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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Briefe an August Wilhelm Schlegel

Ich glaubte Ihnen recht viel von der Friseurskomödie sagen zu kommen;
allein zu schlecht, um zu amüsieren und zu gut, um darüber zu lachen, hab ich
sie gleich nach dem ersten Akt verlassen.




In der Folgezeit ruhte der briefliche Verkehr Arnswaldts mit Schlegel vier¬
einhalb Jahre. Ersterer wurde inzwischen 1791 hannoverscher Hof- und Kanzleirat
und im folgenden Jahre Kammerrat, während Schlegel im Sommer 1791 von
Göttingen nach Amsterdam ging und dort im Hause des reichen holländischen
Kaufherrn Muilman eine Reihe von Jahren als Hofmeister tätig war. Als
im Mai 1793 Schlegels schöne Freundin Carolina verwittwete Böhmer in Ge¬
fangenschaft geriet, machte Wilhelm von Humboldt in einem Briefe vom
25. Mai 17934") Schlegeln den Vorschlag, er möchte sich, um ihre Freilassung
zu erwirken, an die Hannöversche Regierung wenden: "Sollten Sie vielleicht
durch den jungen Arenswald °°) etwas ausrichten können?" Der Schritt unter¬
blieb. Carolina wurde vielmehr auf Grund einer Eingabe ihres Bruders Philipp
an den König von Preußen ^) in Freiheit gesetzt. Erst die kriegerischen Ereignisse,
die sich im September 1793 an der holländischen Grenze abspielten, insbesondere
die schwere Niederlage, welche der französische General Houchard den von
General Wallmoden befehligten Hannoveranern am 8. September 1793 bei
Hondschoote beibrachte^), gaben den Anlaß, daß Arnswalde und Schlegel sich
nochmals schrieben. Leider besitzen wir wieder nur Arnswaldts Brief. Er lautet:


V.

Hannover am 25. Sept. 1793.

Ihren Brief erhielt ich gestern, lieber Freund, und ich eile Ihnen für die
freundschaftliche Art, worin Sie meine Bitte erfüllt haben, zu danken. Nicht
um Neuigkeiten war nur es indes dabei zu thun, sondern um die fernere Dauer
unsrer wechselseitigen Verhältnisse. Alles, mein theurer Schlegel, was von Ihnen
kommt, ist mir werth; denn es erinnert mich an unsre Goettingische Stunden,
die mir unvergeßlich sind und die ich immer zu den angenehmsten meines Lebens
rechne. Die Unbefangenheit, welche den Umgang dieser Periode begleitet, kehrt
späterhin nie wieder; in die Verhältniße des bürgerlichen Lebens eingetreten
sind es fast immer nur diese, welche uns den Menschen nähern; und tausend
Rücksichten entfernen hier Offenheit, wovon der freundschaftliche Umgang sein
Hauptinteresse erhält. -- Oft mein theurer Freund hab' ich in diesen letzten
Zeiten Ihrer gedacht; ich mag Sie kaum an die Veranlassung erinnern; allein
em fast ähnlicher Verlust setzt mich in den Stand. Ihre Empfindungen zu






4°) Vgl. Caroline, hrsg. von Erich Schmidt I 6S3,
°°) Gemeine kann nur Arnswalde sein.
") Vgl. Caroline I 300 u. 702.
°2) Vgl. Heinrich von Syvel, Gesch. der Revolutionszeit II" 391 f. und Arthur Chuquet,
l-es Zuerrss cle I-> rövolution XI: Hondschoote (Paris 1396).
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Briefe an August Wilhelm Schlegel

Ich glaubte Ihnen recht viel von der Friseurskomödie sagen zu kommen;
allein zu schlecht, um zu amüsieren und zu gut, um darüber zu lachen, hab ich
sie gleich nach dem ersten Akt verlassen.




In der Folgezeit ruhte der briefliche Verkehr Arnswaldts mit Schlegel vier¬
einhalb Jahre. Ersterer wurde inzwischen 1791 hannoverscher Hof- und Kanzleirat
und im folgenden Jahre Kammerrat, während Schlegel im Sommer 1791 von
Göttingen nach Amsterdam ging und dort im Hause des reichen holländischen
Kaufherrn Muilman eine Reihe von Jahren als Hofmeister tätig war. Als
im Mai 1793 Schlegels schöne Freundin Carolina verwittwete Böhmer in Ge¬
fangenschaft geriet, machte Wilhelm von Humboldt in einem Briefe vom
25. Mai 17934") Schlegeln den Vorschlag, er möchte sich, um ihre Freilassung
zu erwirken, an die Hannöversche Regierung wenden: „Sollten Sie vielleicht
durch den jungen Arenswald °°) etwas ausrichten können?" Der Schritt unter¬
blieb. Carolina wurde vielmehr auf Grund einer Eingabe ihres Bruders Philipp
an den König von Preußen ^) in Freiheit gesetzt. Erst die kriegerischen Ereignisse,
die sich im September 1793 an der holländischen Grenze abspielten, insbesondere
die schwere Niederlage, welche der französische General Houchard den von
General Wallmoden befehligten Hannoveranern am 8. September 1793 bei
Hondschoote beibrachte^), gaben den Anlaß, daß Arnswalde und Schlegel sich
nochmals schrieben. Leider besitzen wir wieder nur Arnswaldts Brief. Er lautet:


V.

Hannover am 25. Sept. 1793.

Ihren Brief erhielt ich gestern, lieber Freund, und ich eile Ihnen für die
freundschaftliche Art, worin Sie meine Bitte erfüllt haben, zu danken. Nicht
um Neuigkeiten war nur es indes dabei zu thun, sondern um die fernere Dauer
unsrer wechselseitigen Verhältnisse. Alles, mein theurer Schlegel, was von Ihnen
kommt, ist mir werth; denn es erinnert mich an unsre Goettingische Stunden,
die mir unvergeßlich sind und die ich immer zu den angenehmsten meines Lebens
rechne. Die Unbefangenheit, welche den Umgang dieser Periode begleitet, kehrt
späterhin nie wieder; in die Verhältniße des bürgerlichen Lebens eingetreten
sind es fast immer nur diese, welche uns den Menschen nähern; und tausend
Rücksichten entfernen hier Offenheit, wovon der freundschaftliche Umgang sein
Hauptinteresse erhält. — Oft mein theurer Freund hab' ich in diesen letzten
Zeiten Ihrer gedacht; ich mag Sie kaum an die Veranlassung erinnern; allein
em fast ähnlicher Verlust setzt mich in den Stand. Ihre Empfindungen zu






4°) Vgl. Caroline, hrsg. von Erich Schmidt I 6S3,
°°) Gemeine kann nur Arnswalde sein.
") Vgl. Caroline I 300 u. 702.
°2) Vgl. Heinrich von Syvel, Gesch. der Revolutionszeit II" 391 f. und Arthur Chuquet,
l-es Zuerrss cle I-> rövolution XI: Hondschoote (Paris 1396).
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[0511] Briefe an August Wilhelm Schlegel Ich glaubte Ihnen recht viel von der Friseurskomödie sagen zu kommen; allein zu schlecht, um zu amüsieren und zu gut, um darüber zu lachen, hab ich sie gleich nach dem ersten Akt verlassen. In der Folgezeit ruhte der briefliche Verkehr Arnswaldts mit Schlegel vier¬ einhalb Jahre. Ersterer wurde inzwischen 1791 hannoverscher Hof- und Kanzleirat und im folgenden Jahre Kammerrat, während Schlegel im Sommer 1791 von Göttingen nach Amsterdam ging und dort im Hause des reichen holländischen Kaufherrn Muilman eine Reihe von Jahren als Hofmeister tätig war. Als im Mai 1793 Schlegels schöne Freundin Carolina verwittwete Böhmer in Ge¬ fangenschaft geriet, machte Wilhelm von Humboldt in einem Briefe vom 25. Mai 17934") Schlegeln den Vorschlag, er möchte sich, um ihre Freilassung zu erwirken, an die Hannöversche Regierung wenden: „Sollten Sie vielleicht durch den jungen Arenswald °°) etwas ausrichten können?" Der Schritt unter¬ blieb. Carolina wurde vielmehr auf Grund einer Eingabe ihres Bruders Philipp an den König von Preußen ^) in Freiheit gesetzt. Erst die kriegerischen Ereignisse, die sich im September 1793 an der holländischen Grenze abspielten, insbesondere die schwere Niederlage, welche der französische General Houchard den von General Wallmoden befehligten Hannoveranern am 8. September 1793 bei Hondschoote beibrachte^), gaben den Anlaß, daß Arnswalde und Schlegel sich nochmals schrieben. Leider besitzen wir wieder nur Arnswaldts Brief. Er lautet: V. Hannover am 25. Sept. 1793. Ihren Brief erhielt ich gestern, lieber Freund, und ich eile Ihnen für die freundschaftliche Art, worin Sie meine Bitte erfüllt haben, zu danken. Nicht um Neuigkeiten war nur es indes dabei zu thun, sondern um die fernere Dauer unsrer wechselseitigen Verhältnisse. Alles, mein theurer Schlegel, was von Ihnen kommt, ist mir werth; denn es erinnert mich an unsre Goettingische Stunden, die mir unvergeßlich sind und die ich immer zu den angenehmsten meines Lebens rechne. Die Unbefangenheit, welche den Umgang dieser Periode begleitet, kehrt späterhin nie wieder; in die Verhältniße des bürgerlichen Lebens eingetreten sind es fast immer nur diese, welche uns den Menschen nähern; und tausend Rücksichten entfernen hier Offenheit, wovon der freundschaftliche Umgang sein Hauptinteresse erhält. — Oft mein theurer Freund hab' ich in diesen letzten Zeiten Ihrer gedacht; ich mag Sie kaum an die Veranlassung erinnern; allein em fast ähnlicher Verlust setzt mich in den Stand. Ihre Empfindungen zu 4°) Vgl. Caroline, hrsg. von Erich Schmidt I 6S3, °°) Gemeine kann nur Arnswalde sein. ") Vgl. Caroline I 300 u. 702. °2) Vgl. Heinrich von Syvel, Gesch. der Revolutionszeit II" 391 f. und Arthur Chuquet, l-es Zuerrss cle I-> rövolution XI: Hondschoote (Paris 1396). 32»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/511>, abgerufen am 04.01.2025.