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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Neugestaltung des deutschen Zivilprozesses

Richterspruch nicht erwarten zu können. Es wäre also mit dieser Einrichtung
bereits wieder die Grundlage sür neue Unzufriedenheit gegeben. Aber auch
andere Bedenken müssen hiergegen aufstoßen; vor allem würde die Arbeitskraft
und die Zeit des Richters dem eigentlichen Gebiete seiner Tätigkeit, der Recht¬
sprechung, zu sehr entzogen.

Es steht dem nichts im Wege, daß Rechtsanwälte, Rechtsauskunftstellen
und Anmeldestuben zugleich auch, um einmal zusammenfassend diesen Ausdruck
hier zu gebrauchen, als Einigungsämter in Tätigkeit treten. Zurzeit haben
diese Funktion, soweit staatliche Einrichtungen in Frage kommen, die Amts¬
gerichte und die Schiedsmänner zu erfüllen. Erstere sind auch künftig als
Ämter für diesen Teil der Rechtspflege beizubehalten. Dagegen wird den
Schiedsmännern, deren Tätigkeit auf diesem Gebiete ohnehin immer mehr an
Bedeutung verliert, nur noch das Sühneverfahren in Privatklagesachen zu be¬
lassen sein, denn sie vermögen den Rechtsuchenden nicht die erforderlichen
Garantien für eine sachgemäße Erledigung ihrer Anliegen zu bieten, weil ihnen
fast immer jegliche juristische Vorbildung und Schulung und oft auch das Ver¬
ständnis für Fragen zivilrechtlicher Natur -- Eigenschaften, welche gerade auch
für das Sühneverfahren unerläßlich sind -- schien. Den Rechtsuchenden stehen
ja bei der vorgeschlagenen Regelung die verschiedensten Einrichtungen offen,
unter denen sie, je nachdem sie der einen oder der anderen größeres Vertrauen
entgegenbringen, die Wahl haben, ganz abgesehen von den unter diesen Um¬
ständen allerdings größtenteils überflüssig werdenden privaten Einigungsämtern.

Die Möglichkeit, bei derselben Stelle, die der Erteilung von Rechtsrat und
Rechtsauskunft dient, auch das Sühneverfahren mit dem Gegner zu betreiben,
würde einen großen Vorteil bedeuten. Freilich hängt die Gewährung dieser
Möglichkeit von einer Maßnahme ab, die immerhin von großer Bedeutung ist.
Es handelt sich darum, daß den Nechtsanwälten die Stellung von staatlichen
Beamten, den Rechtsauskunftstellen die Eigenschaft staatlicher Behörden zu ver¬
leihen ist, soweit sie die Funktionen der Emigungsämter auszuüben haben.
Denn einer ersprießlichen Förderung des Gedankens der Sühne und Streit¬
schlichtung wäre nur dann der Boden geebnet, wenn die in einem Einigungs¬
verfahren geschlossenen Vergleiche, ähnlich wie die im § 794 Ziffer 5 der Zivil¬
prozeßordnung erwähnten notariellen oder gerichtlichen Urkunden, ausnahmslos zu
vollstreckbaren Schuldtiteln erhoben würden, zum mindesten falls sich der Schuldner
darin ausdrücklich der sofortigen Zwangsvollstreckung unterwirft. Einem Vergleich,
zu dessen Erfüllung der Schuldner erst wieder durch Betreibung des Mahnver¬
fahrens oder durch Anstrengung der Klage angehalten werden müßte, kommt
nicht der gleiche Wert zu, wie einem ohne Urteil oder Zahlungsbefehl voll¬
streckbaren Titel. Urkunden, welche nicht von Beamten oder Behörden auf¬
genommen sind, könnten aber nie die Eigenschaft eines Vollstreckungstitels er¬
langen. Übrigens liegt in dem Vorschlage, die Rechtsanwälte zu staatlichen
Beamten zu ernennen, soweit sie die Funktionen der alten Schiedsmänner über-


Die Neugestaltung des deutschen Zivilprozesses

Richterspruch nicht erwarten zu können. Es wäre also mit dieser Einrichtung
bereits wieder die Grundlage sür neue Unzufriedenheit gegeben. Aber auch
andere Bedenken müssen hiergegen aufstoßen; vor allem würde die Arbeitskraft
und die Zeit des Richters dem eigentlichen Gebiete seiner Tätigkeit, der Recht¬
sprechung, zu sehr entzogen.

Es steht dem nichts im Wege, daß Rechtsanwälte, Rechtsauskunftstellen
und Anmeldestuben zugleich auch, um einmal zusammenfassend diesen Ausdruck
hier zu gebrauchen, als Einigungsämter in Tätigkeit treten. Zurzeit haben
diese Funktion, soweit staatliche Einrichtungen in Frage kommen, die Amts¬
gerichte und die Schiedsmänner zu erfüllen. Erstere sind auch künftig als
Ämter für diesen Teil der Rechtspflege beizubehalten. Dagegen wird den
Schiedsmännern, deren Tätigkeit auf diesem Gebiete ohnehin immer mehr an
Bedeutung verliert, nur noch das Sühneverfahren in Privatklagesachen zu be¬
lassen sein, denn sie vermögen den Rechtsuchenden nicht die erforderlichen
Garantien für eine sachgemäße Erledigung ihrer Anliegen zu bieten, weil ihnen
fast immer jegliche juristische Vorbildung und Schulung und oft auch das Ver¬
ständnis für Fragen zivilrechtlicher Natur — Eigenschaften, welche gerade auch
für das Sühneverfahren unerläßlich sind — schien. Den Rechtsuchenden stehen
ja bei der vorgeschlagenen Regelung die verschiedensten Einrichtungen offen,
unter denen sie, je nachdem sie der einen oder der anderen größeres Vertrauen
entgegenbringen, die Wahl haben, ganz abgesehen von den unter diesen Um¬
ständen allerdings größtenteils überflüssig werdenden privaten Einigungsämtern.

Die Möglichkeit, bei derselben Stelle, die der Erteilung von Rechtsrat und
Rechtsauskunft dient, auch das Sühneverfahren mit dem Gegner zu betreiben,
würde einen großen Vorteil bedeuten. Freilich hängt die Gewährung dieser
Möglichkeit von einer Maßnahme ab, die immerhin von großer Bedeutung ist.
Es handelt sich darum, daß den Nechtsanwälten die Stellung von staatlichen
Beamten, den Rechtsauskunftstellen die Eigenschaft staatlicher Behörden zu ver¬
leihen ist, soweit sie die Funktionen der Emigungsämter auszuüben haben.
Denn einer ersprießlichen Förderung des Gedankens der Sühne und Streit¬
schlichtung wäre nur dann der Boden geebnet, wenn die in einem Einigungs¬
verfahren geschlossenen Vergleiche, ähnlich wie die im § 794 Ziffer 5 der Zivil¬
prozeßordnung erwähnten notariellen oder gerichtlichen Urkunden, ausnahmslos zu
vollstreckbaren Schuldtiteln erhoben würden, zum mindesten falls sich der Schuldner
darin ausdrücklich der sofortigen Zwangsvollstreckung unterwirft. Einem Vergleich,
zu dessen Erfüllung der Schuldner erst wieder durch Betreibung des Mahnver¬
fahrens oder durch Anstrengung der Klage angehalten werden müßte, kommt
nicht der gleiche Wert zu, wie einem ohne Urteil oder Zahlungsbefehl voll¬
streckbaren Titel. Urkunden, welche nicht von Beamten oder Behörden auf¬
genommen sind, könnten aber nie die Eigenschaft eines Vollstreckungstitels er¬
langen. Übrigens liegt in dem Vorschlage, die Rechtsanwälte zu staatlichen
Beamten zu ernennen, soweit sie die Funktionen der alten Schiedsmänner über-


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[0167] Die Neugestaltung des deutschen Zivilprozesses Richterspruch nicht erwarten zu können. Es wäre also mit dieser Einrichtung bereits wieder die Grundlage sür neue Unzufriedenheit gegeben. Aber auch andere Bedenken müssen hiergegen aufstoßen; vor allem würde die Arbeitskraft und die Zeit des Richters dem eigentlichen Gebiete seiner Tätigkeit, der Recht¬ sprechung, zu sehr entzogen. Es steht dem nichts im Wege, daß Rechtsanwälte, Rechtsauskunftstellen und Anmeldestuben zugleich auch, um einmal zusammenfassend diesen Ausdruck hier zu gebrauchen, als Einigungsämter in Tätigkeit treten. Zurzeit haben diese Funktion, soweit staatliche Einrichtungen in Frage kommen, die Amts¬ gerichte und die Schiedsmänner zu erfüllen. Erstere sind auch künftig als Ämter für diesen Teil der Rechtspflege beizubehalten. Dagegen wird den Schiedsmännern, deren Tätigkeit auf diesem Gebiete ohnehin immer mehr an Bedeutung verliert, nur noch das Sühneverfahren in Privatklagesachen zu be¬ lassen sein, denn sie vermögen den Rechtsuchenden nicht die erforderlichen Garantien für eine sachgemäße Erledigung ihrer Anliegen zu bieten, weil ihnen fast immer jegliche juristische Vorbildung und Schulung und oft auch das Ver¬ ständnis für Fragen zivilrechtlicher Natur — Eigenschaften, welche gerade auch für das Sühneverfahren unerläßlich sind — schien. Den Rechtsuchenden stehen ja bei der vorgeschlagenen Regelung die verschiedensten Einrichtungen offen, unter denen sie, je nachdem sie der einen oder der anderen größeres Vertrauen entgegenbringen, die Wahl haben, ganz abgesehen von den unter diesen Um¬ ständen allerdings größtenteils überflüssig werdenden privaten Einigungsämtern. Die Möglichkeit, bei derselben Stelle, die der Erteilung von Rechtsrat und Rechtsauskunft dient, auch das Sühneverfahren mit dem Gegner zu betreiben, würde einen großen Vorteil bedeuten. Freilich hängt die Gewährung dieser Möglichkeit von einer Maßnahme ab, die immerhin von großer Bedeutung ist. Es handelt sich darum, daß den Nechtsanwälten die Stellung von staatlichen Beamten, den Rechtsauskunftstellen die Eigenschaft staatlicher Behörden zu ver¬ leihen ist, soweit sie die Funktionen der Emigungsämter auszuüben haben. Denn einer ersprießlichen Förderung des Gedankens der Sühne und Streit¬ schlichtung wäre nur dann der Boden geebnet, wenn die in einem Einigungs¬ verfahren geschlossenen Vergleiche, ähnlich wie die im § 794 Ziffer 5 der Zivil¬ prozeßordnung erwähnten notariellen oder gerichtlichen Urkunden, ausnahmslos zu vollstreckbaren Schuldtiteln erhoben würden, zum mindesten falls sich der Schuldner darin ausdrücklich der sofortigen Zwangsvollstreckung unterwirft. Einem Vergleich, zu dessen Erfüllung der Schuldner erst wieder durch Betreibung des Mahnver¬ fahrens oder durch Anstrengung der Klage angehalten werden müßte, kommt nicht der gleiche Wert zu, wie einem ohne Urteil oder Zahlungsbefehl voll¬ streckbaren Titel. Urkunden, welche nicht von Beamten oder Behörden auf¬ genommen sind, könnten aber nie die Eigenschaft eines Vollstreckungstitels er¬ langen. Übrigens liegt in dem Vorschlage, die Rechtsanwälte zu staatlichen Beamten zu ernennen, soweit sie die Funktionen der alten Schiedsmänner über-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/167>, abgerufen am 01.01.2025.