Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.Reisebriefe Komplimente zu sagen, immer zu lachen, ein Bonmot hinzuwerfen. Alles mit Hinaus in die Regennacht. In gewundene mittelalterliche Gassen, über In der Mitte der Tabakwolke tanzt man. Ein Offizier von einem deutschen In der Ecke sitzt die Kapelle: ein Geiger und eine Harfnerin. Sie hat Reisebriefe Komplimente zu sagen, immer zu lachen, ein Bonmot hinzuwerfen. Alles mit Hinaus in die Regennacht. In gewundene mittelalterliche Gassen, über In der Mitte der Tabakwolke tanzt man. Ein Offizier von einem deutschen In der Ecke sitzt die Kapelle: ein Geiger und eine Harfnerin. Sie hat <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0047" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326859"/> <fw type="header" place="top"> Reisebriefe</fw><lb/> <p xml:id="ID_145" prev="#ID_144"> Komplimente zu sagen, immer zu lachen, ein Bonmot hinzuwerfen. Alles mit<lb/> unendlich komischen Handbewegungen, die von einer Ritterlichkeit bis aufs<lb/> Schaffst zeugen. Laßt mir den Typ, er hat immer Lebensart, er vergißt sich<lb/> nie in der Form und ist zum Mindesten appetitlicher, als der dickgetrunkene<lb/> deutsche Bierstudent von anno dazumal. Durch ein Zwischenland müssen wir<lb/> am Ende alle, die das Land ruhig schaffender und genießender Männlichkeit<lb/> sehen wollen. Aber dann lieber eins, das uns bei leidlicher Jugend und guter<lb/> Figur erhält und uns nicht allzufrüh in den großen und stillen Ozean einer<lb/> behäbigen Staatsbürgerlichkeit versenkt.</p><lb/> <p xml:id="ID_146"> Hinaus in die Regennacht. In gewundene mittelalterliche Gassen, über<lb/> die ich jetzt eigentlich einen wohlgesitteten Essay schreiben sollte. Wozu ich aber<lb/> nicht zu bewegen bin. Sehr richtig, diese Straßen sind krumm. Und werden<lb/> immer enger, je näher ich dem Hafen komme. Daß der Genosse Browning<lb/> (für zehn Personen) mich aus diesem Gange begleitet, ist mir ein lieber, ein<lb/> tröstlicher Gedanke. Bunte Schilder „Gasthaus Berliner Range", „Zum Nacht¬<lb/> licht", „Bachushallen", Grammophonklänge. Blutrünstige Septimakkorde. Hinein.<lb/> Sieh da, die Sache ist gar nicht so schlimm. Alles wohlangezogene Gentlemen.<lb/> Kein einziger betrunken. Alles ehrliche, anständige Seemannsgesichter. Aber<lb/> die Spiegel an den Wänden zeigen doch die ominösen kleinen Löcher mit den<lb/> radienförmigen Platzern an den Rändern, die dem Kundigen genug über ihre<lb/> Provenienz verraten. Gott, diese neumodischen, automatischen Pistolen gehen so<lb/> leicht einmal los, wenn man sie reinigt. . .</p><lb/> <p xml:id="ID_147"> In der Mitte der Tabakwolke tanzt man. Ein Offizier von einem deutschen<lb/> Dampfer und irgendein junges, leichtfüßiges Ding. Er ist in Zivil, im ele¬<lb/> gantesten, das er hat, das immer wohlgebürstet in seiner Seekiste liegt. Und<lb/> hat einen nagelneuen silbergrauen Filzhut auf dem Kopfe, der mindestens<lb/> 3,50 Mark gekostet hat. Er sieht immer offen und ehrlich gerade aus, wenn<lb/> er tanzt, und jede Bewegung ist wohlanständig. Er hat ein Kindergesicht und<lb/> bleibt sicher immer ein Kind, auch wenn ihn ein Rausch in der schmutzigsten<lb/> Kneipe von San Francisco stranden läßt.</p><lb/> <p xml:id="ID_148" next="#ID_149"> In der Ecke sitzt die Kapelle: ein Geiger und eine Harfnerin. Sie hat<lb/> das süße, etwas wehe Lächeln der einen Begleiterin des Alcibiades aus Feuer¬<lb/> bachs erstem Platonmahle. Wenn sie aber aufsteht und mit dem Sammelteller<lb/> herumläuft, hat ihr Gesicht den altbekannten erwerbsüchtigen Zug. ... Ein<lb/> Holländer kommt herein, sehr sauber angetan, mit einem großen Nickelkessel vor<lb/> dem Bauch. Im Kessel sind Siedewürstchen. Der Mann stellt sich hin, verzieht<lb/> keine Miene. Alles langt in den Nickelkessel. Er steht wie eine Milchkuh da<lb/> und wird leer gefressen. Nächste Nummer: eine schon bejahrte Dame (im<lb/> Format einer dreitausendundfünfhundertpferdigen dreifach'gekuppelten Compound-<lb/> Exvanftonsmaschine) erscheint. Es muß eine alte Bekannte sein, denn es entsteht<lb/> ein großes Hallo. Sie war offenbar früher ein Star von Antwerpen. Jetzt<lb/> verkauft sie Streichhölzer____ Und die niedliche kleine Person, die vorhin mit</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0047]
Reisebriefe
Komplimente zu sagen, immer zu lachen, ein Bonmot hinzuwerfen. Alles mit
unendlich komischen Handbewegungen, die von einer Ritterlichkeit bis aufs
Schaffst zeugen. Laßt mir den Typ, er hat immer Lebensart, er vergißt sich
nie in der Form und ist zum Mindesten appetitlicher, als der dickgetrunkene
deutsche Bierstudent von anno dazumal. Durch ein Zwischenland müssen wir
am Ende alle, die das Land ruhig schaffender und genießender Männlichkeit
sehen wollen. Aber dann lieber eins, das uns bei leidlicher Jugend und guter
Figur erhält und uns nicht allzufrüh in den großen und stillen Ozean einer
behäbigen Staatsbürgerlichkeit versenkt.
Hinaus in die Regennacht. In gewundene mittelalterliche Gassen, über
die ich jetzt eigentlich einen wohlgesitteten Essay schreiben sollte. Wozu ich aber
nicht zu bewegen bin. Sehr richtig, diese Straßen sind krumm. Und werden
immer enger, je näher ich dem Hafen komme. Daß der Genosse Browning
(für zehn Personen) mich aus diesem Gange begleitet, ist mir ein lieber, ein
tröstlicher Gedanke. Bunte Schilder „Gasthaus Berliner Range", „Zum Nacht¬
licht", „Bachushallen", Grammophonklänge. Blutrünstige Septimakkorde. Hinein.
Sieh da, die Sache ist gar nicht so schlimm. Alles wohlangezogene Gentlemen.
Kein einziger betrunken. Alles ehrliche, anständige Seemannsgesichter. Aber
die Spiegel an den Wänden zeigen doch die ominösen kleinen Löcher mit den
radienförmigen Platzern an den Rändern, die dem Kundigen genug über ihre
Provenienz verraten. Gott, diese neumodischen, automatischen Pistolen gehen so
leicht einmal los, wenn man sie reinigt. . .
In der Mitte der Tabakwolke tanzt man. Ein Offizier von einem deutschen
Dampfer und irgendein junges, leichtfüßiges Ding. Er ist in Zivil, im ele¬
gantesten, das er hat, das immer wohlgebürstet in seiner Seekiste liegt. Und
hat einen nagelneuen silbergrauen Filzhut auf dem Kopfe, der mindestens
3,50 Mark gekostet hat. Er sieht immer offen und ehrlich gerade aus, wenn
er tanzt, und jede Bewegung ist wohlanständig. Er hat ein Kindergesicht und
bleibt sicher immer ein Kind, auch wenn ihn ein Rausch in der schmutzigsten
Kneipe von San Francisco stranden läßt.
In der Ecke sitzt die Kapelle: ein Geiger und eine Harfnerin. Sie hat
das süße, etwas wehe Lächeln der einen Begleiterin des Alcibiades aus Feuer¬
bachs erstem Platonmahle. Wenn sie aber aufsteht und mit dem Sammelteller
herumläuft, hat ihr Gesicht den altbekannten erwerbsüchtigen Zug. ... Ein
Holländer kommt herein, sehr sauber angetan, mit einem großen Nickelkessel vor
dem Bauch. Im Kessel sind Siedewürstchen. Der Mann stellt sich hin, verzieht
keine Miene. Alles langt in den Nickelkessel. Er steht wie eine Milchkuh da
und wird leer gefressen. Nächste Nummer: eine schon bejahrte Dame (im
Format einer dreitausendundfünfhundertpferdigen dreifach'gekuppelten Compound-
Exvanftonsmaschine) erscheint. Es muß eine alte Bekannte sein, denn es entsteht
ein großes Hallo. Sie war offenbar früher ein Star von Antwerpen. Jetzt
verkauft sie Streichhölzer____ Und die niedliche kleine Person, die vorhin mit
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |