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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Reisebriefe

vidualität, das du betätigen kannst, ohne die Gebärde des vornehmen Mannes
aufgeben zu müssen, von denen du noch einen Widerschein siehst in den
schlanken, gutgebauten Gestalten dieser Arbeiter, Kommis, Schutzleute, Chauffeure.
Du kannst stolzen Hauptes einhergehen, ohne pretentiös zu sein. Du kannst
eilen, ohne rücksichtslos zu werden.

Weshalb kann es bei uns nicht ebenso sein? Wohl verstanden, ich meine
nicht die unbedingte Anglisierung von Barttracht und Kleiderschnitt. Nicht also
nur eine Kopie jener Gebärden, die man spielen könnte. Weshalb aber sieht
bei uns der einfache Mann nicht ebenso gut gezüchtet aus, wie hier? Weshalb
spielt sich bei uns das Straßenleben nicht mit der nämlichen nervenberuhigenden
selbstverständlichen Gelassenheit ab, wie hier?

Die erste ist nicht nur eine Rassenfrage, sie geht auch alle die an. die in
Deutschland nicht aussterben wollen: nämlich die im täglichen Bad noch immer
einen ungeheueren Luxus sehen.

Die zweite Frage aber geht jeden an. der deutschen Boden verläßt, denn
man darf meiner Ansicht nach die Tatsache, daß der Deutsche so unbeliebt im
Auslande ist, auf die Dauer nicht mit dem Neide der übrigen Nationen (ach
du lieber Gott) begründen. Ich glaube, es wäre Zeit, mit einer Manieren¬
reform aller derer zu beginnen, die das Ausland glauben machen, daß wir uns
alle in jener näselnder Sprache gefallen, die mehr hinter den Ladentischen des
Warmhauses Wertheim:, als im Offizierkorps zu Hause ist; daß wir so oft den
Begriff des natürlichen Stolzes mit dem der Prätension verwechseln. Genug
davon, zum Volkserzieher bin ich nicht geschaffen.

Jetzt am allerwenigsten, wo ich. in Wehmut halb und halb in freudigem
Genießen von der Kultur Europas Abschied nehme, die nun für lange, lange
Zeit versinkt hinter mir. Wo ich aus den sinnverwirrenden Schätzen des
British Museum mich immer wieder in seine Partenonsäle flüchte, wo mich das
alles noch einmal in der lächelnden Gelassenheit der alten unumstrittenen Kultur
grüßt, dem ich doch das beste danke, was ich besitze. Wo mich in buntem Auf
und Ab dieses Leben umbraust, das ich so liebe, sür dessen Strom es kein
Versiegen geben dürfte, sondern nur ein ewiges Sicherneuern und -fließen .. .

So sprichst du Tor und liegst auf Hndepark grünem Rasen und siehst mit
lächelnden: Erstaunen die ersten Altweibersommerfäden segeln, hoch oben und
starrst in den blaßblauen Himmel hinauf, der dich im müden Herbstlichte still
und verhornen küßt, als nähme eine reisende Frau dein Haupt in die Hände
und küßte dir die Augenlider zu: "So still, ganz still, mein Junge." Und
dann ruhest du, alle Glieder gelöst, in seligem Ermatten . .. Und erhebst dich
wieder und siehst das ruhige, reuelose Reifen des Herbstes, des Herbstes, der
uns doch allen gemein ist, die wir dieses bunte, rätselhafte Spiel treiben, dessen
Sinn wir nicht kennen.

Fenchurchstreet. da. wo sie im Westen endet, hellviolette Bogenlichttupfen
auf dunkeln, wogenden Menschenmassen. Tausend Automobilschreie, quälende


Reisebriefe

vidualität, das du betätigen kannst, ohne die Gebärde des vornehmen Mannes
aufgeben zu müssen, von denen du noch einen Widerschein siehst in den
schlanken, gutgebauten Gestalten dieser Arbeiter, Kommis, Schutzleute, Chauffeure.
Du kannst stolzen Hauptes einhergehen, ohne pretentiös zu sein. Du kannst
eilen, ohne rücksichtslos zu werden.

Weshalb kann es bei uns nicht ebenso sein? Wohl verstanden, ich meine
nicht die unbedingte Anglisierung von Barttracht und Kleiderschnitt. Nicht also
nur eine Kopie jener Gebärden, die man spielen könnte. Weshalb aber sieht
bei uns der einfache Mann nicht ebenso gut gezüchtet aus, wie hier? Weshalb
spielt sich bei uns das Straßenleben nicht mit der nämlichen nervenberuhigenden
selbstverständlichen Gelassenheit ab, wie hier?

Die erste ist nicht nur eine Rassenfrage, sie geht auch alle die an. die in
Deutschland nicht aussterben wollen: nämlich die im täglichen Bad noch immer
einen ungeheueren Luxus sehen.

Die zweite Frage aber geht jeden an. der deutschen Boden verläßt, denn
man darf meiner Ansicht nach die Tatsache, daß der Deutsche so unbeliebt im
Auslande ist, auf die Dauer nicht mit dem Neide der übrigen Nationen (ach
du lieber Gott) begründen. Ich glaube, es wäre Zeit, mit einer Manieren¬
reform aller derer zu beginnen, die das Ausland glauben machen, daß wir uns
alle in jener näselnder Sprache gefallen, die mehr hinter den Ladentischen des
Warmhauses Wertheim:, als im Offizierkorps zu Hause ist; daß wir so oft den
Begriff des natürlichen Stolzes mit dem der Prätension verwechseln. Genug
davon, zum Volkserzieher bin ich nicht geschaffen.

Jetzt am allerwenigsten, wo ich. in Wehmut halb und halb in freudigem
Genießen von der Kultur Europas Abschied nehme, die nun für lange, lange
Zeit versinkt hinter mir. Wo ich aus den sinnverwirrenden Schätzen des
British Museum mich immer wieder in seine Partenonsäle flüchte, wo mich das
alles noch einmal in der lächelnden Gelassenheit der alten unumstrittenen Kultur
grüßt, dem ich doch das beste danke, was ich besitze. Wo mich in buntem Auf
und Ab dieses Leben umbraust, das ich so liebe, sür dessen Strom es kein
Versiegen geben dürfte, sondern nur ein ewiges Sicherneuern und -fließen .. .

So sprichst du Tor und liegst auf Hndepark grünem Rasen und siehst mit
lächelnden: Erstaunen die ersten Altweibersommerfäden segeln, hoch oben und
starrst in den blaßblauen Himmel hinauf, der dich im müden Herbstlichte still
und verhornen küßt, als nähme eine reisende Frau dein Haupt in die Hände
und küßte dir die Augenlider zu: „So still, ganz still, mein Junge." Und
dann ruhest du, alle Glieder gelöst, in seligem Ermatten . .. Und erhebst dich
wieder und siehst das ruhige, reuelose Reifen des Herbstes, des Herbstes, der
uns doch allen gemein ist, die wir dieses bunte, rätselhafte Spiel treiben, dessen
Sinn wir nicht kennen.

Fenchurchstreet. da. wo sie im Westen endet, hellviolette Bogenlichttupfen
auf dunkeln, wogenden Menschenmassen. Tausend Automobilschreie, quälende


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/49>, abgerufen am 22.07.2024.