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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Reiscbricfe

Täusche dich nicht, du weißt, die Welt dort draußen ist eisenhart. Schön
mag sie sein und locken, aber sie umhegt und umfriedet dich nicht, wie deiner
Väter Hof. Sie ist erbarmungslos und verschlingt den, der ihr mit weicher
Seele naht.

Ein anderes: auf schwerem schwarzen Rosse reitet ein finsterer Mann.
Über ein einsames Gestade führt der Weg, daraus Knochen bleichen. Hinter
ihm das öde Ufer, vor ihm ungewisses Grau. Glück auf, mein Freund I Du
wirst nicht geknickt werden von deinem Geschick. Lichtet sich vor dir das Gran,
nun so nimmst du lachend die wonnige Welt in Besitz. Reitest du in das Ver¬
derben, was liegt daran? Du blickst hart wie ein Geier und hart wie
Stahl ist auch deine Seele. Du haft es gelernt, kein Erbarmen zu haben, hast
es selbst am allerwenigsten mit dir. Was dich auch trifft, du wirst nicht leiden.

Und ein drittes noch: kennt ihr das Wanderermotiv aus dem Siegfried?
In ruhigen Halben geht es einen wunderlichen Jrrgang durch eine Welt von
Harmonien vom reinen, frohen et-clur über L, /^8, Q, zum er¬
lösenden l)-6ur. Ein wirres gramvolles Wandern, und doch die ruhige
Größe des Gottes, der seinen zerbrochenen Herrscherspeer aufrafft und besiegt
doch als Sieger scheidet. Wütender Schmerz, ruheloses Schreiten und doch
Göttergröße.

Saht ihr sie je, die so die Welt durchschreiten? Die eine Wunde davon¬
trugen, aus der über kurz oder lang ihr Leben entweichen muß? Die aber
doch Könige sind in ihrem Schmerz, der ein Töter ist und ein Erlöser zugleich?
Die schmerzvollen treibt es um, sie wissen selbst nicht, weshalb. Sie fürchten
selbst nicht mehr. Und ruhen nicht, bis der alte, stille, bleiche Freund sie liebe¬
voll in seine Arme nimmt.

Was treibt dich hinaus. Gesell? Hinter dir liegt das Land, in dem du
dich zurecht findest. Und ein lockendes Lied ruft dich und will dich zurückhalten.
Daheim beginnt dein Leben sich zu fügen, was stößt du die Heimat von dir?

Weshalb ich die Heimat von mir stoße, weiß die Heimat allein. Zudem,
was nennt ihr Heimat? Die grauen Mauern, in denen ihr euch in fürchter¬
licher Enge zusammendrängt? In denen ihr keine Bewegung machen könnt,
ohne mit dem lieben Nächsten zu kollidieren?

Diese Hausen von Proletarierkasernen, die euch das Land fressen und mit
dem Lande eure Kraft, euren Stolz, eure Eigenart? Täuscht euch nicht!
Unsere großen Städte sehen nicht wesentlich anders aus, als die dort drüben.
Wie lange noch, und auch euch gießt Herr Edison euer Heim aus Zement.
Eins sieht dann, wie es sich gehört, genau so aus, wie das andere. Und in
allen wohnen dann Normalmenschen mit Normalhirnen und Normalherzen. . .

Wer im harten Kampfe seine Scholle verteidigt, wer auf ihr sein Leben
zimmert und Kinder und Enkelein um sich pflegt, mag an seiner engen, wohl¬
gefügten Welt genug haben. Ich gönne sie ihm und wünsche oft selbst, wenn,
ich müde bin, die meine wäre so. Wir aber, die wir immer vermissen und


Reiscbricfe

Täusche dich nicht, du weißt, die Welt dort draußen ist eisenhart. Schön
mag sie sein und locken, aber sie umhegt und umfriedet dich nicht, wie deiner
Väter Hof. Sie ist erbarmungslos und verschlingt den, der ihr mit weicher
Seele naht.

Ein anderes: auf schwerem schwarzen Rosse reitet ein finsterer Mann.
Über ein einsames Gestade führt der Weg, daraus Knochen bleichen. Hinter
ihm das öde Ufer, vor ihm ungewisses Grau. Glück auf, mein Freund I Du
wirst nicht geknickt werden von deinem Geschick. Lichtet sich vor dir das Gran,
nun so nimmst du lachend die wonnige Welt in Besitz. Reitest du in das Ver¬
derben, was liegt daran? Du blickst hart wie ein Geier und hart wie
Stahl ist auch deine Seele. Du haft es gelernt, kein Erbarmen zu haben, hast
es selbst am allerwenigsten mit dir. Was dich auch trifft, du wirst nicht leiden.

Und ein drittes noch: kennt ihr das Wanderermotiv aus dem Siegfried?
In ruhigen Halben geht es einen wunderlichen Jrrgang durch eine Welt von
Harmonien vom reinen, frohen et-clur über L, /^8, Q, zum er¬
lösenden l)-6ur. Ein wirres gramvolles Wandern, und doch die ruhige
Größe des Gottes, der seinen zerbrochenen Herrscherspeer aufrafft und besiegt
doch als Sieger scheidet. Wütender Schmerz, ruheloses Schreiten und doch
Göttergröße.

Saht ihr sie je, die so die Welt durchschreiten? Die eine Wunde davon¬
trugen, aus der über kurz oder lang ihr Leben entweichen muß? Die aber
doch Könige sind in ihrem Schmerz, der ein Töter ist und ein Erlöser zugleich?
Die schmerzvollen treibt es um, sie wissen selbst nicht, weshalb. Sie fürchten
selbst nicht mehr. Und ruhen nicht, bis der alte, stille, bleiche Freund sie liebe¬
voll in seine Arme nimmt.

Was treibt dich hinaus. Gesell? Hinter dir liegt das Land, in dem du
dich zurecht findest. Und ein lockendes Lied ruft dich und will dich zurückhalten.
Daheim beginnt dein Leben sich zu fügen, was stößt du die Heimat von dir?

Weshalb ich die Heimat von mir stoße, weiß die Heimat allein. Zudem,
was nennt ihr Heimat? Die grauen Mauern, in denen ihr euch in fürchter¬
licher Enge zusammendrängt? In denen ihr keine Bewegung machen könnt,
ohne mit dem lieben Nächsten zu kollidieren?

Diese Hausen von Proletarierkasernen, die euch das Land fressen und mit
dem Lande eure Kraft, euren Stolz, eure Eigenart? Täuscht euch nicht!
Unsere großen Städte sehen nicht wesentlich anders aus, als die dort drüben.
Wie lange noch, und auch euch gießt Herr Edison euer Heim aus Zement.
Eins sieht dann, wie es sich gehört, genau so aus, wie das andere. Und in
allen wohnen dann Normalmenschen mit Normalhirnen und Normalherzen. . .

Wer im harten Kampfe seine Scholle verteidigt, wer auf ihr sein Leben
zimmert und Kinder und Enkelein um sich pflegt, mag an seiner engen, wohl¬
gefügten Welt genug haben. Ich gönne sie ihm und wünsche oft selbst, wenn,
ich müde bin, die meine wäre so. Wir aber, die wir immer vermissen und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/44>, abgerufen am 26.06.2024.