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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Ein reaktionärer Briefwechsel

die Polen und das Zentrum. Die Liberalen aber, die sogenannten Vertreter
der sogenannten Intelligenz, können mit Mühe ihre Führer placieren und sind
im übrigen gezwungen, die Popularität von Provinzgrößen für die Erreichung
knapper Majoritäten auszuspielen.

Dein Vorschlage, die Minister aus den Kreisen der Parlamentarier zu
holen, liegt die Meinung zugrunde, die parlamentarische Karriere erziele eine
bessere Vorbildung, im besonderen eine bessere Auslese, als die büreau¬
kratische Laufbahn. Ja und Nein. Die Antwort hängt ganz von der Frage
ab: Auslese wofür? Die Aufgabe des Ministers zerfällt in zwei Teile: die
sachliche Arbeit und die Inszenierung. Diese beiden Aufgaben decken sich nicht,
im Gegenteil, wer die eine gut zu erfüllen vermag, ist in den meisten Fällen
für die andere ein wenig verdorben. Die erste erfordert sachliche Kenntnisse
und ruhiges Urteil -- die zweite jene ganze Kunst, mit den Schew-
barkeiten umzugehen. In der ersten sind unsere Beamten unseren Parlamen¬
tariern um ein vielfaches überlegen; von der zweiten jedoch, das gebe ich
zu, verstehen sie zumeist recht wenig, viel zu wenig, daher denn die Dinge bei
uns zumeist besser sind als sie aussehen, während sie in anderen Ländern,
z. B. in Frankreich, immer besser aussehen als sie sind. Ich gebe nun zu.
daß für den zweiten Teil der Aufgabe die parlamentarische Karriere die bessere
Vorbereitung ist und die bessere Auslese sichert. Sie bringt die geschickten
Macher in die Höhe -- auch wenn diese sachlich recht wenig verstehen. Da
feiert die Routine ihre Siege. Nun gebe ich ja zu, daß die Art, wie man
etwas tut, in der inneren Politik zeitweise wichtiger ist als das, was man tut,
jedenfalls für die Zufriedenheit der Massen und die sogenannte Stimmung des
sogenannten Volkes mehr ins Gewicht fällt. Aber wir wollen uns doch nicht
täuschen, daß wir bei sachlich leidlicher Arbeit eher die Unzufriedenheit über
den schlechten Schein in den Kauf nehmen können als bei einer Zufriedenheit
über den schönen Schein die sachlich schlechte Arbeit. Es ist ja noch nicht
lange her, daß wir darüber, namentlich auf dem Gebiet der auswärtigen
Politik, einige Erfahrungen haben sammeln können. Und dann erfordert doch
die größte Menge unserer Ministerien eine recht beträchtliche Menge von
Spezialkenntnissen und die Bekanntschaft mit einer recht komplizierten Ver¬
waltungsmaschine. Alles in allem: es ist ein Irrtum, zu glauben, daß die
Eigenschaften, durch die man gemeinhin an die Macht gelangt, auch die Eigen¬
schaften sind, die dazu gehören, um diese Macht auch richtig anzuwenden. Das
ist keineswegs der Fall, eher das Gegenteil. Und das ist eine der verborgensten,
aber bedeutsamsten Schwächen des parlamentarischen Systems. Man braucht
nur z. B. in Frankreich ein wenig auf die Detailarbeit des dortigen Regierens
zu schauen, um zu sehen, wohin das führt. Da werden nur unsachliche,
störende, schädliche Rücksichten politischer Herkunft, und das heißt dort parla¬
mentarischer Herkunft, in die technischen Einzelheiten hineingetragen. Dn tust
so, als wäre dont alles wunderschön, nur weil das Volk, dank einer geschickten


Ein reaktionärer Briefwechsel

die Polen und das Zentrum. Die Liberalen aber, die sogenannten Vertreter
der sogenannten Intelligenz, können mit Mühe ihre Führer placieren und sind
im übrigen gezwungen, die Popularität von Provinzgrößen für die Erreichung
knapper Majoritäten auszuspielen.

Dein Vorschlage, die Minister aus den Kreisen der Parlamentarier zu
holen, liegt die Meinung zugrunde, die parlamentarische Karriere erziele eine
bessere Vorbildung, im besonderen eine bessere Auslese, als die büreau¬
kratische Laufbahn. Ja und Nein. Die Antwort hängt ganz von der Frage
ab: Auslese wofür? Die Aufgabe des Ministers zerfällt in zwei Teile: die
sachliche Arbeit und die Inszenierung. Diese beiden Aufgaben decken sich nicht,
im Gegenteil, wer die eine gut zu erfüllen vermag, ist in den meisten Fällen
für die andere ein wenig verdorben. Die erste erfordert sachliche Kenntnisse
und ruhiges Urteil — die zweite jene ganze Kunst, mit den Schew-
barkeiten umzugehen. In der ersten sind unsere Beamten unseren Parlamen¬
tariern um ein vielfaches überlegen; von der zweiten jedoch, das gebe ich
zu, verstehen sie zumeist recht wenig, viel zu wenig, daher denn die Dinge bei
uns zumeist besser sind als sie aussehen, während sie in anderen Ländern,
z. B. in Frankreich, immer besser aussehen als sie sind. Ich gebe nun zu.
daß für den zweiten Teil der Aufgabe die parlamentarische Karriere die bessere
Vorbereitung ist und die bessere Auslese sichert. Sie bringt die geschickten
Macher in die Höhe — auch wenn diese sachlich recht wenig verstehen. Da
feiert die Routine ihre Siege. Nun gebe ich ja zu, daß die Art, wie man
etwas tut, in der inneren Politik zeitweise wichtiger ist als das, was man tut,
jedenfalls für die Zufriedenheit der Massen und die sogenannte Stimmung des
sogenannten Volkes mehr ins Gewicht fällt. Aber wir wollen uns doch nicht
täuschen, daß wir bei sachlich leidlicher Arbeit eher die Unzufriedenheit über
den schlechten Schein in den Kauf nehmen können als bei einer Zufriedenheit
über den schönen Schein die sachlich schlechte Arbeit. Es ist ja noch nicht
lange her, daß wir darüber, namentlich auf dem Gebiet der auswärtigen
Politik, einige Erfahrungen haben sammeln können. Und dann erfordert doch
die größte Menge unserer Ministerien eine recht beträchtliche Menge von
Spezialkenntnissen und die Bekanntschaft mit einer recht komplizierten Ver¬
waltungsmaschine. Alles in allem: es ist ein Irrtum, zu glauben, daß die
Eigenschaften, durch die man gemeinhin an die Macht gelangt, auch die Eigen¬
schaften sind, die dazu gehören, um diese Macht auch richtig anzuwenden. Das
ist keineswegs der Fall, eher das Gegenteil. Und das ist eine der verborgensten,
aber bedeutsamsten Schwächen des parlamentarischen Systems. Man braucht
nur z. B. in Frankreich ein wenig auf die Detailarbeit des dortigen Regierens
zu schauen, um zu sehen, wohin das führt. Da werden nur unsachliche,
störende, schädliche Rücksichten politischer Herkunft, und das heißt dort parla¬
mentarischer Herkunft, in die technischen Einzelheiten hineingetragen. Dn tust
so, als wäre dont alles wunderschön, nur weil das Volk, dank einer geschickten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/496>, abgerufen am 24.07.2024.