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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Juliner sicherer wird unter den gewiß überviclen Werken Heyses eine impo¬
nierende Anzahl hervortreten, die ihn zum glücklichsten Vertreter einer nach¬
klassischen Zeit macht; und das war er in diesen Werken nicht als ein unselb¬
ständiger, aneignender Epigone, sondern seiner eigensten Natur nach.

Die glücklichsten Seiten der Heyseschen Begabung sind vielleicht noch gar
nicht allgemein genug erkannt. Wenigstens tritt das Lob des Lyrikers Heyse immer
noch viel zu sehr zurück. Als solcher hatte der Dichter früh seinen eigenen Ton
gefunden. Es ist da nicht so sehr an die schon erwähnten sieben politischen
Lieder zu denken, in denen der blutjunge Achtundvierziger etwa singt:

"Wir sind ein frei Geschlecht,
Ein freies Schwert wir führen.
Hoch unser gutes Recht!
Und nieder, die dran rühren!
Fragt ihr, was wir gewollt?
Wir woll'n nur Eins erwerben:
Für unser Schwarz-rot-gold
In leben und zu sterben."

Es gehört gewiß in das Gesamtbild der Entwicklung Heyses, daß auch er in
so frühen Jahren sich mit ein paar Freunden zu dem Ruf vereinigt hat: "Ein
Reich von Riga bis zum Rhein!" -- aber er selbst hat diese Lieder') Jahr¬
zehnte später mit den Worten abge>an: er finde sie weder besser noch schlechter
als die meisten, die damals durch die Zeitungen gingen, und sein eigentliches
Können zeigt sich doch mehr in den lyrischen Einlagen aus der 1849 anonym
veröffentlichten Märchensammlung "Jungbrunnen". Heyses Art knüpft hier an
den durch Clemens Brentano vermittelten Volksliedton an, und zu diesen Vor¬
bildern gesellen sich später noch Eichendorff und Mörike. Besonders durch
diesen, sagt der Dichter selbst, sei ihm "das Geheimnis des Adjektivs" klar
geworden. Bald dagegen erkannte er, daß der Weg des befreundeten Geibel
nicht der seine war.

In diese'in 1850 entstandenen Liebeslied haben wir Heyses besonderen Ton,
und der Dichter hat ihn sich bis zu einzelnen Gedichten der späten Zeit erhalten.
Grazie, Feinheit der Empfindung, Melodie und eine reine Freude an der Welt
sind bezeichnende Eigenschaften seiner Lyrik. Der Schmerz ist ihr nicht fremd,
noch häufiger aber erweist sich der Dichter als dos "arglos fromme Kind der
Welt", wie er sich selbst einmal nennt. Diese Jugendlichkeit hat er sich lange



") Fünfzehn neue deutsche Lieder zu alten Singweisen. Bon Paul Heyse, Bernhard
Endrulat, L. Karl Slegidi und N. N. <wnhrscheinlich Franz Kugler). Berlin 1843. Vereins-
Buchhandlung.
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Paul l?eysc

Juliner sicherer wird unter den gewiß überviclen Werken Heyses eine impo¬
nierende Anzahl hervortreten, die ihn zum glücklichsten Vertreter einer nach¬
klassischen Zeit macht; und das war er in diesen Werken nicht als ein unselb¬
ständiger, aneignender Epigone, sondern seiner eigensten Natur nach.

Die glücklichsten Seiten der Heyseschen Begabung sind vielleicht noch gar
nicht allgemein genug erkannt. Wenigstens tritt das Lob des Lyrikers Heyse immer
noch viel zu sehr zurück. Als solcher hatte der Dichter früh seinen eigenen Ton
gefunden. Es ist da nicht so sehr an die schon erwähnten sieben politischen
Lieder zu denken, in denen der blutjunge Achtundvierziger etwa singt:

„Wir sind ein frei Geschlecht,
Ein freies Schwert wir führen.
Hoch unser gutes Recht!
Und nieder, die dran rühren!
Fragt ihr, was wir gewollt?
Wir woll'n nur Eins erwerben:
Für unser Schwarz-rot-gold
In leben und zu sterben."

Es gehört gewiß in das Gesamtbild der Entwicklung Heyses, daß auch er in
so frühen Jahren sich mit ein paar Freunden zu dem Ruf vereinigt hat: „Ein
Reich von Riga bis zum Rhein!" — aber er selbst hat diese Lieder') Jahr¬
zehnte später mit den Worten abge>an: er finde sie weder besser noch schlechter
als die meisten, die damals durch die Zeitungen gingen, und sein eigentliches
Können zeigt sich doch mehr in den lyrischen Einlagen aus der 1849 anonym
veröffentlichten Märchensammlung „Jungbrunnen". Heyses Art knüpft hier an
den durch Clemens Brentano vermittelten Volksliedton an, und zu diesen Vor¬
bildern gesellen sich später noch Eichendorff und Mörike. Besonders durch
diesen, sagt der Dichter selbst, sei ihm „das Geheimnis des Adjektivs" klar
geworden. Bald dagegen erkannte er, daß der Weg des befreundeten Geibel
nicht der seine war.

In diese'in 1850 entstandenen Liebeslied haben wir Heyses besonderen Ton,
und der Dichter hat ihn sich bis zu einzelnen Gedichten der späten Zeit erhalten.
Grazie, Feinheit der Empfindung, Melodie und eine reine Freude an der Welt
sind bezeichnende Eigenschaften seiner Lyrik. Der Schmerz ist ihr nicht fremd,
noch häufiger aber erweist sich der Dichter als dos „arglos fromme Kind der
Welt", wie er sich selbst einmal nennt. Diese Jugendlichkeit hat er sich lange



") Fünfzehn neue deutsche Lieder zu alten Singweisen. Bon Paul Heyse, Bernhard
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[0047] Paul l?eysc Juliner sicherer wird unter den gewiß überviclen Werken Heyses eine impo¬ nierende Anzahl hervortreten, die ihn zum glücklichsten Vertreter einer nach¬ klassischen Zeit macht; und das war er in diesen Werken nicht als ein unselb¬ ständiger, aneignender Epigone, sondern seiner eigensten Natur nach. Die glücklichsten Seiten der Heyseschen Begabung sind vielleicht noch gar nicht allgemein genug erkannt. Wenigstens tritt das Lob des Lyrikers Heyse immer noch viel zu sehr zurück. Als solcher hatte der Dichter früh seinen eigenen Ton gefunden. Es ist da nicht so sehr an die schon erwähnten sieben politischen Lieder zu denken, in denen der blutjunge Achtundvierziger etwa singt: „Wir sind ein frei Geschlecht, Ein freies Schwert wir führen. Hoch unser gutes Recht! Und nieder, die dran rühren! Fragt ihr, was wir gewollt? Wir woll'n nur Eins erwerben: Für unser Schwarz-rot-gold In leben und zu sterben." Es gehört gewiß in das Gesamtbild der Entwicklung Heyses, daß auch er in so frühen Jahren sich mit ein paar Freunden zu dem Ruf vereinigt hat: „Ein Reich von Riga bis zum Rhein!" — aber er selbst hat diese Lieder') Jahr¬ zehnte später mit den Worten abge>an: er finde sie weder besser noch schlechter als die meisten, die damals durch die Zeitungen gingen, und sein eigentliches Können zeigt sich doch mehr in den lyrischen Einlagen aus der 1849 anonym veröffentlichten Märchensammlung „Jungbrunnen". Heyses Art knüpft hier an den durch Clemens Brentano vermittelten Volksliedton an, und zu diesen Vor¬ bildern gesellen sich später noch Eichendorff und Mörike. Besonders durch diesen, sagt der Dichter selbst, sei ihm „das Geheimnis des Adjektivs" klar geworden. Bald dagegen erkannte er, daß der Weg des befreundeten Geibel nicht der seine war. In diese'in 1850 entstandenen Liebeslied haben wir Heyses besonderen Ton, und der Dichter hat ihn sich bis zu einzelnen Gedichten der späten Zeit erhalten. Grazie, Feinheit der Empfindung, Melodie und eine reine Freude an der Welt sind bezeichnende Eigenschaften seiner Lyrik. Der Schmerz ist ihr nicht fremd, noch häufiger aber erweist sich der Dichter als dos „arglos fromme Kind der Welt", wie er sich selbst einmal nennt. Diese Jugendlichkeit hat er sich lange ") Fünfzehn neue deutsche Lieder zu alten Singweisen. Bon Paul Heyse, Bernhard Endrulat, L. Karl Slegidi und N. N. <wnhrscheinlich Franz Kugler). Berlin 1843. Vereins- Buchhandlung. I«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/47>, abgerufen am 27.06.2024.