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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Mexikofragc

Alle entscheidenden Ursachen für das nun schon so lange währende mexikanische
Elend liegen bei den Vereinigten Staaten von Amerika. Es würde nur zum
Teil richtig sein, zu sagen, sie lägen in Washington. Sind es doch, abgesehen
von der Regierung der Vereinigten Staaten, große amerikanische Finanzgruppen,
die ein starkes Mexiko mit einer selbständigen inneren und auswärtigen
Politik als unerträglich erachten. Die Standard Oil Company steht hier an
erster Stelle; davon später. Wie bei fast allen großen politischen Fragen muß
man auch in der mexikanischen mit der Geographie anfangen, will man die
voraussichtliche Linie ihrer Lösung finden.

Mexiko ist das Nachbarland der Vereinigten Staaten, das Übergangs-
gebiet von der nordamerikanischen Laubmasse zur mittelamerikanischen Enge.
Ebenso wie die Vereinigten Staaten von Amerika reichen auch die Vereinigten
Staaten von Mexiko über die ganze Breite des Kontinents vom Atlantischen
bis zum Stillen Ozean. Die amerikanisch - mexikanische Landgrenze ist lang,
die Berührungsfläche eine ununterbrochene: die beiden Länder sind von der
Natur aufeinander angewiesen. Da die Vereinigten Staaten von Amerika bei
ihrem ungeheuren Überflusse an unausgefüllten Raum territoriale Expansion
weniger nötig hatten, noch haben als irgend ein anderes Volk der Erde, so
wäre normal gewesen, daß ein friedliches und reibungsloses Verhältnis zwischen
ihnen und Mexiko herrschte, sobald Mexiko nach außen und innen ruhig
war. Unter Porfirio Diaz war dieser Zustand in einem seither nicht vor¬
handenen Grade eingetreten, und doch nahmen gerade damals die tiefgehenden
Differenzen zwischen den Vereinigten Staaten und ihrem Nachbarlande den
Anfang: Porfirio mußte beseitigt werden. Aus dieser Tatsache allein schon
geht das Unrechtmäßige und Aggressive der gesamten Mexikopolitik der Ver¬
einigten Staaten hervor. Hätte man ihre Vertreter aber damals gefragt, ob
sie den Besitz von Mexiko wünschten, so würden sie ohne Zweifel und mit aller
Aufrichtigkeit derartige Wünsche in Abrede gestellt haben. Und doch wäre diese
Aufrichtigkeit nur eine scheinbare und oberflächliche gewesen. Man wollte
ebenso wie heute über Mexiko politisch und wirtschaftlich gebieten, ohne es im
landläufigen Sinne des Wortes verantwortlich zu besitzen. Mexiko sollte politisch
willenlos, aber nur den Vereinigten Staaten fügsam, es sollte wirtschaftlich
lediglich Objekt sein, aber wiederum nur für die Vereinigten Staaten. Ob
man das als Monroedoktrin, als eine ihrer später zu erörternden Aus¬
gestaltungen bezeichnen und in ein historisch sich entwickelndes politisch¬
wirtschaftliches System der Vereinigten Staaten eingliedern will, ist ohne Belang,
zudem trübt eine solche Systematisierung leicht den Blick. Im Grunde liegt in
dem amerikanischen Verfahren und Wollen wahrlich nichts ,,Doktrin"haftes, nichts
Doktrinäres enthalten, vielmehr eine sehr einfache Form des politischen und wirt¬
schaftlichen Egoismus. Diese Form ist so einfach und primitiv, daß die Ver¬
einigten Staaten das begreifliche Bedürfnis gehabt haben, sie zu umkleiden mit
"prinzipiellen" Motiven und mit allerhand Brimborium unegoistischen Aussehens.


Die Mexikofragc

Alle entscheidenden Ursachen für das nun schon so lange währende mexikanische
Elend liegen bei den Vereinigten Staaten von Amerika. Es würde nur zum
Teil richtig sein, zu sagen, sie lägen in Washington. Sind es doch, abgesehen
von der Regierung der Vereinigten Staaten, große amerikanische Finanzgruppen,
die ein starkes Mexiko mit einer selbständigen inneren und auswärtigen
Politik als unerträglich erachten. Die Standard Oil Company steht hier an
erster Stelle; davon später. Wie bei fast allen großen politischen Fragen muß
man auch in der mexikanischen mit der Geographie anfangen, will man die
voraussichtliche Linie ihrer Lösung finden.

Mexiko ist das Nachbarland der Vereinigten Staaten, das Übergangs-
gebiet von der nordamerikanischen Laubmasse zur mittelamerikanischen Enge.
Ebenso wie die Vereinigten Staaten von Amerika reichen auch die Vereinigten
Staaten von Mexiko über die ganze Breite des Kontinents vom Atlantischen
bis zum Stillen Ozean. Die amerikanisch - mexikanische Landgrenze ist lang,
die Berührungsfläche eine ununterbrochene: die beiden Länder sind von der
Natur aufeinander angewiesen. Da die Vereinigten Staaten von Amerika bei
ihrem ungeheuren Überflusse an unausgefüllten Raum territoriale Expansion
weniger nötig hatten, noch haben als irgend ein anderes Volk der Erde, so
wäre normal gewesen, daß ein friedliches und reibungsloses Verhältnis zwischen
ihnen und Mexiko herrschte, sobald Mexiko nach außen und innen ruhig
war. Unter Porfirio Diaz war dieser Zustand in einem seither nicht vor¬
handenen Grade eingetreten, und doch nahmen gerade damals die tiefgehenden
Differenzen zwischen den Vereinigten Staaten und ihrem Nachbarlande den
Anfang: Porfirio mußte beseitigt werden. Aus dieser Tatsache allein schon
geht das Unrechtmäßige und Aggressive der gesamten Mexikopolitik der Ver¬
einigten Staaten hervor. Hätte man ihre Vertreter aber damals gefragt, ob
sie den Besitz von Mexiko wünschten, so würden sie ohne Zweifel und mit aller
Aufrichtigkeit derartige Wünsche in Abrede gestellt haben. Und doch wäre diese
Aufrichtigkeit nur eine scheinbare und oberflächliche gewesen. Man wollte
ebenso wie heute über Mexiko politisch und wirtschaftlich gebieten, ohne es im
landläufigen Sinne des Wortes verantwortlich zu besitzen. Mexiko sollte politisch
willenlos, aber nur den Vereinigten Staaten fügsam, es sollte wirtschaftlich
lediglich Objekt sein, aber wiederum nur für die Vereinigten Staaten. Ob
man das als Monroedoktrin, als eine ihrer später zu erörternden Aus¬
gestaltungen bezeichnen und in ein historisch sich entwickelndes politisch¬
wirtschaftliches System der Vereinigten Staaten eingliedern will, ist ohne Belang,
zudem trübt eine solche Systematisierung leicht den Blick. Im Grunde liegt in
dem amerikanischen Verfahren und Wollen wahrlich nichts ,,Doktrin"haftes, nichts
Doktrinäres enthalten, vielmehr eine sehr einfache Form des politischen und wirt¬
schaftlichen Egoismus. Diese Form ist so einfach und primitiv, daß die Ver¬
einigten Staaten das begreifliche Bedürfnis gehabt haben, sie zu umkleiden mit
„prinzipiellen" Motiven und mit allerhand Brimborium unegoistischen Aussehens.


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[0226] Die Mexikofragc Alle entscheidenden Ursachen für das nun schon so lange währende mexikanische Elend liegen bei den Vereinigten Staaten von Amerika. Es würde nur zum Teil richtig sein, zu sagen, sie lägen in Washington. Sind es doch, abgesehen von der Regierung der Vereinigten Staaten, große amerikanische Finanzgruppen, die ein starkes Mexiko mit einer selbständigen inneren und auswärtigen Politik als unerträglich erachten. Die Standard Oil Company steht hier an erster Stelle; davon später. Wie bei fast allen großen politischen Fragen muß man auch in der mexikanischen mit der Geographie anfangen, will man die voraussichtliche Linie ihrer Lösung finden. Mexiko ist das Nachbarland der Vereinigten Staaten, das Übergangs- gebiet von der nordamerikanischen Laubmasse zur mittelamerikanischen Enge. Ebenso wie die Vereinigten Staaten von Amerika reichen auch die Vereinigten Staaten von Mexiko über die ganze Breite des Kontinents vom Atlantischen bis zum Stillen Ozean. Die amerikanisch - mexikanische Landgrenze ist lang, die Berührungsfläche eine ununterbrochene: die beiden Länder sind von der Natur aufeinander angewiesen. Da die Vereinigten Staaten von Amerika bei ihrem ungeheuren Überflusse an unausgefüllten Raum territoriale Expansion weniger nötig hatten, noch haben als irgend ein anderes Volk der Erde, so wäre normal gewesen, daß ein friedliches und reibungsloses Verhältnis zwischen ihnen und Mexiko herrschte, sobald Mexiko nach außen und innen ruhig war. Unter Porfirio Diaz war dieser Zustand in einem seither nicht vor¬ handenen Grade eingetreten, und doch nahmen gerade damals die tiefgehenden Differenzen zwischen den Vereinigten Staaten und ihrem Nachbarlande den Anfang: Porfirio mußte beseitigt werden. Aus dieser Tatsache allein schon geht das Unrechtmäßige und Aggressive der gesamten Mexikopolitik der Ver¬ einigten Staaten hervor. Hätte man ihre Vertreter aber damals gefragt, ob sie den Besitz von Mexiko wünschten, so würden sie ohne Zweifel und mit aller Aufrichtigkeit derartige Wünsche in Abrede gestellt haben. Und doch wäre diese Aufrichtigkeit nur eine scheinbare und oberflächliche gewesen. Man wollte ebenso wie heute über Mexiko politisch und wirtschaftlich gebieten, ohne es im landläufigen Sinne des Wortes verantwortlich zu besitzen. Mexiko sollte politisch willenlos, aber nur den Vereinigten Staaten fügsam, es sollte wirtschaftlich lediglich Objekt sein, aber wiederum nur für die Vereinigten Staaten. Ob man das als Monroedoktrin, als eine ihrer später zu erörternden Aus¬ gestaltungen bezeichnen und in ein historisch sich entwickelndes politisch¬ wirtschaftliches System der Vereinigten Staaten eingliedern will, ist ohne Belang, zudem trübt eine solche Systematisierung leicht den Blick. Im Grunde liegt in dem amerikanischen Verfahren und Wollen wahrlich nichts ,,Doktrin"haftes, nichts Doktrinäres enthalten, vielmehr eine sehr einfache Form des politischen und wirt¬ schaftlichen Egoismus. Diese Form ist so einfach und primitiv, daß die Ver¬ einigten Staaten das begreifliche Bedürfnis gehabt haben, sie zu umkleiden mit „prinzipiellen" Motiven und mit allerhand Brimborium unegoistischen Aussehens.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/226>, abgerufen am 25.07.2024.