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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Augustus

Darüber fühlte Augustus sich von einer schweren Müdigkeit überfallen, als
sei er im Augenblick um viele Jahre gealtert, er fiel in einen tiefen Schlaf und
der alte Mann ging still aus dem verlassenen Hause.




Augustus erwachte von einem wilden Lärm, der das hallende Haus er¬
füllte, und als er sich erhob und die nächste Türe öffnete, fand er den Saal
und alle Räume voll von seinen ehemaligen Freunden, die zu dem Fest
gekommen waren und das Haus leer gefunden hatten. Sie waren erbost und
enttäuscht, und er ging ihnen entgegen, um sie alle wie sonst mit einem Lächeln
und einem Scherzwort zurückzugewinnen; aber er fühlte plötzlich, daß diese Macht
von ihm gewichen war. Kaum sahen sie ihn. so begannen sie alle zugleich auf
ihn einzuschreien, und als er hilflos lächelte und abwehrende Hände ausstreckte,
fielen sie wütend über ihn her.

"Du Gauner." schrie einer, "wo ist das Geld, das du mir schuldig bist?"
Und ein anderer: "Und das Pferd, das ich dir geliehen habe?" Und eine
hübsche zornige Frau: "Alle Welt weiß meine Geheimnisse, die du ausgeplaudert
hast. O wie ich dich hasse, du Scheusal!" Und ein hohläugiger junger Mensch
schrie mit verzerrtem Gesicht: "Weißt du, was du aus mir gemacht hast, du
Satan, du Jugendverderber?"

Und so ging es weiter, und jeder häufte Schmach und Schimpf auf ihn,
und jeder hatte Recht, und viele schlugen ihn, und als sie gingen und im
Gehen die Spiegel zerschlugen und viele von den Kostbarkeiten mitnahmen, erhob
sich Augustus vom Boden, geschlagen und verunehrt. und als er in sein Schlaf¬
zimmer trat und in den Spiegel blickte, um sich zu waschen, da schaute sein
Gesicht ihm welk und häßlich entgegen, die roten Augen tränken, und von der
Stirne tropfte Blut.

"Das ist die Vergeltung," sagte er zu sich selber und wusch das Blut von
seinem Gesicht, und kaum hatte er sich ein wenig besonnen, da drang von
neuem Lärm ins Haus und Menschen kamen die Treppen heraufgestürmt:,
Geldleiher, denen er sein Haus verpfändet hatte, und ein Gatte, dessen Frau
er verführt hatte, und Väter, deren Söhne durch ihn verlockt ins Laster und
Elend gekommen waren, und entlassene Diener und Mägde, Polizei und Ad¬
vokaten, und eine Stunde später saß er gefesselt in einem Wagen und wurde
ins Gefängnis geführt. Hinterher schrie das Volk und sang Spottlieder, und
ein Gassenjunge warf durchs Fenster dem Davongeführten eine Handvoll Kot
ins Gesicht.

Da war die Stadt voll von den Schandtaten dieses Menschen, den so
viele gekannt und geliebt hatten. Kein Laster, dessen er nicht angeklagt war,
und keines, das er verleugnete. Menschen, die er lange vergessen hatte, standen
vor den Richtern und sagten Dinge aus, die er vor Jahren getan hatte;
Diener, die er beschenkt und die ihn bestohlen, erzählten die Geheimnisse seiner


Grenzboten IV 181S 37
Augustus

Darüber fühlte Augustus sich von einer schweren Müdigkeit überfallen, als
sei er im Augenblick um viele Jahre gealtert, er fiel in einen tiefen Schlaf und
der alte Mann ging still aus dem verlassenen Hause.




Augustus erwachte von einem wilden Lärm, der das hallende Haus er¬
füllte, und als er sich erhob und die nächste Türe öffnete, fand er den Saal
und alle Räume voll von seinen ehemaligen Freunden, die zu dem Fest
gekommen waren und das Haus leer gefunden hatten. Sie waren erbost und
enttäuscht, und er ging ihnen entgegen, um sie alle wie sonst mit einem Lächeln
und einem Scherzwort zurückzugewinnen; aber er fühlte plötzlich, daß diese Macht
von ihm gewichen war. Kaum sahen sie ihn. so begannen sie alle zugleich auf
ihn einzuschreien, und als er hilflos lächelte und abwehrende Hände ausstreckte,
fielen sie wütend über ihn her.

„Du Gauner." schrie einer, „wo ist das Geld, das du mir schuldig bist?"
Und ein anderer: „Und das Pferd, das ich dir geliehen habe?" Und eine
hübsche zornige Frau: „Alle Welt weiß meine Geheimnisse, die du ausgeplaudert
hast. O wie ich dich hasse, du Scheusal!" Und ein hohläugiger junger Mensch
schrie mit verzerrtem Gesicht: „Weißt du, was du aus mir gemacht hast, du
Satan, du Jugendverderber?"

Und so ging es weiter, und jeder häufte Schmach und Schimpf auf ihn,
und jeder hatte Recht, und viele schlugen ihn, und als sie gingen und im
Gehen die Spiegel zerschlugen und viele von den Kostbarkeiten mitnahmen, erhob
sich Augustus vom Boden, geschlagen und verunehrt. und als er in sein Schlaf¬
zimmer trat und in den Spiegel blickte, um sich zu waschen, da schaute sein
Gesicht ihm welk und häßlich entgegen, die roten Augen tränken, und von der
Stirne tropfte Blut.

„Das ist die Vergeltung," sagte er zu sich selber und wusch das Blut von
seinem Gesicht, und kaum hatte er sich ein wenig besonnen, da drang von
neuem Lärm ins Haus und Menschen kamen die Treppen heraufgestürmt:,
Geldleiher, denen er sein Haus verpfändet hatte, und ein Gatte, dessen Frau
er verführt hatte, und Väter, deren Söhne durch ihn verlockt ins Laster und
Elend gekommen waren, und entlassene Diener und Mägde, Polizei und Ad¬
vokaten, und eine Stunde später saß er gefesselt in einem Wagen und wurde
ins Gefängnis geführt. Hinterher schrie das Volk und sang Spottlieder, und
ein Gassenjunge warf durchs Fenster dem Davongeführten eine Handvoll Kot
ins Gesicht.

Da war die Stadt voll von den Schandtaten dieses Menschen, den so
viele gekannt und geliebt hatten. Kein Laster, dessen er nicht angeklagt war,
und keines, das er verleugnete. Menschen, die er lange vergessen hatte, standen
vor den Richtern und sagten Dinge aus, die er vor Jahren getan hatte;
Diener, die er beschenkt und die ihn bestohlen, erzählten die Geheimnisse seiner


Grenzboten IV 181S 37
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[0581] Augustus Darüber fühlte Augustus sich von einer schweren Müdigkeit überfallen, als sei er im Augenblick um viele Jahre gealtert, er fiel in einen tiefen Schlaf und der alte Mann ging still aus dem verlassenen Hause. Augustus erwachte von einem wilden Lärm, der das hallende Haus er¬ füllte, und als er sich erhob und die nächste Türe öffnete, fand er den Saal und alle Räume voll von seinen ehemaligen Freunden, die zu dem Fest gekommen waren und das Haus leer gefunden hatten. Sie waren erbost und enttäuscht, und er ging ihnen entgegen, um sie alle wie sonst mit einem Lächeln und einem Scherzwort zurückzugewinnen; aber er fühlte plötzlich, daß diese Macht von ihm gewichen war. Kaum sahen sie ihn. so begannen sie alle zugleich auf ihn einzuschreien, und als er hilflos lächelte und abwehrende Hände ausstreckte, fielen sie wütend über ihn her. „Du Gauner." schrie einer, „wo ist das Geld, das du mir schuldig bist?" Und ein anderer: „Und das Pferd, das ich dir geliehen habe?" Und eine hübsche zornige Frau: „Alle Welt weiß meine Geheimnisse, die du ausgeplaudert hast. O wie ich dich hasse, du Scheusal!" Und ein hohläugiger junger Mensch schrie mit verzerrtem Gesicht: „Weißt du, was du aus mir gemacht hast, du Satan, du Jugendverderber?" Und so ging es weiter, und jeder häufte Schmach und Schimpf auf ihn, und jeder hatte Recht, und viele schlugen ihn, und als sie gingen und im Gehen die Spiegel zerschlugen und viele von den Kostbarkeiten mitnahmen, erhob sich Augustus vom Boden, geschlagen und verunehrt. und als er in sein Schlaf¬ zimmer trat und in den Spiegel blickte, um sich zu waschen, da schaute sein Gesicht ihm welk und häßlich entgegen, die roten Augen tränken, und von der Stirne tropfte Blut. „Das ist die Vergeltung," sagte er zu sich selber und wusch das Blut von seinem Gesicht, und kaum hatte er sich ein wenig besonnen, da drang von neuem Lärm ins Haus und Menschen kamen die Treppen heraufgestürmt:, Geldleiher, denen er sein Haus verpfändet hatte, und ein Gatte, dessen Frau er verführt hatte, und Väter, deren Söhne durch ihn verlockt ins Laster und Elend gekommen waren, und entlassene Diener und Mägde, Polizei und Ad¬ vokaten, und eine Stunde später saß er gefesselt in einem Wagen und wurde ins Gefängnis geführt. Hinterher schrie das Volk und sang Spottlieder, und ein Gassenjunge warf durchs Fenster dem Davongeführten eine Handvoll Kot ins Gesicht. Da war die Stadt voll von den Schandtaten dieses Menschen, den so viele gekannt und geliebt hatten. Kein Laster, dessen er nicht angeklagt war, und keines, das er verleugnete. Menschen, die er lange vergessen hatte, standen vor den Richtern und sagten Dinge aus, die er vor Jahren getan hatte; Diener, die er beschenkt und die ihn bestohlen, erzählten die Geheimnisse seiner Grenzboten IV 181S 37

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/581>, abgerufen am 22.07.2024.