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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Das Aaiscrhoch und die Sozialdemokratie

gibt, erschöpft sind, so setze ich die Sitzung aus eine halbe Stunde aus." (Leb¬
hafter Beifall rechts und in der Mitte. Lärm links.)

Die um 12^ Uhr unterbrochene Sitzung wurde um 12 6° Uhr wieder eröffnet.
Der stenographische Bericht enthält aber nicht das wichtige Faktum, daß der
Abgeordnete Singer wieder auf seinem Platze war, so wenig wie er Anstalten
gemacht hatte, nach der Ausschließung den Saal zu verlassen. Von dem schärferen
alternativen Mittel, die Sitzung zu schließen, hat der Vizepräsident keinen Gebrauch
gemacht. Er hätte dadurch auch nur den Sozialdemokraten bei ihrer Obstruktion einen
Gefallen getan. Von einer Verfolgung des Abgeordneten Singer wegen Haus¬
friedensbruches ist keine Rede gewesen. Die einzige Anwendung der verschärften
Geschäftsordnung ist also nicht sehr imposant ausgelaufen.

Es läge nahe, noch kurz auf die Verschärfung der Geschäftsordnung im
preußischen Abgeordnetenhause einzugehen. Sie gibt dem Präsidenten bekanntlich
erheblich stärkere Befugnisse als sie sein Kollege im Reichstag besitzt. Jedoch
liebt man im Reichstag solche Seitenblicke nicht. Das Reichsparlament wird
auch am besten tun, nach seinen eigenen Bedürfnissen, ohne auf nicht ganz
anwendbare Parallelen anderer Parlamente zu sehen, sich die Ordnungsbestimmungen
zu schaffen, die es braucht. Die Situation ist für den Reichstag keineswegs
einfach. Vielfach ist man geneigt, von vornherein die Möglichkeit der Abhilfe
zu verneinen. Dabei werden sich aber die großen Parteien schwerlich bescheiden
wollen. Auch wird sorgfältig zu erwägen sein, ob man Maßregeln für den
vorliegenden Fall -- Kaiserhoch bei der Schlußsitzung -- treffen soll, oder ob
man die Sache unter weiteren Gesichtspunkten anzufassen hat. Eine Gelegenheits¬
arbeit bleibt natürlich stets etwas Mißliches. Wie man sich nun entscheiden
wird: aufgeworfen ist die Frage, nicht durch Schuld der bürgerlichen Parteien,
sondern durch die Sozialdemokratie. Daß der Reichstag an die Lösung der
ihm aufgedrängten Frage ernstlich herangeht, erheischt sein eigenes Ansehen.




Das Aaiscrhoch und die Sozialdemokratie

gibt, erschöpft sind, so setze ich die Sitzung aus eine halbe Stunde aus." (Leb¬
hafter Beifall rechts und in der Mitte. Lärm links.)

Die um 12^ Uhr unterbrochene Sitzung wurde um 12 6° Uhr wieder eröffnet.
Der stenographische Bericht enthält aber nicht das wichtige Faktum, daß der
Abgeordnete Singer wieder auf seinem Platze war, so wenig wie er Anstalten
gemacht hatte, nach der Ausschließung den Saal zu verlassen. Von dem schärferen
alternativen Mittel, die Sitzung zu schließen, hat der Vizepräsident keinen Gebrauch
gemacht. Er hätte dadurch auch nur den Sozialdemokraten bei ihrer Obstruktion einen
Gefallen getan. Von einer Verfolgung des Abgeordneten Singer wegen Haus¬
friedensbruches ist keine Rede gewesen. Die einzige Anwendung der verschärften
Geschäftsordnung ist also nicht sehr imposant ausgelaufen.

Es läge nahe, noch kurz auf die Verschärfung der Geschäftsordnung im
preußischen Abgeordnetenhause einzugehen. Sie gibt dem Präsidenten bekanntlich
erheblich stärkere Befugnisse als sie sein Kollege im Reichstag besitzt. Jedoch
liebt man im Reichstag solche Seitenblicke nicht. Das Reichsparlament wird
auch am besten tun, nach seinen eigenen Bedürfnissen, ohne auf nicht ganz
anwendbare Parallelen anderer Parlamente zu sehen, sich die Ordnungsbestimmungen
zu schaffen, die es braucht. Die Situation ist für den Reichstag keineswegs
einfach. Vielfach ist man geneigt, von vornherein die Möglichkeit der Abhilfe
zu verneinen. Dabei werden sich aber die großen Parteien schwerlich bescheiden
wollen. Auch wird sorgfältig zu erwägen sein, ob man Maßregeln für den
vorliegenden Fall — Kaiserhoch bei der Schlußsitzung — treffen soll, oder ob
man die Sache unter weiteren Gesichtspunkten anzufassen hat. Eine Gelegenheits¬
arbeit bleibt natürlich stets etwas Mißliches. Wie man sich nun entscheiden
wird: aufgeworfen ist die Frage, nicht durch Schuld der bürgerlichen Parteien,
sondern durch die Sozialdemokratie. Daß der Reichstag an die Lösung der
ihm aufgedrängten Frage ernstlich herangeht, erheischt sein eigenes Ansehen.




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[0455] Das Aaiscrhoch und die Sozialdemokratie gibt, erschöpft sind, so setze ich die Sitzung aus eine halbe Stunde aus." (Leb¬ hafter Beifall rechts und in der Mitte. Lärm links.) Die um 12^ Uhr unterbrochene Sitzung wurde um 12 6° Uhr wieder eröffnet. Der stenographische Bericht enthält aber nicht das wichtige Faktum, daß der Abgeordnete Singer wieder auf seinem Platze war, so wenig wie er Anstalten gemacht hatte, nach der Ausschließung den Saal zu verlassen. Von dem schärferen alternativen Mittel, die Sitzung zu schließen, hat der Vizepräsident keinen Gebrauch gemacht. Er hätte dadurch auch nur den Sozialdemokraten bei ihrer Obstruktion einen Gefallen getan. Von einer Verfolgung des Abgeordneten Singer wegen Haus¬ friedensbruches ist keine Rede gewesen. Die einzige Anwendung der verschärften Geschäftsordnung ist also nicht sehr imposant ausgelaufen. Es läge nahe, noch kurz auf die Verschärfung der Geschäftsordnung im preußischen Abgeordnetenhause einzugehen. Sie gibt dem Präsidenten bekanntlich erheblich stärkere Befugnisse als sie sein Kollege im Reichstag besitzt. Jedoch liebt man im Reichstag solche Seitenblicke nicht. Das Reichsparlament wird auch am besten tun, nach seinen eigenen Bedürfnissen, ohne auf nicht ganz anwendbare Parallelen anderer Parlamente zu sehen, sich die Ordnungsbestimmungen zu schaffen, die es braucht. Die Situation ist für den Reichstag keineswegs einfach. Vielfach ist man geneigt, von vornherein die Möglichkeit der Abhilfe zu verneinen. Dabei werden sich aber die großen Parteien schwerlich bescheiden wollen. Auch wird sorgfältig zu erwägen sein, ob man Maßregeln für den vorliegenden Fall — Kaiserhoch bei der Schlußsitzung — treffen soll, oder ob man die Sache unter weiteren Gesichtspunkten anzufassen hat. Eine Gelegenheits¬ arbeit bleibt natürlich stets etwas Mißliches. Wie man sich nun entscheiden wird: aufgeworfen ist die Frage, nicht durch Schuld der bürgerlichen Parteien, sondern durch die Sozialdemokratie. Daß der Reichstag an die Lösung der ihm aufgedrängten Frage ernstlich herangeht, erheischt sein eigenes Ansehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/455>, abgerufen am 24.07.2024.