Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.Die Grundzüge einer Litcraturbeurteilung erwirbst du dir unter allen Umständen (!) ein Verdienst, wenn du Bartels weiß natürlich, warum er so vorgeht: er streut seinem Publikum Die Grundzüge einer Litcraturbeurteilung erwirbst du dir unter allen Umständen (!) ein Verdienst, wenn du Bartels weiß natürlich, warum er so vorgeht: er streut seinem Publikum <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0511" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328611"/> <fw type="header" place="top"> Die Grundzüge einer Litcraturbeurteilung</fw><lb/> <p xml:id="ID_2047" prev="#ID_2046"> erwirbst du dir unter allen Umständen (!) ein Verdienst, wenn du<lb/> eine gute(!) Zusammenstellung gibst, die doch einmal gemacht werden muß,<lb/> ja eigentlich längst gemacht sein sollte. So einfach ist deine Arbeit<lb/> übrigens keineswegs: es gehört großes Geschick dazu, die zu bringenden<lb/> Aussprüche richtig auszuwählen, sie den Umständen nach zu erläutern und zu<lb/> zusammenhängender Darstellung zu verbinden. So sagte ich mir immer<lb/> wieder, und als nun das große (!) Werk endlich fertig vor mir lag und ich<lb/> das Verhältnis des Fremden und Eigenen genauer übersehen konnte, da<lb/> glaubte ich denn doch zu erkennen, daß meine .Einführung in die Welt¬<lb/> literatur' trotz allem auch mein .persönliches' Werk (wenn auch nicht in dem<lb/> Grade wie meine .Geschichte der deutschen Literatur') geworden sei. und ich<lb/> verglich mich, selbstbewußt wie ich ja nun einmal bin, einem guten<lb/> Baumeister oder Mosaikkünstler, der mit fremdem Material sach¬<lb/> gemäß (!) gearbeitet habe". Solch Selbstlob findet sich aber nicht bloß im<lb/> Anfang des Werkes, sondern überall (I, 44. 75, 84. 429, 699; II, 6. 106;<lb/> III. 630. 631. 640 ff. usw.). Es heißt den Marlitt°Ton in die Literatur¬<lb/> wissenschaft einführen, wenn diese egozentrische Art weiter um sich greift.</p><lb/> <p xml:id="ID_2048"> Bartels weiß natürlich, warum er so vorgeht: er streut seinem Publikum<lb/> mit dieser Tonart und Selbsterhebung Sand in die Augen, seinem Publikum, das<lb/> eben das konservativ-agrarische ist, und das nur wenig Zeit und Gelegenheit hat,<lb/> sich die Dichtung durch die Brillen mehrerer Literarhistoriker anzusehen. Dann<lb/> würden ihm vielleicht Zweifel an Bartels' Art kommen! So aber folgt es getreu<lb/> seinen Tendenzen, die sich insgesamt zu der großen politischen Parteitendenz<lb/> zusammenschließen. Goethe wies freilich solche Einkreisung (I, 837) in<lb/> einem Briefe an Zelter zurück: „Wie lächerlich ists ... aus einer ästhetischen<lb/> Sache eine Parteisache zu machen und mich als Parteigesellen heranzuziehen,<lb/> ohne zu bedenken, daß man recht gut über eine Sache spaßen und spotten<lb/> kann, ohne sie deswegen zu verachten und zu verwerfen." Über alles Parteiische<lb/> hat sich schon eine ästhetische Sache zu erheben. Um wieviel mehr die Ver¬<lb/> waltung des geistigen Volksbesitzes! Sie darf einzig und allein nur ein Be¬<lb/> streben, das aber, weil es wissenschaftlich, also wahrheitsgetreu, ehrlich und<lb/> gerecht zu geschehen hat, niemals „Tendenz" werden darf, haben: die Dichtung<lb/> als Offenbarung des Lebens erlebbar zu erhalten und jedem erlebbar<lb/> Zu machen. Wie dies Bestreben zu erfüllen ist, muß eine Frage der Be¬<lb/> handlung des Stoffes genannt werden, ist Sache der Methode universaler<lb/> Literaturwissenschaft.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <fw type="sig" place="bottom"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0511]
Die Grundzüge einer Litcraturbeurteilung
erwirbst du dir unter allen Umständen (!) ein Verdienst, wenn du
eine gute(!) Zusammenstellung gibst, die doch einmal gemacht werden muß,
ja eigentlich längst gemacht sein sollte. So einfach ist deine Arbeit
übrigens keineswegs: es gehört großes Geschick dazu, die zu bringenden
Aussprüche richtig auszuwählen, sie den Umständen nach zu erläutern und zu
zusammenhängender Darstellung zu verbinden. So sagte ich mir immer
wieder, und als nun das große (!) Werk endlich fertig vor mir lag und ich
das Verhältnis des Fremden und Eigenen genauer übersehen konnte, da
glaubte ich denn doch zu erkennen, daß meine .Einführung in die Welt¬
literatur' trotz allem auch mein .persönliches' Werk (wenn auch nicht in dem
Grade wie meine .Geschichte der deutschen Literatur') geworden sei. und ich
verglich mich, selbstbewußt wie ich ja nun einmal bin, einem guten
Baumeister oder Mosaikkünstler, der mit fremdem Material sach¬
gemäß (!) gearbeitet habe". Solch Selbstlob findet sich aber nicht bloß im
Anfang des Werkes, sondern überall (I, 44. 75, 84. 429, 699; II, 6. 106;
III. 630. 631. 640 ff. usw.). Es heißt den Marlitt°Ton in die Literatur¬
wissenschaft einführen, wenn diese egozentrische Art weiter um sich greift.
Bartels weiß natürlich, warum er so vorgeht: er streut seinem Publikum
mit dieser Tonart und Selbsterhebung Sand in die Augen, seinem Publikum, das
eben das konservativ-agrarische ist, und das nur wenig Zeit und Gelegenheit hat,
sich die Dichtung durch die Brillen mehrerer Literarhistoriker anzusehen. Dann
würden ihm vielleicht Zweifel an Bartels' Art kommen! So aber folgt es getreu
seinen Tendenzen, die sich insgesamt zu der großen politischen Parteitendenz
zusammenschließen. Goethe wies freilich solche Einkreisung (I, 837) in
einem Briefe an Zelter zurück: „Wie lächerlich ists ... aus einer ästhetischen
Sache eine Parteisache zu machen und mich als Parteigesellen heranzuziehen,
ohne zu bedenken, daß man recht gut über eine Sache spaßen und spotten
kann, ohne sie deswegen zu verachten und zu verwerfen." Über alles Parteiische
hat sich schon eine ästhetische Sache zu erheben. Um wieviel mehr die Ver¬
waltung des geistigen Volksbesitzes! Sie darf einzig und allein nur ein Be¬
streben, das aber, weil es wissenschaftlich, also wahrheitsgetreu, ehrlich und
gerecht zu geschehen hat, niemals „Tendenz" werden darf, haben: die Dichtung
als Offenbarung des Lebens erlebbar zu erhalten und jedem erlebbar
Zu machen. Wie dies Bestreben zu erfüllen ist, muß eine Frage der Be¬
handlung des Stoffes genannt werden, ist Sache der Methode universaler
Literaturwissenschaft.
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