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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Der Inhalt des Dreibundes

sowohl Über die Balkanfrage als über die Mittelmeerfrage Sortieren ließ. Und
sie erhielt folgenden Bescheid über den Standpunkt, den der österreichisch¬
ungarische Minister Haymerle einnahm: "Abgesehen von Bosnien und Herze¬
gowina sowie von gewissen Veränderungen in staatsrechtlicher Beziehung, in
Hinsicht der Souveränitätsverhältnisse und der Maßnahmen des Sultans betreffs
der Zukunft dieser beiden Länder, erklärt Österreich-Ungarn den Status quo
im Orient striktest achten und die in dem Vertrag (den: Berliner Vertrag von
1878) festgesetzte Grenze nicht überschreiten zu wollen. Über die oben erwähnten
möglichen Veränderungen. . . hinaus, welche sich gegebenenfalls, ohne den
Status <me> im Orient und die Abmachungen des Berliner Vertrages zu ver¬
letzen, vollziehen könnten, . . . beabsichtigt es (Oesterreich-Ungarn) durchaus
keine Eroberungspolitik im Orient zu betreiben, noch denkt es in irgendeiner
Weise daran, in der Richtung von Saloniki und Albanien vorzugehen. Es
wird den Status qu" vollkommen aufrecht erhalten. Was diesen Punkt an¬
betrifft, ist Österreich ^Ungarn bereit, alle notwendigen Erklärungen in hurtiger
Form abzugeben, um den festen Entschluß zu bekunden, genau im Rahmen der
ihm durch den Berliner Vertrag festgelegten Grenzen zu handeln und sich von
jeder politischen Ausdehnung fernzuhalten"*).

Diese Erklärung, die bereits Anfang 1881 in Wien abgegeben wurde, läßt
an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Österreich lehnt damit jede Expansions¬
politik auf dem Balkan sowohl in Mazedonien als in Albanien ab; ebenso wie
Crispi im Jahre 1877 im Namen der italienischen Negierung den Vorschlag,
Bismarcks und Lord Derbys abgelehnt hatte, sich angesichts der österreichischen
Gebietserweiterung in Bosnien an Albanien schadlos zu halten**). Beide Re¬
gierungen zogen das Prinzip der Nichtausdehnung auf dem Balkan vor und
haben schließlich auch daran festgehalten; das hat Helmolt mit richtigem Blick
erkannt, und ganz überzeugend nachgewiesen. Das letzte Ergebnis dieser beider¬
seitigen Politik des Desinteressements auf dem Balkan ist die Begründung eines
unabhängigen Albaniens.

Aber mit alledem läßt sich Friedjungs These über den Vertrag von 1887
sehr wohl vereinbaren. Derartige positive und übereinstimmende Informationen
von Staatsmännern wie Kiderlen-Waechter und Ahrenthal sollte man nicht
leichthin, wie Helmolt geneigt ist zu tun, als "Mißverständnisse" von der Hand
weisen. Die Kabinette von Wien und Rom waren vor und nach 1887 grund¬
sätzlich von dem Bestreben beherrscht, keine Expansionspolitik auf der Balkan-
Halbinsel zu verfolgen. Aber es ist wohl möglich, daß gerade während der
bulgarischen Krisis von 1886/87 die österreichisch.ungarische Regierung sich
genötigt gesehen hat, angesichts der Haltung Rußlands die Möglichkeit einer
eigenen Expansionspolitik auf dem Balkan ins Auge zu fassen. Dann mußte




*) Crlspis Memoiren, S, 123.
**> Crispis Memoiren, S. 32 bis 36, 63, 72. -- LKisIit. pa^me all stons, eontemporantz",
l. 275.
Der Inhalt des Dreibundes

sowohl Über die Balkanfrage als über die Mittelmeerfrage Sortieren ließ. Und
sie erhielt folgenden Bescheid über den Standpunkt, den der österreichisch¬
ungarische Minister Haymerle einnahm: „Abgesehen von Bosnien und Herze¬
gowina sowie von gewissen Veränderungen in staatsrechtlicher Beziehung, in
Hinsicht der Souveränitätsverhältnisse und der Maßnahmen des Sultans betreffs
der Zukunft dieser beiden Länder, erklärt Österreich-Ungarn den Status quo
im Orient striktest achten und die in dem Vertrag (den: Berliner Vertrag von
1878) festgesetzte Grenze nicht überschreiten zu wollen. Über die oben erwähnten
möglichen Veränderungen. . . hinaus, welche sich gegebenenfalls, ohne den
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letzen, vollziehen könnten, . . . beabsichtigt es (Oesterreich-Ungarn) durchaus
keine Eroberungspolitik im Orient zu betreiben, noch denkt es in irgendeiner
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wird den Status qu» vollkommen aufrecht erhalten. Was diesen Punkt an¬
betrifft, ist Österreich ^Ungarn bereit, alle notwendigen Erklärungen in hurtiger
Form abzugeben, um den festen Entschluß zu bekunden, genau im Rahmen der
ihm durch den Berliner Vertrag festgelegten Grenzen zu handeln und sich von
jeder politischen Ausdehnung fernzuhalten"*).

Diese Erklärung, die bereits Anfang 1881 in Wien abgegeben wurde, läßt
an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Österreich lehnt damit jede Expansions¬
politik auf dem Balkan sowohl in Mazedonien als in Albanien ab; ebenso wie
Crispi im Jahre 1877 im Namen der italienischen Negierung den Vorschlag,
Bismarcks und Lord Derbys abgelehnt hatte, sich angesichts der österreichischen
Gebietserweiterung in Bosnien an Albanien schadlos zu halten**). Beide Re¬
gierungen zogen das Prinzip der Nichtausdehnung auf dem Balkan vor und
haben schließlich auch daran festgehalten; das hat Helmolt mit richtigem Blick
erkannt, und ganz überzeugend nachgewiesen. Das letzte Ergebnis dieser beider¬
seitigen Politik des Desinteressements auf dem Balkan ist die Begründung eines
unabhängigen Albaniens.

Aber mit alledem läßt sich Friedjungs These über den Vertrag von 1887
sehr wohl vereinbaren. Derartige positive und übereinstimmende Informationen
von Staatsmännern wie Kiderlen-Waechter und Ahrenthal sollte man nicht
leichthin, wie Helmolt geneigt ist zu tun, als „Mißverständnisse" von der Hand
weisen. Die Kabinette von Wien und Rom waren vor und nach 1887 grund¬
sätzlich von dem Bestreben beherrscht, keine Expansionspolitik auf der Balkan-
Halbinsel zu verfolgen. Aber es ist wohl möglich, daß gerade während der
bulgarischen Krisis von 1886/87 die österreichisch.ungarische Regierung sich
genötigt gesehen hat, angesichts der Haltung Rußlands die Möglichkeit einer
eigenen Expansionspolitik auf dem Balkan ins Auge zu fassen. Dann mußte




*) Crlspis Memoiren, S, 123.
**> Crispis Memoiren, S. 32 bis 36, 63, 72. — LKisIit. pa^me all stons, eontemporantz»,
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[0304] Der Inhalt des Dreibundes sowohl Über die Balkanfrage als über die Mittelmeerfrage Sortieren ließ. Und sie erhielt folgenden Bescheid über den Standpunkt, den der österreichisch¬ ungarische Minister Haymerle einnahm: „Abgesehen von Bosnien und Herze¬ gowina sowie von gewissen Veränderungen in staatsrechtlicher Beziehung, in Hinsicht der Souveränitätsverhältnisse und der Maßnahmen des Sultans betreffs der Zukunft dieser beiden Länder, erklärt Österreich-Ungarn den Status quo im Orient striktest achten und die in dem Vertrag (den: Berliner Vertrag von 1878) festgesetzte Grenze nicht überschreiten zu wollen. Über die oben erwähnten möglichen Veränderungen. . . hinaus, welche sich gegebenenfalls, ohne den Status <me> im Orient und die Abmachungen des Berliner Vertrages zu ver¬ letzen, vollziehen könnten, . . . beabsichtigt es (Oesterreich-Ungarn) durchaus keine Eroberungspolitik im Orient zu betreiben, noch denkt es in irgendeiner Weise daran, in der Richtung von Saloniki und Albanien vorzugehen. Es wird den Status qu» vollkommen aufrecht erhalten. Was diesen Punkt an¬ betrifft, ist Österreich ^Ungarn bereit, alle notwendigen Erklärungen in hurtiger Form abzugeben, um den festen Entschluß zu bekunden, genau im Rahmen der ihm durch den Berliner Vertrag festgelegten Grenzen zu handeln und sich von jeder politischen Ausdehnung fernzuhalten"*). Diese Erklärung, die bereits Anfang 1881 in Wien abgegeben wurde, läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Österreich lehnt damit jede Expansions¬ politik auf dem Balkan sowohl in Mazedonien als in Albanien ab; ebenso wie Crispi im Jahre 1877 im Namen der italienischen Negierung den Vorschlag, Bismarcks und Lord Derbys abgelehnt hatte, sich angesichts der österreichischen Gebietserweiterung in Bosnien an Albanien schadlos zu halten**). Beide Re¬ gierungen zogen das Prinzip der Nichtausdehnung auf dem Balkan vor und haben schließlich auch daran festgehalten; das hat Helmolt mit richtigem Blick erkannt, und ganz überzeugend nachgewiesen. Das letzte Ergebnis dieser beider¬ seitigen Politik des Desinteressements auf dem Balkan ist die Begründung eines unabhängigen Albaniens. Aber mit alledem läßt sich Friedjungs These über den Vertrag von 1887 sehr wohl vereinbaren. Derartige positive und übereinstimmende Informationen von Staatsmännern wie Kiderlen-Waechter und Ahrenthal sollte man nicht leichthin, wie Helmolt geneigt ist zu tun, als „Mißverständnisse" von der Hand weisen. Die Kabinette von Wien und Rom waren vor und nach 1887 grund¬ sätzlich von dem Bestreben beherrscht, keine Expansionspolitik auf der Balkan- Halbinsel zu verfolgen. Aber es ist wohl möglich, daß gerade während der bulgarischen Krisis von 1886/87 die österreichisch.ungarische Regierung sich genötigt gesehen hat, angesichts der Haltung Rußlands die Möglichkeit einer eigenen Expansionspolitik auf dem Balkan ins Auge zu fassen. Dann mußte *) Crlspis Memoiren, S, 123. **> Crispis Memoiren, S. 32 bis 36, 63, 72. — LKisIit. pa^me all stons, eontemporantz», l. 275.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/304>, abgerufen am 26.06.2024.