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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Heimat find uns viel verständlicher geworden,
als man es sich je früher hätte träumen lassen.
Die ganze Erde ist aber mich in einem anderen
Sinne unsere Heimat geworden : unser Wohl
und Wehe, unsere ganze wirtschaftliche Existenz
ist nach und nach mit der Fremde so unauf¬
löslich verbunden worden, daß wir ohne die
materiellen und geistigen Güter der gesamten
Erde gar nicht mehr auskommen können.

Will sich das Deutsche Reich, inmitten
mißgünstiger Nachbarn, durchsetzen, will es
sich alle Möglichkeiten des Weiterkommens
und Höherkommens sichern, so muß sich der
Deutsche die möglichst genaueste Kenntnis der
Produkte der Erde und ihres Zusammenhanges
mit dem Boden, der Verkehrsmöglichkeit und der
sie bedingenden Eigenschaften der Wasser- und
Luftmeere erwerben, die Völker des Erdballs
studieren, und auch die eigene Heimat aufs
gründlichste kennen lernen: er muß vertraut
werden mit allen Tatsachen, die aus ihrer
gegebenen Lage, ihrem Klima, ihren Boden¬
verhältnissen und der Beschaffenheit ihres
Untergrundes hervorgehen. Auch die Kenntnis
der kartographischen Darstellung sowohl der
Erde überhaupt als auch unserer engen
Heimat ist notwendig. Indem die deutsche
Heeresverwaltung die von ihr hergestellten
Karten jetzt zu äußerst billigen Preisen in
größten Mengen unter das Publikum gebracht
hat, hat sie sich das größte Verdienst er¬
worben, nicht nur um die geographische
Wissenschaft, sondern auch um die deutsche
Jugend, die nun geschult werden kann, die
Karten im Gelände selbst zu benutzen, ein
Vorteil, der im Kriegsfalle sehr in die Wag¬
schale fällt.

Sowohl in den führenden Kreisen wie
in der Masse des Volkes ist das Bedürfnis,
geographisch weiter zu'arbeiten und geo¬
graphisch sich zu bilden, sehr weit verbreitet.
Das beweisen einerseits die zahlreichen Grün¬
dungen geographischer Gesellschaften zu beson¬
deren Zwecken -- ich erinnere nur an die
verschiedenen Gesellschafton zur Kunde Ru߬
lands, Afrikas, Vorderasiens, Ostasiens,
Nord- und Südamerikas, die an verschiedenen
Brennpunkten des geistigen Lebens entstanden
sind --, auf der anderen Seite an den
Umstand, daß alle Vorträge, die über geo¬
graphische Themata in Bildungs- und anderen

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ähnlichen Vereinen gehalten werden, regel¬
mäßig überfüllt sind. Aber durch diese er¬
freulichen Erscheinungen wird die Tatsache
nicht aus der Welt geschafft, daß unsere heran¬
wachsende Jugend auf ihren Bildungsstätten
aller Art keine, oder wenigstens keine aus¬
reichende Gelegenheit findet, sich grundlegende
Kenntnisse in dieser Wissenschaft zu erwerben.
Durch bloßes Anhören von Vorträgen in
reiferem Alter gewinnt man noch lange nicht
einen Einblick in die Fäden, welche sich
zwischen der Erde und den sie bevölkernden
Menschen spinnen, wenn es an den nötigen
Vorkenntnissen gebricht. Es muß immer wieder
betont werden: erfolgreich kann der Bewohner
des Deutschen Reiches seine in ihm schlum¬
mernden Kräfte nur dann entfalten, wenn er
nicht bloß weiß, daß dies oder das auf der
Erde so ist, wie es ist, sondern wenn er be¬
greifen lernt, warum es so ist, und daß es
auch anders sein könnte, wenn die Vorbedin¬
gungen andere wären. Dann wird er auch
imstande sein, in dem einen oder anderen
Falle bessere Vorbedingungen zu schaffen, so
daß er auch bessere Früchte seiner Arbeit
ernten kann.

Auf den deutschen Hochschulen hat sich die
Erdkunde, von einigen höchst bedauerlichen
Ausnahmen abgesehen, diejenige Stellung er¬
rungen, welche ihr im Kreise der Wissen¬
schaften zukommt; sie ist in der Lage, ihre
Jünger durch Vorträge und Übungen aller
Art, durch Büchereien und Jnstrumenten-
sammlungen auf den künftigen Beruf an un¬
seren höheren Schulen, nicht nur genügend,
sondern gut, vorzubereiten. Aber was nützen
alle diese schönen Einrichtungen, was nützen
alle Fortschritte der Wissenschaft, was nützt
der Eifer des Volkes, sich geographische Bil¬
dung anzueignen, wenn das Zwischenglied,
die Vermittlung der Fortschritte der Wissen¬
schaft an die aufnahmebedürftige und auf¬
nahmefähige Jugend fehlt!

Fortführung des geographischen Unterrichts
bis in die obersten Klassen durch geographisch
vorgebildete Fachlehrer, mögen sie nun die
Erdkunde als spezielles Fach ergriffen haben
oder sonst Historiker, Naturwissenschaftler,
Mathematiker, Neuphilologen, meinetwegen
auch Altphilologen sein, das muß die Losung
für unsere Schule sein und in diesem Sinne

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Heimat find uns viel verständlicher geworden,
als man es sich je früher hätte träumen lassen.
Die ganze Erde ist aber mich in einem anderen
Sinne unsere Heimat geworden : unser Wohl
und Wehe, unsere ganze wirtschaftliche Existenz
ist nach und nach mit der Fremde so unauf¬
löslich verbunden worden, daß wir ohne die
materiellen und geistigen Güter der gesamten
Erde gar nicht mehr auskommen können.

Will sich das Deutsche Reich, inmitten
mißgünstiger Nachbarn, durchsetzen, will es
sich alle Möglichkeiten des Weiterkommens
und Höherkommens sichern, so muß sich der
Deutsche die möglichst genaueste Kenntnis der
Produkte der Erde und ihres Zusammenhanges
mit dem Boden, der Verkehrsmöglichkeit und der
sie bedingenden Eigenschaften der Wasser- und
Luftmeere erwerben, die Völker des Erdballs
studieren, und auch die eigene Heimat aufs
gründlichste kennen lernen: er muß vertraut
werden mit allen Tatsachen, die aus ihrer
gegebenen Lage, ihrem Klima, ihren Boden¬
verhältnissen und der Beschaffenheit ihres
Untergrundes hervorgehen. Auch die Kenntnis
der kartographischen Darstellung sowohl der
Erde überhaupt als auch unserer engen
Heimat ist notwendig. Indem die deutsche
Heeresverwaltung die von ihr hergestellten
Karten jetzt zu äußerst billigen Preisen in
größten Mengen unter das Publikum gebracht
hat, hat sie sich das größte Verdienst er¬
worben, nicht nur um die geographische
Wissenschaft, sondern auch um die deutsche
Jugend, die nun geschult werden kann, die
Karten im Gelände selbst zu benutzen, ein
Vorteil, der im Kriegsfalle sehr in die Wag¬
schale fällt.

Sowohl in den führenden Kreisen wie
in der Masse des Volkes ist das Bedürfnis,
geographisch weiter zu'arbeiten und geo¬
graphisch sich zu bilden, sehr weit verbreitet.
Das beweisen einerseits die zahlreichen Grün¬
dungen geographischer Gesellschaften zu beson¬
deren Zwecken — ich erinnere nur an die
verschiedenen Gesellschafton zur Kunde Ru߬
lands, Afrikas, Vorderasiens, Ostasiens,
Nord- und Südamerikas, die an verschiedenen
Brennpunkten des geistigen Lebens entstanden
sind —, auf der anderen Seite an den
Umstand, daß alle Vorträge, die über geo¬
graphische Themata in Bildungs- und anderen

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ähnlichen Vereinen gehalten werden, regel¬
mäßig überfüllt sind. Aber durch diese er¬
freulichen Erscheinungen wird die Tatsache
nicht aus der Welt geschafft, daß unsere heran¬
wachsende Jugend auf ihren Bildungsstätten
aller Art keine, oder wenigstens keine aus¬
reichende Gelegenheit findet, sich grundlegende
Kenntnisse in dieser Wissenschaft zu erwerben.
Durch bloßes Anhören von Vorträgen in
reiferem Alter gewinnt man noch lange nicht
einen Einblick in die Fäden, welche sich
zwischen der Erde und den sie bevölkernden
Menschen spinnen, wenn es an den nötigen
Vorkenntnissen gebricht. Es muß immer wieder
betont werden: erfolgreich kann der Bewohner
des Deutschen Reiches seine in ihm schlum¬
mernden Kräfte nur dann entfalten, wenn er
nicht bloß weiß, daß dies oder das auf der
Erde so ist, wie es ist, sondern wenn er be¬
greifen lernt, warum es so ist, und daß es
auch anders sein könnte, wenn die Vorbedin¬
gungen andere wären. Dann wird er auch
imstande sein, in dem einen oder anderen
Falle bessere Vorbedingungen zu schaffen, so
daß er auch bessere Früchte seiner Arbeit
ernten kann.

Auf den deutschen Hochschulen hat sich die
Erdkunde, von einigen höchst bedauerlichen
Ausnahmen abgesehen, diejenige Stellung er¬
rungen, welche ihr im Kreise der Wissen¬
schaften zukommt; sie ist in der Lage, ihre
Jünger durch Vorträge und Übungen aller
Art, durch Büchereien und Jnstrumenten-
sammlungen auf den künftigen Beruf an un¬
seren höheren Schulen, nicht nur genügend,
sondern gut, vorzubereiten. Aber was nützen
alle diese schönen Einrichtungen, was nützen
alle Fortschritte der Wissenschaft, was nützt
der Eifer des Volkes, sich geographische Bil¬
dung anzueignen, wenn das Zwischenglied,
die Vermittlung der Fortschritte der Wissen¬
schaft an die aufnahmebedürftige und auf¬
nahmefähige Jugend fehlt!

Fortführung des geographischen Unterrichts
bis in die obersten Klassen durch geographisch
vorgebildete Fachlehrer, mögen sie nun die
Erdkunde als spezielles Fach ergriffen haben
oder sonst Historiker, Naturwissenschaftler,
Mathematiker, Neuphilologen, meinetwegen
auch Altphilologen sein, das muß die Losung
für unsere Schule sein und in diesem Sinne

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[0103] Maßgebliches und Unmaßgebliches Heimat find uns viel verständlicher geworden, als man es sich je früher hätte träumen lassen. Die ganze Erde ist aber mich in einem anderen Sinne unsere Heimat geworden : unser Wohl und Wehe, unsere ganze wirtschaftliche Existenz ist nach und nach mit der Fremde so unauf¬ löslich verbunden worden, daß wir ohne die materiellen und geistigen Güter der gesamten Erde gar nicht mehr auskommen können. Will sich das Deutsche Reich, inmitten mißgünstiger Nachbarn, durchsetzen, will es sich alle Möglichkeiten des Weiterkommens und Höherkommens sichern, so muß sich der Deutsche die möglichst genaueste Kenntnis der Produkte der Erde und ihres Zusammenhanges mit dem Boden, der Verkehrsmöglichkeit und der sie bedingenden Eigenschaften der Wasser- und Luftmeere erwerben, die Völker des Erdballs studieren, und auch die eigene Heimat aufs gründlichste kennen lernen: er muß vertraut werden mit allen Tatsachen, die aus ihrer gegebenen Lage, ihrem Klima, ihren Boden¬ verhältnissen und der Beschaffenheit ihres Untergrundes hervorgehen. Auch die Kenntnis der kartographischen Darstellung sowohl der Erde überhaupt als auch unserer engen Heimat ist notwendig. Indem die deutsche Heeresverwaltung die von ihr hergestellten Karten jetzt zu äußerst billigen Preisen in größten Mengen unter das Publikum gebracht hat, hat sie sich das größte Verdienst er¬ worben, nicht nur um die geographische Wissenschaft, sondern auch um die deutsche Jugend, die nun geschult werden kann, die Karten im Gelände selbst zu benutzen, ein Vorteil, der im Kriegsfalle sehr in die Wag¬ schale fällt. Sowohl in den führenden Kreisen wie in der Masse des Volkes ist das Bedürfnis, geographisch weiter zu'arbeiten und geo¬ graphisch sich zu bilden, sehr weit verbreitet. Das beweisen einerseits die zahlreichen Grün¬ dungen geographischer Gesellschaften zu beson¬ deren Zwecken — ich erinnere nur an die verschiedenen Gesellschafton zur Kunde Ru߬ lands, Afrikas, Vorderasiens, Ostasiens, Nord- und Südamerikas, die an verschiedenen Brennpunkten des geistigen Lebens entstanden sind —, auf der anderen Seite an den Umstand, daß alle Vorträge, die über geo¬ graphische Themata in Bildungs- und anderen ähnlichen Vereinen gehalten werden, regel¬ mäßig überfüllt sind. Aber durch diese er¬ freulichen Erscheinungen wird die Tatsache nicht aus der Welt geschafft, daß unsere heran¬ wachsende Jugend auf ihren Bildungsstätten aller Art keine, oder wenigstens keine aus¬ reichende Gelegenheit findet, sich grundlegende Kenntnisse in dieser Wissenschaft zu erwerben. Durch bloßes Anhören von Vorträgen in reiferem Alter gewinnt man noch lange nicht einen Einblick in die Fäden, welche sich zwischen der Erde und den sie bevölkernden Menschen spinnen, wenn es an den nötigen Vorkenntnissen gebricht. Es muß immer wieder betont werden: erfolgreich kann der Bewohner des Deutschen Reiches seine in ihm schlum¬ mernden Kräfte nur dann entfalten, wenn er nicht bloß weiß, daß dies oder das auf der Erde so ist, wie es ist, sondern wenn er be¬ greifen lernt, warum es so ist, und daß es auch anders sein könnte, wenn die Vorbedin¬ gungen andere wären. Dann wird er auch imstande sein, in dem einen oder anderen Falle bessere Vorbedingungen zu schaffen, so daß er auch bessere Früchte seiner Arbeit ernten kann. Auf den deutschen Hochschulen hat sich die Erdkunde, von einigen höchst bedauerlichen Ausnahmen abgesehen, diejenige Stellung er¬ rungen, welche ihr im Kreise der Wissen¬ schaften zukommt; sie ist in der Lage, ihre Jünger durch Vorträge und Übungen aller Art, durch Büchereien und Jnstrumenten- sammlungen auf den künftigen Beruf an un¬ seren höheren Schulen, nicht nur genügend, sondern gut, vorzubereiten. Aber was nützen alle diese schönen Einrichtungen, was nützen alle Fortschritte der Wissenschaft, was nützt der Eifer des Volkes, sich geographische Bil¬ dung anzueignen, wenn das Zwischenglied, die Vermittlung der Fortschritte der Wissen¬ schaft an die aufnahmebedürftige und auf¬ nahmefähige Jugend fehlt! Fortführung des geographischen Unterrichts bis in die obersten Klassen durch geographisch vorgebildete Fachlehrer, mögen sie nun die Erdkunde als spezielles Fach ergriffen haben oder sonst Historiker, Naturwissenschaftler, Mathematiker, Neuphilologen, meinetwegen auch Altphilologen sein, das muß die Losung für unsere Schule sein und in diesem Sinne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/103>, abgerufen am 22.06.2024.