Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Reisebriefe

Columbus. Dort finden Sie Mumien in großen Tonbehältern, keinen Fuß unter
der Erde. Wenn Sie Lust haben, können wir ja morgen. . ."

Nein ich habe keine Lust. Laßt die Toten lieber. . .

"übrigens sind in dem alten Fort in der spanischen Revolution zwanzig
Royalisten niedergemacht worden."

Das gibt dem alten Gemäuer nur noch mehr den Nimbus des sagenhaften.

Wir sind abgesessen. Das Feuer schüttet seine Glutgarben auf unser Reit¬
zeug, unsere Waffen. Die Chilenen schnarchen, wir haben uns fest in unsere
Decken gewickelt. Und tun das, was Ort und Stunde gebieten: wir erzählen
uns Gespenstergeschichten. Und schauerlichere weiß auch meine kurische Freundin
nicht, die doch in jedem tur- und livländischen Gutshause jeden Spuk persönlich kennt.

Das Feuer sinkt. Im Körper klopft noch der Rhythmus des langen Trabes
nach. Und wieder wiegt er mich langsam, langsam in Schlaf. . .

Zum Donnerwetter, muß ich hier von Kindergeschrei träumen? Beruhigt
doch das kleine Ding! . . . "Pumeta, Caballero, Pumeta!"

"Halts Maul und laß mich schlafen." (Das Fafnermotiv ungefähr.)
"Pumeta, Caballero!" Eindringlicher mahnt mich der Chilene, der mich weckt.
Nun rüttelt mich auch der Oberförster: "Raus, bitte, da unten schreit das
Pumababy und die Alte ist nicht weit."

Das mit dem Kindergeschrei ist also kein Traum gewesen! Durch die klare
Mondnacht hallt der Schrei langgezogen und kläglich, wie der eines jungen,
hilflosen Menschleins.

Los! Der Oberförster links, ich rechts. Durchs hohe kackteengespikte Gras,
wie Schlangen. Nun Stubs nicht mehr fünfzig Schritt weit. Der Oberförster
stoppt. Still. Ich liege, die Büchse vor mir auf dem linken Ellenbogen, wie
es uns das Regiment Großherzog von Sachsen lehrte. Infamer kleiner Kerl,
wenn du noch lange so nach deiner Mutter schreist, wird mir das Herz weich
und ich hole dir Milch. Merkwürdig übrigens, wie dieses Naturmenschentum
verkümmerte Sinne geschärft hat. Ich rieche doch deutlich die Katzenbrut, so
deutlich, wie es bei uns nur Hunde können.

Da blinkt es auf vor mir. Eine mattglänzende, silbrige Masse huscht
durch das Mondbad. Standvisier, sagt der Jnfanteristeninstinkt. Das da
drüben huscht laut- und wesenlos, wie ein Phantom. D?r Stecher knackt ganz
leise. Das Büchsenlicht ist zwar miserabel, aber . . . blass. . . Die Silber-
nässe huscht nicht mehr, bäumt sich in irrsinnigen Sprunge auf. Das Kindchen
schreit weiter. Ich galoppiere über die nasse Wiese.

"Browning mit?" Das ist der Oberförster. "Nein." "Na dann also
bitte, ein angeschossener Puma ist kein Backfisch." Ach so. Naja. Also erst
den Genossen Browning. Und dann wieder hin, im Galopp.

War gar nicht nötig, die Pistole. Das verdammte Halbmantelgeschoß hat
den Kopf arg ruiniert. Schadet nichts. Der erste Puma! Die erste große
Katze! "Na also." sagt der Oberförster.


Reisebriefe

Columbus. Dort finden Sie Mumien in großen Tonbehältern, keinen Fuß unter
der Erde. Wenn Sie Lust haben, können wir ja morgen. . ."

Nein ich habe keine Lust. Laßt die Toten lieber. . .

„übrigens sind in dem alten Fort in der spanischen Revolution zwanzig
Royalisten niedergemacht worden."

Das gibt dem alten Gemäuer nur noch mehr den Nimbus des sagenhaften.

Wir sind abgesessen. Das Feuer schüttet seine Glutgarben auf unser Reit¬
zeug, unsere Waffen. Die Chilenen schnarchen, wir haben uns fest in unsere
Decken gewickelt. Und tun das, was Ort und Stunde gebieten: wir erzählen
uns Gespenstergeschichten. Und schauerlichere weiß auch meine kurische Freundin
nicht, die doch in jedem tur- und livländischen Gutshause jeden Spuk persönlich kennt.

Das Feuer sinkt. Im Körper klopft noch der Rhythmus des langen Trabes
nach. Und wieder wiegt er mich langsam, langsam in Schlaf. . .

Zum Donnerwetter, muß ich hier von Kindergeschrei träumen? Beruhigt
doch das kleine Ding! . . . „Pumeta, Caballero, Pumeta!"

„Halts Maul und laß mich schlafen." (Das Fafnermotiv ungefähr.)
„Pumeta, Caballero!" Eindringlicher mahnt mich der Chilene, der mich weckt.
Nun rüttelt mich auch der Oberförster: „Raus, bitte, da unten schreit das
Pumababy und die Alte ist nicht weit."

Das mit dem Kindergeschrei ist also kein Traum gewesen! Durch die klare
Mondnacht hallt der Schrei langgezogen und kläglich, wie der eines jungen,
hilflosen Menschleins.

Los! Der Oberförster links, ich rechts. Durchs hohe kackteengespikte Gras,
wie Schlangen. Nun Stubs nicht mehr fünfzig Schritt weit. Der Oberförster
stoppt. Still. Ich liege, die Büchse vor mir auf dem linken Ellenbogen, wie
es uns das Regiment Großherzog von Sachsen lehrte. Infamer kleiner Kerl,
wenn du noch lange so nach deiner Mutter schreist, wird mir das Herz weich
und ich hole dir Milch. Merkwürdig übrigens, wie dieses Naturmenschentum
verkümmerte Sinne geschärft hat. Ich rieche doch deutlich die Katzenbrut, so
deutlich, wie es bei uns nur Hunde können.

Da blinkt es auf vor mir. Eine mattglänzende, silbrige Masse huscht
durch das Mondbad. Standvisier, sagt der Jnfanteristeninstinkt. Das da
drüben huscht laut- und wesenlos, wie ein Phantom. D?r Stecher knackt ganz
leise. Das Büchsenlicht ist zwar miserabel, aber . . . blass. . . Die Silber-
nässe huscht nicht mehr, bäumt sich in irrsinnigen Sprunge auf. Das Kindchen
schreit weiter. Ich galoppiere über die nasse Wiese.

„Browning mit?" Das ist der Oberförster. „Nein." „Na dann also
bitte, ein angeschossener Puma ist kein Backfisch." Ach so. Naja. Also erst
den Genossen Browning. Und dann wieder hin, im Galopp.

War gar nicht nötig, die Pistole. Das verdammte Halbmantelgeschoß hat
den Kopf arg ruiniert. Schadet nichts. Der erste Puma! Die erste große
Katze! „Na also." sagt der Oberförster.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0096" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326908"/>
            <fw type="header" place="top"> Reisebriefe</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_364" prev="#ID_363"> Columbus. Dort finden Sie Mumien in großen Tonbehältern, keinen Fuß unter<lb/>
der Erde.  Wenn Sie Lust haben, können wir ja morgen. . ."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_365"> Nein ich habe keine Lust.  Laßt die Toten lieber. . .</p><lb/>
            <p xml:id="ID_366"> &#x201E;übrigens sind in dem alten Fort in der spanischen Revolution zwanzig<lb/>
Royalisten niedergemacht worden."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_367"> Das gibt dem alten Gemäuer nur noch mehr den Nimbus des sagenhaften.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_368"> Wir sind abgesessen. Das Feuer schüttet seine Glutgarben auf unser Reit¬<lb/>
zeug, unsere Waffen. Die Chilenen schnarchen, wir haben uns fest in unsere<lb/>
Decken gewickelt. Und tun das, was Ort und Stunde gebieten: wir erzählen<lb/>
uns Gespenstergeschichten. Und schauerlichere weiß auch meine kurische Freundin<lb/>
nicht, die doch in jedem tur- und livländischen Gutshause jeden Spuk persönlich kennt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_369"> Das Feuer sinkt. Im Körper klopft noch der Rhythmus des langen Trabes<lb/>
nach.  Und wieder wiegt er mich langsam, langsam in Schlaf. . .</p><lb/>
            <p xml:id="ID_370"> Zum Donnerwetter, muß ich hier von Kindergeschrei träumen? Beruhigt<lb/>
doch das kleine Ding! . . .  &#x201E;Pumeta, Caballero, Pumeta!"</p><lb/>
            <p xml:id="ID_371"> &#x201E;Halts Maul und laß mich schlafen." (Das Fafnermotiv ungefähr.)<lb/>
&#x201E;Pumeta, Caballero!" Eindringlicher mahnt mich der Chilene, der mich weckt.<lb/>
Nun rüttelt mich auch der Oberförster: &#x201E;Raus, bitte, da unten schreit das<lb/>
Pumababy und die Alte ist nicht weit."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_372"> Das mit dem Kindergeschrei ist also kein Traum gewesen! Durch die klare<lb/>
Mondnacht hallt der Schrei langgezogen und kläglich, wie der eines jungen,<lb/>
hilflosen Menschleins.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_373"> Los! Der Oberförster links, ich rechts. Durchs hohe kackteengespikte Gras,<lb/>
wie Schlangen. Nun Stubs nicht mehr fünfzig Schritt weit. Der Oberförster<lb/>
stoppt. Still. Ich liege, die Büchse vor mir auf dem linken Ellenbogen, wie<lb/>
es uns das Regiment Großherzog von Sachsen lehrte. Infamer kleiner Kerl,<lb/>
wenn du noch lange so nach deiner Mutter schreist, wird mir das Herz weich<lb/>
und ich hole dir Milch. Merkwürdig übrigens, wie dieses Naturmenschentum<lb/>
verkümmerte Sinne geschärft hat. Ich rieche doch deutlich die Katzenbrut, so<lb/>
deutlich, wie es bei uns nur Hunde können.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_374"> Da blinkt es auf vor mir. Eine mattglänzende, silbrige Masse huscht<lb/>
durch das Mondbad. Standvisier, sagt der Jnfanteristeninstinkt. Das da<lb/>
drüben huscht laut- und wesenlos, wie ein Phantom. D?r Stecher knackt ganz<lb/>
leise. Das Büchsenlicht ist zwar miserabel, aber . . . blass. . . Die Silber-<lb/>
nässe huscht nicht mehr, bäumt sich in irrsinnigen Sprunge auf. Das Kindchen<lb/>
schreit weiter.  Ich galoppiere über die nasse Wiese.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_375"> &#x201E;Browning mit?" Das ist der Oberförster. &#x201E;Nein." &#x201E;Na dann also<lb/>
bitte, ein angeschossener Puma ist kein Backfisch." Ach so. Naja. Also erst<lb/>
den Genossen Browning.  Und dann wieder hin, im Galopp.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_376"> War gar nicht nötig, die Pistole. Das verdammte Halbmantelgeschoß hat<lb/>
den Kopf arg ruiniert. Schadet nichts. Der erste Puma! Die erste große<lb/>
Katze! &#x201E;Na also." sagt der Oberförster.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0096] Reisebriefe Columbus. Dort finden Sie Mumien in großen Tonbehältern, keinen Fuß unter der Erde. Wenn Sie Lust haben, können wir ja morgen. . ." Nein ich habe keine Lust. Laßt die Toten lieber. . . „übrigens sind in dem alten Fort in der spanischen Revolution zwanzig Royalisten niedergemacht worden." Das gibt dem alten Gemäuer nur noch mehr den Nimbus des sagenhaften. Wir sind abgesessen. Das Feuer schüttet seine Glutgarben auf unser Reit¬ zeug, unsere Waffen. Die Chilenen schnarchen, wir haben uns fest in unsere Decken gewickelt. Und tun das, was Ort und Stunde gebieten: wir erzählen uns Gespenstergeschichten. Und schauerlichere weiß auch meine kurische Freundin nicht, die doch in jedem tur- und livländischen Gutshause jeden Spuk persönlich kennt. Das Feuer sinkt. Im Körper klopft noch der Rhythmus des langen Trabes nach. Und wieder wiegt er mich langsam, langsam in Schlaf. . . Zum Donnerwetter, muß ich hier von Kindergeschrei träumen? Beruhigt doch das kleine Ding! . . . „Pumeta, Caballero, Pumeta!" „Halts Maul und laß mich schlafen." (Das Fafnermotiv ungefähr.) „Pumeta, Caballero!" Eindringlicher mahnt mich der Chilene, der mich weckt. Nun rüttelt mich auch der Oberförster: „Raus, bitte, da unten schreit das Pumababy und die Alte ist nicht weit." Das mit dem Kindergeschrei ist also kein Traum gewesen! Durch die klare Mondnacht hallt der Schrei langgezogen und kläglich, wie der eines jungen, hilflosen Menschleins. Los! Der Oberförster links, ich rechts. Durchs hohe kackteengespikte Gras, wie Schlangen. Nun Stubs nicht mehr fünfzig Schritt weit. Der Oberförster stoppt. Still. Ich liege, die Büchse vor mir auf dem linken Ellenbogen, wie es uns das Regiment Großherzog von Sachsen lehrte. Infamer kleiner Kerl, wenn du noch lange so nach deiner Mutter schreist, wird mir das Herz weich und ich hole dir Milch. Merkwürdig übrigens, wie dieses Naturmenschentum verkümmerte Sinne geschärft hat. Ich rieche doch deutlich die Katzenbrut, so deutlich, wie es bei uns nur Hunde können. Da blinkt es auf vor mir. Eine mattglänzende, silbrige Masse huscht durch das Mondbad. Standvisier, sagt der Jnfanteristeninstinkt. Das da drüben huscht laut- und wesenlos, wie ein Phantom. D?r Stecher knackt ganz leise. Das Büchsenlicht ist zwar miserabel, aber . . . blass. . . Die Silber- nässe huscht nicht mehr, bäumt sich in irrsinnigen Sprunge auf. Das Kindchen schreit weiter. Ich galoppiere über die nasse Wiese. „Browning mit?" Das ist der Oberförster. „Nein." „Na dann also bitte, ein angeschossener Puma ist kein Backfisch." Ach so. Naja. Also erst den Genossen Browning. Und dann wieder hin, im Galopp. War gar nicht nötig, die Pistole. Das verdammte Halbmantelgeschoß hat den Kopf arg ruiniert. Schadet nichts. Der erste Puma! Die erste große Katze! „Na also." sagt der Oberförster.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/96
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/96>, abgerufen am 22.07.2024.