Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Reform der innere" Verwaltung

eigenen Wege, was natürlich alles nicht von ersprießlicher Wirkung für die
Verwaltung sein kann.

Wer aber trägt die Verantwortung? Hat sich herausgestellt, daß etwas
wohl gelungen ist, so braucht der Leiter der Behörde nicht zu bereuen, seinen
Namen unter das betreffende Schriftstück gesetzt zu haben. Treten aber Fehler
und Mängel zutage, so wird er gewiß geneigt sein, anders zu denken, obwohl
er, als die allein entscheidende Stelle, in der Theorie hierzu nicht befugt sein
sollte. Trotzdem wird er behaupten, daß er doch unmöglich alles allein Über¬
sehen und wissen könne, und dies mit einem gewissen Recht. Ist es dem
Leiter der bureaukratisch eingerichteten Behörde aber vergönnt, die Verantwor¬
tung mehr oder weniger von sich zu weisen, wer soll sie an seiner Stelle über¬
nehmen? Natürlich der Dezernent nach dem Grundsatz, was ich nicht weiß,
hätte ein anderer wissen müssen. Ist es aber nicht ein Unding, dem Dezernenten,
der gar kein Entscheidungsrecht hat, Verantwortung aufzubürden? Und wo
sollen schließlich die Grenzen der Verantwortung, die jeder Beteiligte hat, zu
finden sein? Auf diese Frage dürfte keine befriedigende Antwort zu geben sein.
Gewiß ist aber ihre Lösung von der größten Wichtigkeit.

Das büreaukratische System macht es auch erforderlich, den Geschäftsgang
so einzurichten, daß der Leiter der Behörde möglichst stets in der Lage ist,
eingreifen zu können, um von seinem Entscheidungsrecht Gebrauch zu machen.
Deshalb müßten auch alle Eingänge durch seine Hand gehen. Wenn dies in
der Praxis bei größeren Behörden im allgemeinen nicht geschieht, d. h. nicht
geschehen kann, so zeigt sich hier wiederum, welche UnVollkommenheiten das
büreaukratische System bei derartigen Behörden in sich birgt. Und vielleicht
macht es auch dies System, welches in der ersten und größten Abteilung der
Regierungen Geltung hat, erklärlich, wenn man für letztere solange an einem
Geschäftsgange festgehalten hat, der vom praktischen Gesichtspunkte gewiß seine
Eigentümlichkeiten aufzuweisen hat. Wir meinen hiermit die vielen Instanzen,
die ein jedes Schriftstück nach dem Grundsatze, daß die entscheidenden Stellen
jedenfalls nicht übergangen werden dürfen, durchzumachen hat, wenn es bei
der Regierung eintrifft oder sie wieder verläßt. Sind nämlich die Eingänge
im Präsidialbureau eingeteilt worden, so gehen sie zunächst zum Regierungs¬
präsidenten, dann zum Abteilungsdirigenten, oder auch gleich hierhin mit Über¬
gehung des Präsidenten. Darauf gelangen sie zum Dezernenten; von hier in
den meisten Fällen zum Bureau. Unter Umständen können sie nach der neueren
Geschäftsanweisung auch noch ein zweites Mal zum Dezernenten gelangen.
Jedenfalls sind es nicht weniger als vier Instanzen, welche berufen sind, die
Eingänge zu studieren, die erforderlichen Akten herbeischaffen zu lassen. Rück¬
sprachen abzuhalten oder sonstige informatorische Tätigkeiten vorzunehmen. Die
Bearbeitung kann aber schließlich doch nur an einer Stelle vorgenommen werden.
Erwägt man nun, daß alle Eingänge eine Reihe von zeitraubenden Formali¬
täten durchzumachen haben, so wird man leicht begreifen, daß von der gesamten


Reform der innere» Verwaltung

eigenen Wege, was natürlich alles nicht von ersprießlicher Wirkung für die
Verwaltung sein kann.

Wer aber trägt die Verantwortung? Hat sich herausgestellt, daß etwas
wohl gelungen ist, so braucht der Leiter der Behörde nicht zu bereuen, seinen
Namen unter das betreffende Schriftstück gesetzt zu haben. Treten aber Fehler
und Mängel zutage, so wird er gewiß geneigt sein, anders zu denken, obwohl
er, als die allein entscheidende Stelle, in der Theorie hierzu nicht befugt sein
sollte. Trotzdem wird er behaupten, daß er doch unmöglich alles allein Über¬
sehen und wissen könne, und dies mit einem gewissen Recht. Ist es dem
Leiter der bureaukratisch eingerichteten Behörde aber vergönnt, die Verantwor¬
tung mehr oder weniger von sich zu weisen, wer soll sie an seiner Stelle über¬
nehmen? Natürlich der Dezernent nach dem Grundsatz, was ich nicht weiß,
hätte ein anderer wissen müssen. Ist es aber nicht ein Unding, dem Dezernenten,
der gar kein Entscheidungsrecht hat, Verantwortung aufzubürden? Und wo
sollen schließlich die Grenzen der Verantwortung, die jeder Beteiligte hat, zu
finden sein? Auf diese Frage dürfte keine befriedigende Antwort zu geben sein.
Gewiß ist aber ihre Lösung von der größten Wichtigkeit.

Das büreaukratische System macht es auch erforderlich, den Geschäftsgang
so einzurichten, daß der Leiter der Behörde möglichst stets in der Lage ist,
eingreifen zu können, um von seinem Entscheidungsrecht Gebrauch zu machen.
Deshalb müßten auch alle Eingänge durch seine Hand gehen. Wenn dies in
der Praxis bei größeren Behörden im allgemeinen nicht geschieht, d. h. nicht
geschehen kann, so zeigt sich hier wiederum, welche UnVollkommenheiten das
büreaukratische System bei derartigen Behörden in sich birgt. Und vielleicht
macht es auch dies System, welches in der ersten und größten Abteilung der
Regierungen Geltung hat, erklärlich, wenn man für letztere solange an einem
Geschäftsgange festgehalten hat, der vom praktischen Gesichtspunkte gewiß seine
Eigentümlichkeiten aufzuweisen hat. Wir meinen hiermit die vielen Instanzen,
die ein jedes Schriftstück nach dem Grundsatze, daß die entscheidenden Stellen
jedenfalls nicht übergangen werden dürfen, durchzumachen hat, wenn es bei
der Regierung eintrifft oder sie wieder verläßt. Sind nämlich die Eingänge
im Präsidialbureau eingeteilt worden, so gehen sie zunächst zum Regierungs¬
präsidenten, dann zum Abteilungsdirigenten, oder auch gleich hierhin mit Über¬
gehung des Präsidenten. Darauf gelangen sie zum Dezernenten; von hier in
den meisten Fällen zum Bureau. Unter Umständen können sie nach der neueren
Geschäftsanweisung auch noch ein zweites Mal zum Dezernenten gelangen.
Jedenfalls sind es nicht weniger als vier Instanzen, welche berufen sind, die
Eingänge zu studieren, die erforderlichen Akten herbeischaffen zu lassen. Rück¬
sprachen abzuhalten oder sonstige informatorische Tätigkeiten vorzunehmen. Die
Bearbeitung kann aber schließlich doch nur an einer Stelle vorgenommen werden.
Erwägt man nun, daß alle Eingänge eine Reihe von zeitraubenden Formali¬
täten durchzumachen haben, so wird man leicht begreifen, daß von der gesamten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0418" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327230"/>
          <fw type="header" place="top"> Reform der innere» Verwaltung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1642" prev="#ID_1641"> eigenen Wege, was natürlich alles nicht von ersprießlicher Wirkung für die<lb/>
Verwaltung sein kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1643"> Wer aber trägt die Verantwortung? Hat sich herausgestellt, daß etwas<lb/>
wohl gelungen ist, so braucht der Leiter der Behörde nicht zu bereuen, seinen<lb/>
Namen unter das betreffende Schriftstück gesetzt zu haben. Treten aber Fehler<lb/>
und Mängel zutage, so wird er gewiß geneigt sein, anders zu denken, obwohl<lb/>
er, als die allein entscheidende Stelle, in der Theorie hierzu nicht befugt sein<lb/>
sollte. Trotzdem wird er behaupten, daß er doch unmöglich alles allein Über¬<lb/>
sehen und wissen könne, und dies mit einem gewissen Recht. Ist es dem<lb/>
Leiter der bureaukratisch eingerichteten Behörde aber vergönnt, die Verantwor¬<lb/>
tung mehr oder weniger von sich zu weisen, wer soll sie an seiner Stelle über¬<lb/>
nehmen? Natürlich der Dezernent nach dem Grundsatz, was ich nicht weiß,<lb/>
hätte ein anderer wissen müssen. Ist es aber nicht ein Unding, dem Dezernenten,<lb/>
der gar kein Entscheidungsrecht hat, Verantwortung aufzubürden? Und wo<lb/>
sollen schließlich die Grenzen der Verantwortung, die jeder Beteiligte hat, zu<lb/>
finden sein? Auf diese Frage dürfte keine befriedigende Antwort zu geben sein.<lb/>
Gewiß ist aber ihre Lösung von der größten Wichtigkeit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1644" next="#ID_1645"> Das büreaukratische System macht es auch erforderlich, den Geschäftsgang<lb/>
so einzurichten, daß der Leiter der Behörde möglichst stets in der Lage ist,<lb/>
eingreifen zu können, um von seinem Entscheidungsrecht Gebrauch zu machen.<lb/>
Deshalb müßten auch alle Eingänge durch seine Hand gehen. Wenn dies in<lb/>
der Praxis bei größeren Behörden im allgemeinen nicht geschieht, d. h. nicht<lb/>
geschehen kann, so zeigt sich hier wiederum, welche UnVollkommenheiten das<lb/>
büreaukratische System bei derartigen Behörden in sich birgt. Und vielleicht<lb/>
macht es auch dies System, welches in der ersten und größten Abteilung der<lb/>
Regierungen Geltung hat, erklärlich, wenn man für letztere solange an einem<lb/>
Geschäftsgange festgehalten hat, der vom praktischen Gesichtspunkte gewiß seine<lb/>
Eigentümlichkeiten aufzuweisen hat. Wir meinen hiermit die vielen Instanzen,<lb/>
die ein jedes Schriftstück nach dem Grundsatze, daß die entscheidenden Stellen<lb/>
jedenfalls nicht übergangen werden dürfen, durchzumachen hat, wenn es bei<lb/>
der Regierung eintrifft oder sie wieder verläßt. Sind nämlich die Eingänge<lb/>
im Präsidialbureau eingeteilt worden, so gehen sie zunächst zum Regierungs¬<lb/>
präsidenten, dann zum Abteilungsdirigenten, oder auch gleich hierhin mit Über¬<lb/>
gehung des Präsidenten. Darauf gelangen sie zum Dezernenten; von hier in<lb/>
den meisten Fällen zum Bureau. Unter Umständen können sie nach der neueren<lb/>
Geschäftsanweisung auch noch ein zweites Mal zum Dezernenten gelangen.<lb/>
Jedenfalls sind es nicht weniger als vier Instanzen, welche berufen sind, die<lb/>
Eingänge zu studieren, die erforderlichen Akten herbeischaffen zu lassen. Rück¬<lb/>
sprachen abzuhalten oder sonstige informatorische Tätigkeiten vorzunehmen. Die<lb/>
Bearbeitung kann aber schließlich doch nur an einer Stelle vorgenommen werden.<lb/>
Erwägt man nun, daß alle Eingänge eine Reihe von zeitraubenden Formali¬<lb/>
täten durchzumachen haben, so wird man leicht begreifen, daß von der gesamten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0418] Reform der innere» Verwaltung eigenen Wege, was natürlich alles nicht von ersprießlicher Wirkung für die Verwaltung sein kann. Wer aber trägt die Verantwortung? Hat sich herausgestellt, daß etwas wohl gelungen ist, so braucht der Leiter der Behörde nicht zu bereuen, seinen Namen unter das betreffende Schriftstück gesetzt zu haben. Treten aber Fehler und Mängel zutage, so wird er gewiß geneigt sein, anders zu denken, obwohl er, als die allein entscheidende Stelle, in der Theorie hierzu nicht befugt sein sollte. Trotzdem wird er behaupten, daß er doch unmöglich alles allein Über¬ sehen und wissen könne, und dies mit einem gewissen Recht. Ist es dem Leiter der bureaukratisch eingerichteten Behörde aber vergönnt, die Verantwor¬ tung mehr oder weniger von sich zu weisen, wer soll sie an seiner Stelle über¬ nehmen? Natürlich der Dezernent nach dem Grundsatz, was ich nicht weiß, hätte ein anderer wissen müssen. Ist es aber nicht ein Unding, dem Dezernenten, der gar kein Entscheidungsrecht hat, Verantwortung aufzubürden? Und wo sollen schließlich die Grenzen der Verantwortung, die jeder Beteiligte hat, zu finden sein? Auf diese Frage dürfte keine befriedigende Antwort zu geben sein. Gewiß ist aber ihre Lösung von der größten Wichtigkeit. Das büreaukratische System macht es auch erforderlich, den Geschäftsgang so einzurichten, daß der Leiter der Behörde möglichst stets in der Lage ist, eingreifen zu können, um von seinem Entscheidungsrecht Gebrauch zu machen. Deshalb müßten auch alle Eingänge durch seine Hand gehen. Wenn dies in der Praxis bei größeren Behörden im allgemeinen nicht geschieht, d. h. nicht geschehen kann, so zeigt sich hier wiederum, welche UnVollkommenheiten das büreaukratische System bei derartigen Behörden in sich birgt. Und vielleicht macht es auch dies System, welches in der ersten und größten Abteilung der Regierungen Geltung hat, erklärlich, wenn man für letztere solange an einem Geschäftsgange festgehalten hat, der vom praktischen Gesichtspunkte gewiß seine Eigentümlichkeiten aufzuweisen hat. Wir meinen hiermit die vielen Instanzen, die ein jedes Schriftstück nach dem Grundsatze, daß die entscheidenden Stellen jedenfalls nicht übergangen werden dürfen, durchzumachen hat, wenn es bei der Regierung eintrifft oder sie wieder verläßt. Sind nämlich die Eingänge im Präsidialbureau eingeteilt worden, so gehen sie zunächst zum Regierungs¬ präsidenten, dann zum Abteilungsdirigenten, oder auch gleich hierhin mit Über¬ gehung des Präsidenten. Darauf gelangen sie zum Dezernenten; von hier in den meisten Fällen zum Bureau. Unter Umständen können sie nach der neueren Geschäftsanweisung auch noch ein zweites Mal zum Dezernenten gelangen. Jedenfalls sind es nicht weniger als vier Instanzen, welche berufen sind, die Eingänge zu studieren, die erforderlichen Akten herbeischaffen zu lassen. Rück¬ sprachen abzuhalten oder sonstige informatorische Tätigkeiten vorzunehmen. Die Bearbeitung kann aber schließlich doch nur an einer Stelle vorgenommen werden. Erwägt man nun, daß alle Eingänge eine Reihe von zeitraubenden Formali¬ täten durchzumachen haben, so wird man leicht begreifen, daß von der gesamten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/418
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/418>, abgerufen am 24.08.2024.