Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] dein Recht? ... die Lorbeeren sind ein richtiges Eine enge Welt, in sich geschlossen, mit Leben, dem die Devise "Kampf!" eigen ist Ein Leben in Schönheit, der Nacht und Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] dein Recht? ... die Lorbeeren sind ein richtiges Eine enge Welt, in sich geschlossen, mit Leben, dem die Devise „Kampf!" eigen ist Ein Leben in Schönheit, der Nacht und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0545" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327357"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <cb type="start"/> <p xml:id="ID_2164" prev="#ID_2163"> dein Recht? ... die Lorbeeren sind ein richtiges<lb/> Symbol; sie geben im höchsten Falle Schatten,<lb/> aber das ist auch alles..."</p> <p xml:id="ID_2165" next="#ID_2166"> Eine enge Welt, in sich geschlossen, mit<lb/> sich zufrieden, so daß sie die großen jenseits<lb/> ihres Horizontes daherstürmenden Ereignisse<lb/> nicht begreift, noch begreifen will — das war<lb/> das Leben der Marquise. Wagen wir einen<lb/> weiten Sprung in einen anderen Lebenskreis,<lb/> ein Gefängnis, dein Licht und Ton verschlossen,<lb/> aus dessen Dunkel uns dennoch rührend be¬<lb/> redt eine Menschenseele entgegentritt. Helen<lb/> Kellers Geschichte meines Lebens (Ro¬<lb/> bert Lutz, Stuttgart, 37. Auflage) ist von Psy¬<lb/> chologen und Pädagogen schon seit Jahren aufs<lb/> eingehendste beleuchtet und erläutert worden,<lb/> dn den Gelehrten diese den Stempel der<lb/> Wahrhaftigkeit tragenden Bekenntnisse ein<lb/> bisher sehr dunkles Forschungsgebiet, das<lb/> Seelenleben der Taubblinden, aufladen. In¬<lb/> dessen hätte des Buches Bedeutung für die<lb/> Wissenschaft eben kaum eine so weite Ver¬<lb/> breitung gesichert, wenn nicht Schicksal und<lb/> Persönlichkeit der Schreiberin unsere Teil¬<lb/> nahme fesselten. Eine reine Kinderseele ent¬<lb/> faltet sich da vor unseren Augen, die sich zu¬<lb/> rechtzufinden sucht in einer unbekannten Welt.<lb/> DaS gelingt ihr schließlich durch eine bei¬<lb/> spiellos tapfere Geduld mit Hilfe der ebenso<lb/> ausharrenden Liebe ihrer Lehrerin, Fräulein<lb/> Sullivan. In dem Maße aber, wo die<lb/> tastenden Schritte inmitten unseres wohl¬<lb/> bekannten Umkreises, der Körper und Geister<lb/> sicherer werden, empfinden wir auch immer<lb/> deutlicher, daß die von den unvollkommenen<lb/> Sinnen jenseits der Pforten des Dunkels ge¬<lb/> fühlte Welt viel schöner und lichter ist als<lb/> die Wirklichkeit. Wie könnte das auch anders<lb/> sein? Das zu einem liebenswürdigen Men¬<lb/> schen erzogene Mädchen hat überall, wohin<lb/> sie kam, nur Liebe empfangen. Die bedeu¬<lb/> tendsten Männer der Zeit haben sich bemüht,<lb/> dein Mangel ihres Wahrnehmungsvermögens<lb/> entgegenzukommen und ihr dies oder jenes<lb/> Schöne und Liebe lebendig nahezubringen.<lb/> Das Häßliche verbirgt sich leicht vor Angen,<lb/> die des eigenen Lichtes entbehren und wer<lb/> würde Wohl so unbarmherzig sein, ein armes<lb/> Kind damit zu belasten, das am eigenen<lb/> Schicksal schon schwer genug zu tragen hat?<lb/> Es liegt eine herzbewegende Lehre in diesem</p> <cb/><lb/> <p xml:id="ID_2166" prev="#ID_2165"> Leben, dem die Devise „Kampf!" eigen ist<lb/> wie kaum einem anderen, das sich in inten¬<lb/> siver Tatfreude vollendet. Denn dieser innere<lb/> Frieden, der sich in den sympathischen, reinen<lb/> Zügen spiegelt, ist so mühevoll errungen.<lb/> Davon spricht uns ein Absatz, den Helen<lb/> Keller an einen Vergleich ihres Lebens mit<lb/> dem der großen Welt schließt: „Manchmal<lb/> allerdings befällt mich wie ein kalter Nebel<lb/> ein Gefühl der Vereinsamung, wenn ich allein<lb/> bin und vor dem geschlossenen Tore des<lb/> Lebens wartend sitze. Da drinnen ist Licht<lb/> und Musik und heitere Geselligkeit; aber mir<lb/> ist der Eintritt verwehrt. Das Schicksal ver¬<lb/> sperrt mir schweigend, erbarmungslos den<lb/> Weg. Gern würde ich wegen seines unab¬<lb/> weisbaren Beschlusses mit ihm hadern, denn<lb/> mein Herz ist noch ungebärdig und leiden¬<lb/> schaftlich ; aber meine Zunge will die bitteren,<lb/> nutzlosen Worte, die sich auf meine Lippen<lb/> drängen, nicht aussprechen, und sie sinken in<lb/> mein Herz zurück wie unvergossene Tränen.<lb/> Unermeßliches Schweigen lagert über meiner<lb/> Seele, Dann naht sich die Hoffnung mit<lb/> einem Lächeln und flüstert nur zu: .Auch im<lb/> Selbstvergessen liegt Genuß.' Und so ver¬<lb/> suche ich das Licht in anderen Augen zu<lb/> meiner Sonne, die Musik in anderen Ohren<lb/> zu meiner Symphonie, das Lächeln auf an¬<lb/> derer Lippen zu meinen. Glücke zu machen."</p> <p xml:id="ID_2167" next="#ID_2168"> Ein Leben in Schönheit, der Nacht und<lb/> dem Schweigen abgerungen — das ist die<lb/> Botschaft, die Helen Kellers Buch in alle Welt<lb/> getragen hat. Werke solcher Art verdienen,<lb/> daß man ihrer wieder einmal gedenkt um der<lb/> vielen Trauernden im Dunkeln willen, die<lb/> diese in ihrer Schlichtheit ergreifenden Be¬<lb/> kenntnisse trösten und zum Licht führen können.<lb/> Dies „Exelsiorl" — bald Ermunterung den<lb/> Wegemüden, bald Siegesruf von erklommener<lb/> Höhe — ist ja der tiefste Inhalt des Lebens<lb/> aller derer, die in großem oder bescheideneren<lb/> Umfang zu unsern Führern berufen sind.<lb/> Bilder aus dem Leben und Schaffen einiger<lb/> von ihnen gibt Hermann Oeser in seinem<lb/> „Bon Menschen, von Bildern und<lb/> Büchern" (Eugen Salzer, Heilbronn), ein ge¬<lb/> dankenreiches Buch, das sich nur durch den<lb/> nicht sehr bedeutenden, aus einer englischen<lb/> Zeitschrift übersetzten Beitrag zur Ehegeschichte<lb/> Carlyles nicht eben vorteilhaft einführt. Sehr</p> <cb type="end"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0545]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
dein Recht? ... die Lorbeeren sind ein richtiges
Symbol; sie geben im höchsten Falle Schatten,
aber das ist auch alles..."
Eine enge Welt, in sich geschlossen, mit
sich zufrieden, so daß sie die großen jenseits
ihres Horizontes daherstürmenden Ereignisse
nicht begreift, noch begreifen will — das war
das Leben der Marquise. Wagen wir einen
weiten Sprung in einen anderen Lebenskreis,
ein Gefängnis, dein Licht und Ton verschlossen,
aus dessen Dunkel uns dennoch rührend be¬
redt eine Menschenseele entgegentritt. Helen
Kellers Geschichte meines Lebens (Ro¬
bert Lutz, Stuttgart, 37. Auflage) ist von Psy¬
chologen und Pädagogen schon seit Jahren aufs
eingehendste beleuchtet und erläutert worden,
dn den Gelehrten diese den Stempel der
Wahrhaftigkeit tragenden Bekenntnisse ein
bisher sehr dunkles Forschungsgebiet, das
Seelenleben der Taubblinden, aufladen. In¬
dessen hätte des Buches Bedeutung für die
Wissenschaft eben kaum eine so weite Ver¬
breitung gesichert, wenn nicht Schicksal und
Persönlichkeit der Schreiberin unsere Teil¬
nahme fesselten. Eine reine Kinderseele ent¬
faltet sich da vor unseren Augen, die sich zu¬
rechtzufinden sucht in einer unbekannten Welt.
DaS gelingt ihr schließlich durch eine bei¬
spiellos tapfere Geduld mit Hilfe der ebenso
ausharrenden Liebe ihrer Lehrerin, Fräulein
Sullivan. In dem Maße aber, wo die
tastenden Schritte inmitten unseres wohl¬
bekannten Umkreises, der Körper und Geister
sicherer werden, empfinden wir auch immer
deutlicher, daß die von den unvollkommenen
Sinnen jenseits der Pforten des Dunkels ge¬
fühlte Welt viel schöner und lichter ist als
die Wirklichkeit. Wie könnte das auch anders
sein? Das zu einem liebenswürdigen Men¬
schen erzogene Mädchen hat überall, wohin
sie kam, nur Liebe empfangen. Die bedeu¬
tendsten Männer der Zeit haben sich bemüht,
dein Mangel ihres Wahrnehmungsvermögens
entgegenzukommen und ihr dies oder jenes
Schöne und Liebe lebendig nahezubringen.
Das Häßliche verbirgt sich leicht vor Angen,
die des eigenen Lichtes entbehren und wer
würde Wohl so unbarmherzig sein, ein armes
Kind damit zu belasten, das am eigenen
Schicksal schon schwer genug zu tragen hat?
Es liegt eine herzbewegende Lehre in diesem
Leben, dem die Devise „Kampf!" eigen ist
wie kaum einem anderen, das sich in inten¬
siver Tatfreude vollendet. Denn dieser innere
Frieden, der sich in den sympathischen, reinen
Zügen spiegelt, ist so mühevoll errungen.
Davon spricht uns ein Absatz, den Helen
Keller an einen Vergleich ihres Lebens mit
dem der großen Welt schließt: „Manchmal
allerdings befällt mich wie ein kalter Nebel
ein Gefühl der Vereinsamung, wenn ich allein
bin und vor dem geschlossenen Tore des
Lebens wartend sitze. Da drinnen ist Licht
und Musik und heitere Geselligkeit; aber mir
ist der Eintritt verwehrt. Das Schicksal ver¬
sperrt mir schweigend, erbarmungslos den
Weg. Gern würde ich wegen seines unab¬
weisbaren Beschlusses mit ihm hadern, denn
mein Herz ist noch ungebärdig und leiden¬
schaftlich ; aber meine Zunge will die bitteren,
nutzlosen Worte, die sich auf meine Lippen
drängen, nicht aussprechen, und sie sinken in
mein Herz zurück wie unvergossene Tränen.
Unermeßliches Schweigen lagert über meiner
Seele, Dann naht sich die Hoffnung mit
einem Lächeln und flüstert nur zu: .Auch im
Selbstvergessen liegt Genuß.' Und so ver¬
suche ich das Licht in anderen Augen zu
meiner Sonne, die Musik in anderen Ohren
zu meiner Symphonie, das Lächeln auf an¬
derer Lippen zu meinen. Glücke zu machen."
Ein Leben in Schönheit, der Nacht und
dem Schweigen abgerungen — das ist die
Botschaft, die Helen Kellers Buch in alle Welt
getragen hat. Werke solcher Art verdienen,
daß man ihrer wieder einmal gedenkt um der
vielen Trauernden im Dunkeln willen, die
diese in ihrer Schlichtheit ergreifenden Be¬
kenntnisse trösten und zum Licht führen können.
Dies „Exelsiorl" — bald Ermunterung den
Wegemüden, bald Siegesruf von erklommener
Höhe — ist ja der tiefste Inhalt des Lebens
aller derer, die in großem oder bescheideneren
Umfang zu unsern Führern berufen sind.
Bilder aus dem Leben und Schaffen einiger
von ihnen gibt Hermann Oeser in seinem
„Bon Menschen, von Bildern und
Büchern" (Eugen Salzer, Heilbronn), ein ge¬
dankenreiches Buch, das sich nur durch den
nicht sehr bedeutenden, aus einer englischen
Zeitschrift übersetzten Beitrag zur Ehegeschichte
Carlyles nicht eben vorteilhaft einführt. Sehr
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