Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] ein Student von ihm unterrichtet zu werden So hatte er endlich sich selbst gefunden. Sicher war er nicht das, was man eine Wie die Prophetie wesentlich Ausfluß des zu krönen. Wie Fichte einmal sagte: ich In Wahrheit trug er unter der Redner¬ Friedrich Wilhelm der Dritte verdient Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] ein Student von ihm unterrichtet zu werden So hatte er endlich sich selbst gefunden. Sicher war er nicht das, was man eine Wie die Prophetie wesentlich Ausfluß des zu krönen. Wie Fichte einmal sagte: ich In Wahrheit trug er unter der Redner¬ Friedrich Wilhelm der Dritte verdient <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0151" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327617"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <cb type="start"/> <p xml:id="ID_636" prev="#ID_635"> ein Student von ihm unterrichtet zu werden<lb/> wünschte.</p> <p xml:id="ID_637"> So hatte er endlich sich selbst gefunden.<lb/> Als er 1793 die Schweizerin Maria Nahn<lb/> geheiratet hatte, trug ihn, Wider Erwarten,<lb/> zum erstenmal eine schön gewölbte Woge des<lb/> Glücks empor: 1794 erhielt er die Professur<lb/> in Jena. Da mochte sich seine Brust weiten<lb/> und ihm scheinen, daß der Äther duftend<lb/> ohne Wolken schwebe, wie Goethes Nausikaa<lb/> sagt. Aber es ist bekannt, daß er nach bald<lb/> sich erhöhenden Schwierigkeiten, hauptsächlich<lb/> infolge des sogenannten Atheismusstreites,<lb/> 1799 aus Jena weichen mußte. Er kam nach<lb/> Berlin, das er nur im Sommer 189ö und<lb/> Winter 1806/7 verließ, um in Erlangen und<lb/> Königsberg Vorlesungen zu halten.</p> <p xml:id="ID_638"> Sicher war er nicht das, was man eine<lb/> bequeme und konziliante Persönlichkeit nennen<lb/> kann, nicht sanft und friedliebend, wie er<lb/> 1791 einem Freunde schrieb. Die „herrischen<lb/> Gelüste seines Selbstgefühls" zeigten sich oft<lb/> genug, auch in dem Zuge seines Wesens, den<lb/> man als erziehungswütig bezeichnen kann.<lb/> Aber es war nicht die enthirnte Reform-<lb/> zappelei schwachköpfiger Pedanterie. Sein<lb/> stählerner Wille wollte mit dem Radikalismus<lb/> der Spekulation auf Volk und Vaterland<lb/> wirken; in der widerstrebenden Welt, oft mit<lb/> scharfen Pfeilen der Beredsamkeit, das durch¬<lb/> setzen, was ihm die begriffliche Deduktion als<lb/> erwünscht oder notwendig erscheinen ließ.<lb/> Und doch war er nach Goethes Ausdruck (der<lb/> im Jenaer Streit gegen ihn war) „eine der<lb/> tüchtigsten Persönlichkeiten, die man je ge¬<lb/> sehen".</p> <p xml:id="ID_639" next="#ID_640"> Wie die Prophetie wesentlich Ausfluß des<lb/> Willens ist, so erhebt sie ihre Stimme gern<lb/> bei umwölkten« Himmel. Sie kann bloß eine<lb/> düstere Zukunft verkünden, hat aber doch nicht<lb/> selten die herbe Aufgabe, das Schicksal als<lb/> Schuld zu deuten und den Zeitgenossen Fehler<lb/> vorzuhalten, die sie ablegen müssen, ehe sie<lb/> unter den schwer herabhängenden Wolken des<lb/> Donners eine Dämmerung des erquickenden<lb/> Lichts erschauen können, das sich zuni Glanz<lb/> eines neuen Tages erhellen soll. Auch sind<lb/> ja die persönlichen Erlebnisse jeuer Propheten<lb/> nicht derart, daß sie zur Nacheiferung ver¬<lb/> locken könnten, als hätte die Zeit unfehlbar<lb/> einen Kranz bereit, um den Schauer jubelnd</p> <cb/><lb/> <p xml:id="ID_640" prev="#ID_639"> zu krönen. Wie Fichte einmal sagte: ich<lb/> denke nicht, sondern in meinem Denken denkt<lb/> ein anderes, so fühlte er in den düsteren<lb/> Zeiten unserer Not in sich nur den Herzschlag<lb/> des Vaterlandes.</p> <p xml:id="ID_641"> In Wahrheit trug er unter der Redner¬<lb/> toga den Kriegsmantel, Denn unmittelbarer<lb/> Lebensgefahr setzte ihn seine Wirksamkeit aus,<lb/> wie auch den andern Dioskuren, den zarteren<lb/> Schleiermacher, die seinige. Mit jener un°<lb/> befohlenen, so erwünschten Mechanik des<lb/> Handelns, bei welcher das Leben der Güter<lb/> höchstes nicht ist, schrieb unser Patriot z. B.<lb/> 1893: „Ich weiß recht gut, was ich wage;<lb/> ich weiß, daß ebenso wie Palm ein Blei mich<lb/> treffen kann. Aber dies ist es nicht, was ich<lb/> fürchte, und für den Zweck, den ich habe,<lb/> würde ich gern sterben." Er gehört nicht<lb/> unter die feierlichen Nullen. Konnte er nicht<lb/> als eine Art von Feldprediger die Soldaten<lb/> in den Krieg begleiten, so trotzte er in Berlin<lb/> der Gefahr, einem tusillL? moi es. Als<lb/> sich das Vaterland wie von einer Blutleere<lb/> des Gefühls erholte, war auch Fichte zu<lb/> der wahren Betätigung der Männlichkeit, zum<lb/> Tode, bereit. Anders aber, als er dachte,<lb/> traf ihn der unentrinnbare Sensenhieb. Noch<lb/> einmal hatte ihn die Welle gehoben, dn er<lb/> in Berlin, der Hauptstadt des Staates, der<lb/> nach seiner Meinung die Führung in Deutsch¬<lb/> land übernehmen sollte, Professor wurde.<lb/> Nach wenig Jahren riß ihn der Tod mitten<lb/> aus der Bahn. 1813 füllten sich die Berliner<lb/> Lazarette, und Fichtes Gattin war unermüd¬<lb/> lich in der Pflege der Leidenden. Im<lb/> Januar 1814 erkrankte sie selbst. Genötigt,<lb/> seine Vorlesungen zu beginnen, verließ sie<lb/> Fichte, um sie vielleicht tot wiederzufinden.<lb/> Nach zwei Stunden zurückgekehrt erfuhr er,<lb/> daß anscheinend die größte Gefahr vorüber<lb/> sei. Als er sich zu ihr niederbeugte, so glaubt<lb/> man, nahm er selbst den Krankheitskcim in<lb/> sich aus. Seine letzte Freude war die Nach¬<lb/> richt, daß Blücher den Rhein überschritten<lb/> hatte.</p> <p xml:id="ID_642"> Friedrich Wilhelm der Dritte verdient<lb/> Dank, wenn er (1799) gesagt hat: Ist eS<lb/> wahr, daß Fichte mit dem lieben Gott in<lb/> Feindseligkeiten begriffen ist, so mag das der<lb/> liebe Gott mit ihm abmachen; mir tut das<lb/><note type="byline"> A. Bruchmann</note> nichts. </p> <cb type="end"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0151]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
ein Student von ihm unterrichtet zu werden
wünschte.
So hatte er endlich sich selbst gefunden.
Als er 1793 die Schweizerin Maria Nahn
geheiratet hatte, trug ihn, Wider Erwarten,
zum erstenmal eine schön gewölbte Woge des
Glücks empor: 1794 erhielt er die Professur
in Jena. Da mochte sich seine Brust weiten
und ihm scheinen, daß der Äther duftend
ohne Wolken schwebe, wie Goethes Nausikaa
sagt. Aber es ist bekannt, daß er nach bald
sich erhöhenden Schwierigkeiten, hauptsächlich
infolge des sogenannten Atheismusstreites,
1799 aus Jena weichen mußte. Er kam nach
Berlin, das er nur im Sommer 189ö und
Winter 1806/7 verließ, um in Erlangen und
Königsberg Vorlesungen zu halten.
Sicher war er nicht das, was man eine
bequeme und konziliante Persönlichkeit nennen
kann, nicht sanft und friedliebend, wie er
1791 einem Freunde schrieb. Die „herrischen
Gelüste seines Selbstgefühls" zeigten sich oft
genug, auch in dem Zuge seines Wesens, den
man als erziehungswütig bezeichnen kann.
Aber es war nicht die enthirnte Reform-
zappelei schwachköpfiger Pedanterie. Sein
stählerner Wille wollte mit dem Radikalismus
der Spekulation auf Volk und Vaterland
wirken; in der widerstrebenden Welt, oft mit
scharfen Pfeilen der Beredsamkeit, das durch¬
setzen, was ihm die begriffliche Deduktion als
erwünscht oder notwendig erscheinen ließ.
Und doch war er nach Goethes Ausdruck (der
im Jenaer Streit gegen ihn war) „eine der
tüchtigsten Persönlichkeiten, die man je ge¬
sehen".
Wie die Prophetie wesentlich Ausfluß des
Willens ist, so erhebt sie ihre Stimme gern
bei umwölkten« Himmel. Sie kann bloß eine
düstere Zukunft verkünden, hat aber doch nicht
selten die herbe Aufgabe, das Schicksal als
Schuld zu deuten und den Zeitgenossen Fehler
vorzuhalten, die sie ablegen müssen, ehe sie
unter den schwer herabhängenden Wolken des
Donners eine Dämmerung des erquickenden
Lichts erschauen können, das sich zuni Glanz
eines neuen Tages erhellen soll. Auch sind
ja die persönlichen Erlebnisse jeuer Propheten
nicht derart, daß sie zur Nacheiferung ver¬
locken könnten, als hätte die Zeit unfehlbar
einen Kranz bereit, um den Schauer jubelnd
zu krönen. Wie Fichte einmal sagte: ich
denke nicht, sondern in meinem Denken denkt
ein anderes, so fühlte er in den düsteren
Zeiten unserer Not in sich nur den Herzschlag
des Vaterlandes.
In Wahrheit trug er unter der Redner¬
toga den Kriegsmantel, Denn unmittelbarer
Lebensgefahr setzte ihn seine Wirksamkeit aus,
wie auch den andern Dioskuren, den zarteren
Schleiermacher, die seinige. Mit jener un°
befohlenen, so erwünschten Mechanik des
Handelns, bei welcher das Leben der Güter
höchstes nicht ist, schrieb unser Patriot z. B.
1893: „Ich weiß recht gut, was ich wage;
ich weiß, daß ebenso wie Palm ein Blei mich
treffen kann. Aber dies ist es nicht, was ich
fürchte, und für den Zweck, den ich habe,
würde ich gern sterben." Er gehört nicht
unter die feierlichen Nullen. Konnte er nicht
als eine Art von Feldprediger die Soldaten
in den Krieg begleiten, so trotzte er in Berlin
der Gefahr, einem tusillL? moi es. Als
sich das Vaterland wie von einer Blutleere
des Gefühls erholte, war auch Fichte zu
der wahren Betätigung der Männlichkeit, zum
Tode, bereit. Anders aber, als er dachte,
traf ihn der unentrinnbare Sensenhieb. Noch
einmal hatte ihn die Welle gehoben, dn er
in Berlin, der Hauptstadt des Staates, der
nach seiner Meinung die Führung in Deutsch¬
land übernehmen sollte, Professor wurde.
Nach wenig Jahren riß ihn der Tod mitten
aus der Bahn. 1813 füllten sich die Berliner
Lazarette, und Fichtes Gattin war unermüd¬
lich in der Pflege der Leidenden. Im
Januar 1814 erkrankte sie selbst. Genötigt,
seine Vorlesungen zu beginnen, verließ sie
Fichte, um sie vielleicht tot wiederzufinden.
Nach zwei Stunden zurückgekehrt erfuhr er,
daß anscheinend die größte Gefahr vorüber
sei. Als er sich zu ihr niederbeugte, so glaubt
man, nahm er selbst den Krankheitskcim in
sich aus. Seine letzte Freude war die Nach¬
richt, daß Blücher den Rhein überschritten
hatte.
Friedrich Wilhelm der Dritte verdient
Dank, wenn er (1799) gesagt hat: Ist eS
wahr, daß Fichte mit dem lieben Gott in
Feindseligkeiten begriffen ist, so mag das der
liebe Gott mit ihm abmachen; mir tut das
A. Bruchmann nichts.
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