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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Reichssxiezel

seitdem die Negierung ausgeübt, hat auch vielfach erfolgreich -- wenn auch
schwere Rückschläge vorgekommen sind -- gegen die Rebellen in den verschiedenen
Teilen des großen Landes kämpfen lassen. Huerta besitzt noch heute starken
Anhang, und es ist noch keine Persönlichkeit in Mexiko sichtbar geworden, die
auch nur entsernt geeignet und in der Lage wäre, eine Stellung, wie er sie inne
hat, einzunehmen. Die europäischen Mächte sind hinsichtlich Mexikos ihrem, meist
gewohnten, Grundsatze treu geblieben, in solchen Ländern und Verhältnissen
weniger auf Moral und Mittel der Gewalthaber, als auf das Ergebnis ihrer
Bemühungen zu sehen. Huerta erschien als der einzige Mann, der früher oder
später Ruhe im Lande stiften zu können schien, er wurde demgemäß nach einer
kurzen Karrenzzeit von den Mächten anerkannt. Nur die Vereinigten Staaten
erklärten von Anfang an, sie würden den "blutbefleckten Mörder" des recht¬
mäßigen Präsidenten Madero unter keinen Umständen anerkennen. Zugleich
proklamierte Wilson als sein Programm und das des Kongresses: man habe
Mexiko gegenüber keinerlei aggressive und selbstsüchtige Absichten, man hege
größtes Interesse an der Ruhe im Lande, aber es widerspräche den Grund¬
sätzen der politischen Moral der Vereinigten Staaten, den Mörder einerseits,
den nicht verfassungsmäßig gewählten Präsidenten anderseits anzuerkennen. Ein
amerikanischer Sondergesandter ging nach Mexiko, um mit Huerta zu unter¬
handeln und ihn zum Rücktritte zu bewegen. Authentisches und Vollständiges
über diese Verhandlungen ist nicht bekannt geworden. Man hat es anscheinend
mit der "starken" wie mit der "schwachen Manier" versucht, Huerta gefügig
zu machen und anderseits auch eine allgemeine Lage zu schaffen, welche die
seinige verschlimmerte. Die sogenannten Rebellen haben im Laufe der Monate
dauernde Unterstützung an Geld, an Waffen usw. aus den Vereinigten Staaten
erhalten, und im Spätherbst 1913 erklärte der Präsident Wilson offen, daß
Gründe der Moral sür die Vereinigten Staaten maßgebend seien, wenn sie die
Rebellen gegen Huerta unterstützten. Dieser versuchte zunächst, die Vereinigten
Staaten hinzuziehen, nachdem es ihm nicht gelungen war, sie für sich zu ge-
winnen. Er mochte auch hoffen, daß auf die Dauer Präsident Wilson sich von
der Haltung der anderen Mächte Mexiko gegenüber beeinflussen lassen werde.
Huerta erklärte: der verfassungsmäßige Anstoß würde demnächst beseitigt werden,
denn sür die zweite Oktoberhälfte sei eine ordnungsmäßige Präsidentenwahl in
Aussicht genommen. Die Antwort der Vereinigten Staaten hierauf war: man
könne das Ergebnis der Wahlen nur unter der Bedingung anerkennen, daß
Huerta nicht kandidiere. Huerta hat dieses verschiedentlich versichert, manchmal
auch das Gegenteil, bisweilen erklärte er auch, er würde zwar kandidieren,
aber nach erfolgter Wahl unter allen Umständen zurücktreten. Die Vereinigten
Staaten scheinen damals emsig Wahlagitation in Mexiko getrieben zu haben,
jedenfalls hegte man gewisse Hoffnungen für die Wahl. Diese wurden um
Mitte Oktober jäh zerstört, als Präsident Huerta plötzlich den mexikanischen
Kongreß auflöste und reichlich hundert Delegierte gefangen setzen ließ. Nun


Reichssxiezel

seitdem die Negierung ausgeübt, hat auch vielfach erfolgreich — wenn auch
schwere Rückschläge vorgekommen sind — gegen die Rebellen in den verschiedenen
Teilen des großen Landes kämpfen lassen. Huerta besitzt noch heute starken
Anhang, und es ist noch keine Persönlichkeit in Mexiko sichtbar geworden, die
auch nur entsernt geeignet und in der Lage wäre, eine Stellung, wie er sie inne
hat, einzunehmen. Die europäischen Mächte sind hinsichtlich Mexikos ihrem, meist
gewohnten, Grundsatze treu geblieben, in solchen Ländern und Verhältnissen
weniger auf Moral und Mittel der Gewalthaber, als auf das Ergebnis ihrer
Bemühungen zu sehen. Huerta erschien als der einzige Mann, der früher oder
später Ruhe im Lande stiften zu können schien, er wurde demgemäß nach einer
kurzen Karrenzzeit von den Mächten anerkannt. Nur die Vereinigten Staaten
erklärten von Anfang an, sie würden den „blutbefleckten Mörder" des recht¬
mäßigen Präsidenten Madero unter keinen Umständen anerkennen. Zugleich
proklamierte Wilson als sein Programm und das des Kongresses: man habe
Mexiko gegenüber keinerlei aggressive und selbstsüchtige Absichten, man hege
größtes Interesse an der Ruhe im Lande, aber es widerspräche den Grund¬
sätzen der politischen Moral der Vereinigten Staaten, den Mörder einerseits,
den nicht verfassungsmäßig gewählten Präsidenten anderseits anzuerkennen. Ein
amerikanischer Sondergesandter ging nach Mexiko, um mit Huerta zu unter¬
handeln und ihn zum Rücktritte zu bewegen. Authentisches und Vollständiges
über diese Verhandlungen ist nicht bekannt geworden. Man hat es anscheinend
mit der „starken" wie mit der „schwachen Manier" versucht, Huerta gefügig
zu machen und anderseits auch eine allgemeine Lage zu schaffen, welche die
seinige verschlimmerte. Die sogenannten Rebellen haben im Laufe der Monate
dauernde Unterstützung an Geld, an Waffen usw. aus den Vereinigten Staaten
erhalten, und im Spätherbst 1913 erklärte der Präsident Wilson offen, daß
Gründe der Moral sür die Vereinigten Staaten maßgebend seien, wenn sie die
Rebellen gegen Huerta unterstützten. Dieser versuchte zunächst, die Vereinigten
Staaten hinzuziehen, nachdem es ihm nicht gelungen war, sie für sich zu ge-
winnen. Er mochte auch hoffen, daß auf die Dauer Präsident Wilson sich von
der Haltung der anderen Mächte Mexiko gegenüber beeinflussen lassen werde.
Huerta erklärte: der verfassungsmäßige Anstoß würde demnächst beseitigt werden,
denn sür die zweite Oktoberhälfte sei eine ordnungsmäßige Präsidentenwahl in
Aussicht genommen. Die Antwort der Vereinigten Staaten hierauf war: man
könne das Ergebnis der Wahlen nur unter der Bedingung anerkennen, daß
Huerta nicht kandidiere. Huerta hat dieses verschiedentlich versichert, manchmal
auch das Gegenteil, bisweilen erklärte er auch, er würde zwar kandidieren,
aber nach erfolgter Wahl unter allen Umständen zurücktreten. Die Vereinigten
Staaten scheinen damals emsig Wahlagitation in Mexiko getrieben zu haben,
jedenfalls hegte man gewisse Hoffnungen für die Wahl. Diese wurden um
Mitte Oktober jäh zerstört, als Präsident Huerta plötzlich den mexikanischen
Kongreß auflöste und reichlich hundert Delegierte gefangen setzen ließ. Nun


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[0641] Reichssxiezel seitdem die Negierung ausgeübt, hat auch vielfach erfolgreich — wenn auch schwere Rückschläge vorgekommen sind — gegen die Rebellen in den verschiedenen Teilen des großen Landes kämpfen lassen. Huerta besitzt noch heute starken Anhang, und es ist noch keine Persönlichkeit in Mexiko sichtbar geworden, die auch nur entsernt geeignet und in der Lage wäre, eine Stellung, wie er sie inne hat, einzunehmen. Die europäischen Mächte sind hinsichtlich Mexikos ihrem, meist gewohnten, Grundsatze treu geblieben, in solchen Ländern und Verhältnissen weniger auf Moral und Mittel der Gewalthaber, als auf das Ergebnis ihrer Bemühungen zu sehen. Huerta erschien als der einzige Mann, der früher oder später Ruhe im Lande stiften zu können schien, er wurde demgemäß nach einer kurzen Karrenzzeit von den Mächten anerkannt. Nur die Vereinigten Staaten erklärten von Anfang an, sie würden den „blutbefleckten Mörder" des recht¬ mäßigen Präsidenten Madero unter keinen Umständen anerkennen. Zugleich proklamierte Wilson als sein Programm und das des Kongresses: man habe Mexiko gegenüber keinerlei aggressive und selbstsüchtige Absichten, man hege größtes Interesse an der Ruhe im Lande, aber es widerspräche den Grund¬ sätzen der politischen Moral der Vereinigten Staaten, den Mörder einerseits, den nicht verfassungsmäßig gewählten Präsidenten anderseits anzuerkennen. Ein amerikanischer Sondergesandter ging nach Mexiko, um mit Huerta zu unter¬ handeln und ihn zum Rücktritte zu bewegen. Authentisches und Vollständiges über diese Verhandlungen ist nicht bekannt geworden. Man hat es anscheinend mit der „starken" wie mit der „schwachen Manier" versucht, Huerta gefügig zu machen und anderseits auch eine allgemeine Lage zu schaffen, welche die seinige verschlimmerte. Die sogenannten Rebellen haben im Laufe der Monate dauernde Unterstützung an Geld, an Waffen usw. aus den Vereinigten Staaten erhalten, und im Spätherbst 1913 erklärte der Präsident Wilson offen, daß Gründe der Moral sür die Vereinigten Staaten maßgebend seien, wenn sie die Rebellen gegen Huerta unterstützten. Dieser versuchte zunächst, die Vereinigten Staaten hinzuziehen, nachdem es ihm nicht gelungen war, sie für sich zu ge- winnen. Er mochte auch hoffen, daß auf die Dauer Präsident Wilson sich von der Haltung der anderen Mächte Mexiko gegenüber beeinflussen lassen werde. Huerta erklärte: der verfassungsmäßige Anstoß würde demnächst beseitigt werden, denn sür die zweite Oktoberhälfte sei eine ordnungsmäßige Präsidentenwahl in Aussicht genommen. Die Antwort der Vereinigten Staaten hierauf war: man könne das Ergebnis der Wahlen nur unter der Bedingung anerkennen, daß Huerta nicht kandidiere. Huerta hat dieses verschiedentlich versichert, manchmal auch das Gegenteil, bisweilen erklärte er auch, er würde zwar kandidieren, aber nach erfolgter Wahl unter allen Umständen zurücktreten. Die Vereinigten Staaten scheinen damals emsig Wahlagitation in Mexiko getrieben zu haben, jedenfalls hegte man gewisse Hoffnungen für die Wahl. Diese wurden um Mitte Oktober jäh zerstört, als Präsident Huerta plötzlich den mexikanischen Kongreß auflöste und reichlich hundert Delegierte gefangen setzen ließ. Nun

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/641>, abgerufen am 22.01.2025.