßt. Von der Elbe bis zur Memel und noch weit ostwärts darüber
hinaus bis in das innere Rußland hinein und nach dem Schwarzen Meere
hinab gibt es ein einheitlich zusammenhängendes Binnenschiffahrtsnetz; ander¬
seits kann man vom Rhein und von der Weser, bald auch von Hannover auf
Binnenwasserwegen mit genügend kleinen Fahrzeugen bis an den Fuß der
Pyrenäen, zur Rhünemündung und sogar (durch den freilich völlig veralteten
bayerischen Ludwigskanal) bis zur Donaumündung gelangen. Hamburg und
Lübeck können mit Cherson oder Riga, Bremen und Hannover mit Marseille
oder Galatz auf Binnenwasserwegen verkehren, aber von Hannover nach Magde¬
burg ist jede Wasserverbindung unmöglich, und da der Güterverkehr erfahrungs¬
gemäß die Wasserwege bevorzugt, wo immer es nur angängig ist, so kann
man auch ohne zahlenmäßigen Nachweis leicht ermessen, was für volks- und
weltwirtschaftliche Nachteile das Fehlen des Wasserüberganges aus der Elbe in
die Weser nach sich zieht. Die Verstümmelung des Mittellandkanals zum Torso
ist in ihren Wirkungen um so fühlbarer, als die Elbe auch sonst von ihren
Stromgebieten zur Linken in geradezu hermetischer Weise abgeschlossen ist. Im
letzten Dezemberheft der Monatsschrift Weltverkehr und Weltwirtschaft ist auf
die sehr wenig bekannte Tatsache hingewiesen worden, daß es in Europa noch



*) Über die hohe strategische Bedeutung des Mittellandkanals vgl. einen Aufsatz Oberst
von Kurmatowskis im Juliheft 1914 der Monatsschrift „Weltverkehr und Weltwirtschaft".
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/543>, abgerufen am 04.07.2024.