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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Mauthner ist in der Tat derjenige ge¬
wesen, der am eindrucksvollsten dargestellthat,
"daß Schlußfolgerungen nur sprachliche Ab¬
änderungen anderer Urteile sind/' daß sie
also sachlich keinen Wert haben. Er hat mit
Nachdruck immer wieder betont, daß die
Sprache zwar unser einziges, aber nur ein
sehr unzulängliches Mittel sei, uns in der
Erinnerungswelt zurechtzufinden, daß es eine
Logik ohne bestimmte Sprache gar nicht geben
kann, und daß die Kategorienlehre des
Aristoteles, die wir übernommen haben, aus
der griechischen Sprache stammt und für uns
nur soweit Wert hat, als unsere jeweilige
Sprache mit dem Griechischen übereinstimmt.
Mauthner hat einmal wieder gründlich in
den Schubfächern des Denkens aufgeräumt,

und das bleibt sein Verdienst, wenn wir auch
manchmal den Eindruck haben: wo er sagt
"gegenwärtig glaubt man", nutz man etwa
zwanzig Jahre zurückgehen; denn zwischen der
Konzeption von Mauthners Kritik und dem
jetzigen Abschluß seines Lebenswerkes liegt
gerade auf MauthnerS Gebiet eine fruchtbare
Bearbeitung durch Gelehrte wie Bergson und
Husserl (um nur zwei Namen zu nennen), die
Mauthner ebenso bereitwillig übersieht, wie
man ihn selbst geflissentlich totgeschwiegen hat.
So macht sich Mauthner hier und damit
seinem "gegenwärtig glaubt man" den Kampf
reichlich bequem; denn es ist natürlich leicht,
gegen überholte Anschauungen zu kämpfen,
indem man sie als die heute giltigen darstellt.


Traugott Friedemann


Nachdruck sämtlicher Aufsätze nur mit ausdrücklicher Erlaubnis drS Verlags gestattet.
Verantwonlich: der Herausgeber George Cleinow in Berlin-SchSneberg. -- Manuskriptsendungen und Briese
werden erbeten unter der Adresse:
An den Herausgeber der Grenzbotrn in Berlin-Friede""", Hrdwigstr. 1".
Fernsprecher der Schristleitung- Amt Uhland LKM, des Verlags- Amt Lützow Si>10.
Verlag: Verlag der Grenzboien B. in. b. H. in Berlin SV. 11.
Druck: "Der Reichsbote" G. in. b. H. in Berlin SV. 11, D-ffaner Strasze M/37.


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Mauthner ist in der Tat derjenige ge¬
wesen, der am eindrucksvollsten dargestellthat,
„daß Schlußfolgerungen nur sprachliche Ab¬
änderungen anderer Urteile sind/' daß sie
also sachlich keinen Wert haben. Er hat mit
Nachdruck immer wieder betont, daß die
Sprache zwar unser einziges, aber nur ein
sehr unzulängliches Mittel sei, uns in der
Erinnerungswelt zurechtzufinden, daß es eine
Logik ohne bestimmte Sprache gar nicht geben
kann, und daß die Kategorienlehre des
Aristoteles, die wir übernommen haben, aus
der griechischen Sprache stammt und für uns
nur soweit Wert hat, als unsere jeweilige
Sprache mit dem Griechischen übereinstimmt.
Mauthner hat einmal wieder gründlich in
den Schubfächern des Denkens aufgeräumt,

und das bleibt sein Verdienst, wenn wir auch
manchmal den Eindruck haben: wo er sagt
„gegenwärtig glaubt man", nutz man etwa
zwanzig Jahre zurückgehen; denn zwischen der
Konzeption von Mauthners Kritik und dem
jetzigen Abschluß seines Lebenswerkes liegt
gerade auf MauthnerS Gebiet eine fruchtbare
Bearbeitung durch Gelehrte wie Bergson und
Husserl (um nur zwei Namen zu nennen), die
Mauthner ebenso bereitwillig übersieht, wie
man ihn selbst geflissentlich totgeschwiegen hat.
So macht sich Mauthner hier und damit
seinem „gegenwärtig glaubt man" den Kampf
reichlich bequem; denn es ist natürlich leicht,
gegen überholte Anschauungen zu kämpfen,
indem man sie als die heute giltigen darstellt.


Traugott Friedemann


Nachdruck sämtlicher Aufsätze nur mit ausdrücklicher Erlaubnis drS Verlags gestattet.
Verantwonlich: der Herausgeber George Cleinow in Berlin-SchSneberg. — Manuskriptsendungen und Briese
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An den Herausgeber der Grenzbotrn in Berlin-Friede»»«, Hrdwigstr. 1».
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Druck: »Der Reichsbote" G. in. b. H. in Berlin SV. 11, D-ffaner Strasze M/37.


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[0492] Maßgebliches und Unmaßgebliches Mauthner ist in der Tat derjenige ge¬ wesen, der am eindrucksvollsten dargestellthat, „daß Schlußfolgerungen nur sprachliche Ab¬ änderungen anderer Urteile sind/' daß sie also sachlich keinen Wert haben. Er hat mit Nachdruck immer wieder betont, daß die Sprache zwar unser einziges, aber nur ein sehr unzulängliches Mittel sei, uns in der Erinnerungswelt zurechtzufinden, daß es eine Logik ohne bestimmte Sprache gar nicht geben kann, und daß die Kategorienlehre des Aristoteles, die wir übernommen haben, aus der griechischen Sprache stammt und für uns nur soweit Wert hat, als unsere jeweilige Sprache mit dem Griechischen übereinstimmt. Mauthner hat einmal wieder gründlich in den Schubfächern des Denkens aufgeräumt, und das bleibt sein Verdienst, wenn wir auch manchmal den Eindruck haben: wo er sagt „gegenwärtig glaubt man", nutz man etwa zwanzig Jahre zurückgehen; denn zwischen der Konzeption von Mauthners Kritik und dem jetzigen Abschluß seines Lebenswerkes liegt gerade auf MauthnerS Gebiet eine fruchtbare Bearbeitung durch Gelehrte wie Bergson und Husserl (um nur zwei Namen zu nennen), die Mauthner ebenso bereitwillig übersieht, wie man ihn selbst geflissentlich totgeschwiegen hat. So macht sich Mauthner hier und damit seinem „gegenwärtig glaubt man" den Kampf reichlich bequem; denn es ist natürlich leicht, gegen überholte Anschauungen zu kämpfen, indem man sie als die heute giltigen darstellt. Traugott Friedemann Nachdruck sämtlicher Aufsätze nur mit ausdrücklicher Erlaubnis drS Verlags gestattet. Verantwonlich: der Herausgeber George Cleinow in Berlin-SchSneberg. — Manuskriptsendungen und Briese werden erbeten unter der Adresse: An den Herausgeber der Grenzbotrn in Berlin-Friede»»«, Hrdwigstr. 1». Fernsprecher der Schristleitung- Amt Uhland LKM, des Verlags- Amt Lützow Si>10. Verlag: Verlag der Grenzboien B. in. b. H. in Berlin SV. 11. Druck: »Der Reichsbote" G. in. b. H. in Berlin SV. 11, D-ffaner Strasze M/37.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/492>, abgerufen am 25.07.2024.