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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Rechtssyml'out

war. Hier war er dem Zugriff entzogen, wie der Mörder im alten Griechen¬
land, wenn er die Hörner des Altars umfaßt hielt. Der Abt oder Meier durste
aber den unheimlichen Gast nur eine bestimmte Frist, meist sechs Wochen, bei
sich behalten. Dann mußte er ihn hinaussetzen, was auch schon darum wichtig
war, weil die bloße Tatsache des längeren Aufenthalts bestimmte HcimatSrechte
für den doch nur als Gast Aufgenommenen geschaffen hätte. Das Verlassen des
befriedeten Raumes war aber für den Missetäter gefährlich, besonders dann,
wenn der Bluträchcr, wie häufig genug vorkam, vor dem Tore lauerte. Man
symbolisierte also den Hinauswurf. Der Flüchtling mußte entweder drei Schritt
aus dein Hofe herausmachen, oder gar nur einen oder, wenn die Sache sehr
kritisch war, nur den Fuß aus dem Hof herausstellen. So war dem Hausherrn
und dem Missetäter geholfen.

Eines der wichtigsten Herrschaftsrechte des Mittelalters ist die sogenannte
"Kürmiete", auch "Besthaupt" oder "Todfallrecht" genannt, d. h. das Erbrecht
der Herrschaft gegenüber den Unfreien, bei jeden, Todesfall aus dem Nachlaß
ein Stück von jeder verschiedenen Tierart oder überhaupt Jnventarienklasse zu
nehmen. Das war hart und allmählich traten Milderungen ein. Man ließ der
Herrschaft, damit das Recht gewahrt blieb, einen Schemel, einen Schuh und
dergleichen Nichtigkeiten. Nach einem Weistum hatte die Witwe vor die Tür
zu gehen, irgendein metallnes Geschirr zu nehmen und daran zu klopfen. Die
Herrschaft mußte mit dem Klang zufrieden sein, der zu ihrem Schloß hinschwebte;
soweit hatte sich das Recht, zum Symbol geworden, verdünnt. Etwas ähnlichem
begegnen wir in der Sitte des Fastenhuhns, das ist das Huhn, auf das die
Herrschaft zur Fastenzeit Anspruch hatte, ein über ganz Deutschland verbreitet
gewesener Brauch. Kam nun der Vogt, der den Tribut einsammelte zu einer
Wöchnerin, so mußte er sich mit dem Kopf des Huhnes begnügen. So blieb
das Recht der Herrschaft, das Huhn der Suppe der Frau erhallen.

Schließen wir damit die Beispiele von Symbolen, die sich aus einer ursprüng¬
lichen wirksam gewesenen oder wirksam gedachten Rechtshandlung entwickelt
haben und gehen zu den Sinnbildern über, die bewußt als solche, als bloße
Begleitungen einer anderen Rechtshandlung geschaffen sind, um diese dem
Gedächtnis der Beteiligten stärker einzuprägen, wohl auch um dem Bedürfnis
zu genügen, wichtigere Rechtsgeschäfte auf einer auch äußerlich möglichst breiten
und darum feierlicher wirkenden Grundlage aufzubauen.

So hat das alte deutsche Recht eine ganze Reihe von Symbolen zur Ver¬
sinnbildlichung der Eigentumsübertragung von Grund und Boden, unserer Auf¬
lassung, als eines der wichtigsten Rechtsgeschäfte geschaffen. Das einfachste und
naheliegendste Symbol bestand darin, daß derjenige, der ein Grundstück ausließ,
eine Scholle aus diesem herausbrach, wohl noch ein oder zwei Äste darauf steckte
und dem anderen Teile übergab, ursprünglich in den Schoß warf. Ließ er
ein Gartengrundstück, einen Weinberg, ein Hausgrundstück auf, so überreichte er
oder der Richter oder Schultheiß dem anderen Teil auch wohl nur einen Zweig,


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war. Hier war er dem Zugriff entzogen, wie der Mörder im alten Griechen¬
land, wenn er die Hörner des Altars umfaßt hielt. Der Abt oder Meier durste
aber den unheimlichen Gast nur eine bestimmte Frist, meist sechs Wochen, bei
sich behalten. Dann mußte er ihn hinaussetzen, was auch schon darum wichtig
war, weil die bloße Tatsache des längeren Aufenthalts bestimmte HcimatSrechte
für den doch nur als Gast Aufgenommenen geschaffen hätte. Das Verlassen des
befriedeten Raumes war aber für den Missetäter gefährlich, besonders dann,
wenn der Bluträchcr, wie häufig genug vorkam, vor dem Tore lauerte. Man
symbolisierte also den Hinauswurf. Der Flüchtling mußte entweder drei Schritt
aus dein Hofe herausmachen, oder gar nur einen oder, wenn die Sache sehr
kritisch war, nur den Fuß aus dem Hof herausstellen. So war dem Hausherrn
und dem Missetäter geholfen.

Eines der wichtigsten Herrschaftsrechte des Mittelalters ist die sogenannte
„Kürmiete", auch „Besthaupt" oder „Todfallrecht" genannt, d. h. das Erbrecht
der Herrschaft gegenüber den Unfreien, bei jeden, Todesfall aus dem Nachlaß
ein Stück von jeder verschiedenen Tierart oder überhaupt Jnventarienklasse zu
nehmen. Das war hart und allmählich traten Milderungen ein. Man ließ der
Herrschaft, damit das Recht gewahrt blieb, einen Schemel, einen Schuh und
dergleichen Nichtigkeiten. Nach einem Weistum hatte die Witwe vor die Tür
zu gehen, irgendein metallnes Geschirr zu nehmen und daran zu klopfen. Die
Herrschaft mußte mit dem Klang zufrieden sein, der zu ihrem Schloß hinschwebte;
soweit hatte sich das Recht, zum Symbol geworden, verdünnt. Etwas ähnlichem
begegnen wir in der Sitte des Fastenhuhns, das ist das Huhn, auf das die
Herrschaft zur Fastenzeit Anspruch hatte, ein über ganz Deutschland verbreitet
gewesener Brauch. Kam nun der Vogt, der den Tribut einsammelte zu einer
Wöchnerin, so mußte er sich mit dem Kopf des Huhnes begnügen. So blieb
das Recht der Herrschaft, das Huhn der Suppe der Frau erhallen.

Schließen wir damit die Beispiele von Symbolen, die sich aus einer ursprüng¬
lichen wirksam gewesenen oder wirksam gedachten Rechtshandlung entwickelt
haben und gehen zu den Sinnbildern über, die bewußt als solche, als bloße
Begleitungen einer anderen Rechtshandlung geschaffen sind, um diese dem
Gedächtnis der Beteiligten stärker einzuprägen, wohl auch um dem Bedürfnis
zu genügen, wichtigere Rechtsgeschäfte auf einer auch äußerlich möglichst breiten
und darum feierlicher wirkenden Grundlage aufzubauen.

So hat das alte deutsche Recht eine ganze Reihe von Symbolen zur Ver¬
sinnbildlichung der Eigentumsübertragung von Grund und Boden, unserer Auf¬
lassung, als eines der wichtigsten Rechtsgeschäfte geschaffen. Das einfachste und
naheliegendste Symbol bestand darin, daß derjenige, der ein Grundstück ausließ,
eine Scholle aus diesem herausbrach, wohl noch ein oder zwei Äste darauf steckte
und dem anderen Teile übergab, ursprünglich in den Schoß warf. Ließ er
ein Gartengrundstück, einen Weinberg, ein Hausgrundstück auf, so überreichte er
oder der Richter oder Schultheiß dem anderen Teil auch wohl nur einen Zweig,


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[0035] Rechtssyml'out war. Hier war er dem Zugriff entzogen, wie der Mörder im alten Griechen¬ land, wenn er die Hörner des Altars umfaßt hielt. Der Abt oder Meier durste aber den unheimlichen Gast nur eine bestimmte Frist, meist sechs Wochen, bei sich behalten. Dann mußte er ihn hinaussetzen, was auch schon darum wichtig war, weil die bloße Tatsache des längeren Aufenthalts bestimmte HcimatSrechte für den doch nur als Gast Aufgenommenen geschaffen hätte. Das Verlassen des befriedeten Raumes war aber für den Missetäter gefährlich, besonders dann, wenn der Bluträchcr, wie häufig genug vorkam, vor dem Tore lauerte. Man symbolisierte also den Hinauswurf. Der Flüchtling mußte entweder drei Schritt aus dein Hofe herausmachen, oder gar nur einen oder, wenn die Sache sehr kritisch war, nur den Fuß aus dem Hof herausstellen. So war dem Hausherrn und dem Missetäter geholfen. Eines der wichtigsten Herrschaftsrechte des Mittelalters ist die sogenannte „Kürmiete", auch „Besthaupt" oder „Todfallrecht" genannt, d. h. das Erbrecht der Herrschaft gegenüber den Unfreien, bei jeden, Todesfall aus dem Nachlaß ein Stück von jeder verschiedenen Tierart oder überhaupt Jnventarienklasse zu nehmen. Das war hart und allmählich traten Milderungen ein. Man ließ der Herrschaft, damit das Recht gewahrt blieb, einen Schemel, einen Schuh und dergleichen Nichtigkeiten. Nach einem Weistum hatte die Witwe vor die Tür zu gehen, irgendein metallnes Geschirr zu nehmen und daran zu klopfen. Die Herrschaft mußte mit dem Klang zufrieden sein, der zu ihrem Schloß hinschwebte; soweit hatte sich das Recht, zum Symbol geworden, verdünnt. Etwas ähnlichem begegnen wir in der Sitte des Fastenhuhns, das ist das Huhn, auf das die Herrschaft zur Fastenzeit Anspruch hatte, ein über ganz Deutschland verbreitet gewesener Brauch. Kam nun der Vogt, der den Tribut einsammelte zu einer Wöchnerin, so mußte er sich mit dem Kopf des Huhnes begnügen. So blieb das Recht der Herrschaft, das Huhn der Suppe der Frau erhallen. Schließen wir damit die Beispiele von Symbolen, die sich aus einer ursprüng¬ lichen wirksam gewesenen oder wirksam gedachten Rechtshandlung entwickelt haben und gehen zu den Sinnbildern über, die bewußt als solche, als bloße Begleitungen einer anderen Rechtshandlung geschaffen sind, um diese dem Gedächtnis der Beteiligten stärker einzuprägen, wohl auch um dem Bedürfnis zu genügen, wichtigere Rechtsgeschäfte auf einer auch äußerlich möglichst breiten und darum feierlicher wirkenden Grundlage aufzubauen. So hat das alte deutsche Recht eine ganze Reihe von Symbolen zur Ver¬ sinnbildlichung der Eigentumsübertragung von Grund und Boden, unserer Auf¬ lassung, als eines der wichtigsten Rechtsgeschäfte geschaffen. Das einfachste und naheliegendste Symbol bestand darin, daß derjenige, der ein Grundstück ausließ, eine Scholle aus diesem herausbrach, wohl noch ein oder zwei Äste darauf steckte und dem anderen Teile übergab, ursprünglich in den Schoß warf. Ließ er ein Gartengrundstück, einen Weinberg, ein Hausgrundstück auf, so überreichte er oder der Richter oder Schultheiß dem anderen Teil auch wohl nur einen Zweig,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/35>, abgerufen am 24.07.2024.