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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Reform der inneren Verwaltung

Die Übernahme aus anderen Berufen hat das Bequeme, daß man unbrauch¬
bare Beamte ihrem Beruf ohne weiteres wieder zuführen kann. Aber auf der
anderen Seite ist zu bedenken, daß man die in Frage kommenden Beamten
niemals im Verwaltungsdienst selbst vor ihrer Übernahme tätig gesehen hat.
Irrtümer sind also bei dieser ersten Auswahl besonders leicht möglich. Ferner
kann man sich nach stattgehabter Prüfung im Verwaltungsdienst irren sowohl
hinsichtlich derer, die man behält, als hinsichtlich derer, die man zurückschickt.
Also eine dreifache Jrrtumsquelle ist vorhanden. Hat dies schon etwas Mißliches
an sich, so dürfte auch die Beraubung anderer Berufe ihrer angeblich besten
Kräfte nicht gerade gut zu heißen sein.

Besser und sicherer wird schon die Erprobung im Verwaltungsdienst selbst
zum Ziele führen.

Bei jeder Erprobung wird man freilich vor allen Dingen daran denken
müssen, um welche Eigenschaften es sich bei einem Verwaltungsbeamten in erster
Linie handelt. Man wird prüfen müssen, ob etwa richtiges Augenmaß für das
Erreichbare, angemessene Beurteilung des praktischen Lebens, schnelle, aber auch
keine überhastete Initiative, Ruhe und Konsequenz in der Durchführung
wenigstens in der Veranlagung vorhanden sind. Denn der Verwaltungsbeamte
muß sich auf Grund der tatsächlichen Verhältnisse als ein schaffender Faktor
erweisen können, seine Tätigkeit ist eine durchaus produktive.

Das ihm besonders feindliche Element ist die Theorie in jeder Gestalt.
Daher hat auch die Auswahl oder Abschätzung der Verwaltungsbeamten auf
Grund theoretischen Wissens und Könnens so gut wie gar keine Wahrscheinlichkeit
hinsichtlich der Richtigkeit für sich. Denn alles theoretische Wissen wird auf
rezeptiven Wege gewonnen, und wo starke Neigungen für das Rezeptive vor¬
handen sind, werden kaum produktive Fähigkeiten stark vertreten sein. Dies
liegt tief in der menschlichen Natur begründet und kommt nicht nur für den
Verwaltungsbeamten, sondern mehr oder weniger für alle Gebiete des praktischen
Lebens in Betracht. Es ist bekannt, wie selten sogenannte Musterschüler den
gehegten Erwartungen entsprechende Leistungen in ihrem späteren Beruf auf¬
weisen. Es kann dies im Grunde aber gar nicht anders sein. In der Schule
nimmt man in sich auf, im praktischen Leben soll man hervorbringen. Beides
sind ganz verschiedenartige Dinge, die Eigenschaften von gegensätzlicher Natur
zur Voraussetzung haben. Der rezeptiv veranlagte Kopf sieht im Wissen Selbst¬
zweck und zeigt daher den größten Eifer, dieses Wissen zu erweitern. Der mit
produktiven Fähigkeiten ausgestattete Kopf sieht im Wissen von vornherein nur
Mittel zum Zweck. Er wägt ab, ob und inwieweit diese notwendig sind, um
seine Zwecke zu erreichen, und empfindet die allzu reichlich bemessenen Mittel
als Ballast, gegen den er sich unwillkürlich sträubt. Für ihn ist denn das
Wissen lediglich Handwerkzeug, das er für seine produktiven Ziele verwenden
will. Aber ebensowenig wie das reichlichste und beste Handwerkzeug eine Ge¬
währ dafür bietet, daß gute Leistungen hervorgebracht werden, ebensowenig kann


Reform der inneren Verwaltung

Die Übernahme aus anderen Berufen hat das Bequeme, daß man unbrauch¬
bare Beamte ihrem Beruf ohne weiteres wieder zuführen kann. Aber auf der
anderen Seite ist zu bedenken, daß man die in Frage kommenden Beamten
niemals im Verwaltungsdienst selbst vor ihrer Übernahme tätig gesehen hat.
Irrtümer sind also bei dieser ersten Auswahl besonders leicht möglich. Ferner
kann man sich nach stattgehabter Prüfung im Verwaltungsdienst irren sowohl
hinsichtlich derer, die man behält, als hinsichtlich derer, die man zurückschickt.
Also eine dreifache Jrrtumsquelle ist vorhanden. Hat dies schon etwas Mißliches
an sich, so dürfte auch die Beraubung anderer Berufe ihrer angeblich besten
Kräfte nicht gerade gut zu heißen sein.

Besser und sicherer wird schon die Erprobung im Verwaltungsdienst selbst
zum Ziele führen.

Bei jeder Erprobung wird man freilich vor allen Dingen daran denken
müssen, um welche Eigenschaften es sich bei einem Verwaltungsbeamten in erster
Linie handelt. Man wird prüfen müssen, ob etwa richtiges Augenmaß für das
Erreichbare, angemessene Beurteilung des praktischen Lebens, schnelle, aber auch
keine überhastete Initiative, Ruhe und Konsequenz in der Durchführung
wenigstens in der Veranlagung vorhanden sind. Denn der Verwaltungsbeamte
muß sich auf Grund der tatsächlichen Verhältnisse als ein schaffender Faktor
erweisen können, seine Tätigkeit ist eine durchaus produktive.

Das ihm besonders feindliche Element ist die Theorie in jeder Gestalt.
Daher hat auch die Auswahl oder Abschätzung der Verwaltungsbeamten auf
Grund theoretischen Wissens und Könnens so gut wie gar keine Wahrscheinlichkeit
hinsichtlich der Richtigkeit für sich. Denn alles theoretische Wissen wird auf
rezeptiven Wege gewonnen, und wo starke Neigungen für das Rezeptive vor¬
handen sind, werden kaum produktive Fähigkeiten stark vertreten sein. Dies
liegt tief in der menschlichen Natur begründet und kommt nicht nur für den
Verwaltungsbeamten, sondern mehr oder weniger für alle Gebiete des praktischen
Lebens in Betracht. Es ist bekannt, wie selten sogenannte Musterschüler den
gehegten Erwartungen entsprechende Leistungen in ihrem späteren Beruf auf¬
weisen. Es kann dies im Grunde aber gar nicht anders sein. In der Schule
nimmt man in sich auf, im praktischen Leben soll man hervorbringen. Beides
sind ganz verschiedenartige Dinge, die Eigenschaften von gegensätzlicher Natur
zur Voraussetzung haben. Der rezeptiv veranlagte Kopf sieht im Wissen Selbst¬
zweck und zeigt daher den größten Eifer, dieses Wissen zu erweitern. Der mit
produktiven Fähigkeiten ausgestattete Kopf sieht im Wissen von vornherein nur
Mittel zum Zweck. Er wägt ab, ob und inwieweit diese notwendig sind, um
seine Zwecke zu erreichen, und empfindet die allzu reichlich bemessenen Mittel
als Ballast, gegen den er sich unwillkürlich sträubt. Für ihn ist denn das
Wissen lediglich Handwerkzeug, das er für seine produktiven Ziele verwenden
will. Aber ebensowenig wie das reichlichste und beste Handwerkzeug eine Ge¬
währ dafür bietet, daß gute Leistungen hervorgebracht werden, ebensowenig kann


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[0507] Reform der inneren Verwaltung Die Übernahme aus anderen Berufen hat das Bequeme, daß man unbrauch¬ bare Beamte ihrem Beruf ohne weiteres wieder zuführen kann. Aber auf der anderen Seite ist zu bedenken, daß man die in Frage kommenden Beamten niemals im Verwaltungsdienst selbst vor ihrer Übernahme tätig gesehen hat. Irrtümer sind also bei dieser ersten Auswahl besonders leicht möglich. Ferner kann man sich nach stattgehabter Prüfung im Verwaltungsdienst irren sowohl hinsichtlich derer, die man behält, als hinsichtlich derer, die man zurückschickt. Also eine dreifache Jrrtumsquelle ist vorhanden. Hat dies schon etwas Mißliches an sich, so dürfte auch die Beraubung anderer Berufe ihrer angeblich besten Kräfte nicht gerade gut zu heißen sein. Besser und sicherer wird schon die Erprobung im Verwaltungsdienst selbst zum Ziele führen. Bei jeder Erprobung wird man freilich vor allen Dingen daran denken müssen, um welche Eigenschaften es sich bei einem Verwaltungsbeamten in erster Linie handelt. Man wird prüfen müssen, ob etwa richtiges Augenmaß für das Erreichbare, angemessene Beurteilung des praktischen Lebens, schnelle, aber auch keine überhastete Initiative, Ruhe und Konsequenz in der Durchführung wenigstens in der Veranlagung vorhanden sind. Denn der Verwaltungsbeamte muß sich auf Grund der tatsächlichen Verhältnisse als ein schaffender Faktor erweisen können, seine Tätigkeit ist eine durchaus produktive. Das ihm besonders feindliche Element ist die Theorie in jeder Gestalt. Daher hat auch die Auswahl oder Abschätzung der Verwaltungsbeamten auf Grund theoretischen Wissens und Könnens so gut wie gar keine Wahrscheinlichkeit hinsichtlich der Richtigkeit für sich. Denn alles theoretische Wissen wird auf rezeptiven Wege gewonnen, und wo starke Neigungen für das Rezeptive vor¬ handen sind, werden kaum produktive Fähigkeiten stark vertreten sein. Dies liegt tief in der menschlichen Natur begründet und kommt nicht nur für den Verwaltungsbeamten, sondern mehr oder weniger für alle Gebiete des praktischen Lebens in Betracht. Es ist bekannt, wie selten sogenannte Musterschüler den gehegten Erwartungen entsprechende Leistungen in ihrem späteren Beruf auf¬ weisen. Es kann dies im Grunde aber gar nicht anders sein. In der Schule nimmt man in sich auf, im praktischen Leben soll man hervorbringen. Beides sind ganz verschiedenartige Dinge, die Eigenschaften von gegensätzlicher Natur zur Voraussetzung haben. Der rezeptiv veranlagte Kopf sieht im Wissen Selbst¬ zweck und zeigt daher den größten Eifer, dieses Wissen zu erweitern. Der mit produktiven Fähigkeiten ausgestattete Kopf sieht im Wissen von vornherein nur Mittel zum Zweck. Er wägt ab, ob und inwieweit diese notwendig sind, um seine Zwecke zu erreichen, und empfindet die allzu reichlich bemessenen Mittel als Ballast, gegen den er sich unwillkürlich sträubt. Für ihn ist denn das Wissen lediglich Handwerkzeug, das er für seine produktiven Ziele verwenden will. Aber ebensowenig wie das reichlichste und beste Handwerkzeug eine Ge¬ währ dafür bietet, daß gute Leistungen hervorgebracht werden, ebensowenig kann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/507>, abgerufen am 24.08.2024.