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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Rudowit;

Da wählte ihn ohne sein Zutun ein katholischer Kreis Westfalens zu seinem
Vertreter in der Frankfurter Nationalversammlung, deren Hauptaufgabe darin
bestand, dem deutschen Volk die Einheit, eine Verfassung und einen Kaiser zu
geben, also eben in der Erfüllung von Radowitz' politischen Idealen. Und
doch konnte Radowitz immer nur mit Widerstreben den Beschlüssen dieses Parla¬
ments folgen. Sein Wunsch wäre gewesen, daß die Verfassung von den Re¬
gierungen und den Frankfurtern vereinbart wurde: diese wachten die neue Ge¬
staltung Deutschlands allein rechtskräftig. Er kämpfte für ein Nebeneinander
der beiden Großmächte im Bunde: die Majorität entschied für den Austritt
Österreichs. Er wollte, daß wie die Verfassung auch die Wahl des Kaisers
nicht der Nationalversammlung allein überlassen bliebe, diese wählte ohne die
Regierungen zu befragen, Friedrich Wilhelm, der, wie vorauszusehen gewesen,
die "aus Dreck und Latten der Revolution" gezimmerte Krone mit Abscheu von
sich wies. Und doch hatte Radowitz, wenn schon unter Vorbehalt, stets mit
der Majorität gestimmt, obgleich er von Anfang an fühlte, daß die Entscheidung
über Deutschlands Zukunft nicht in den Händen "deliberierender Versammlungen"
liegen, sondern "das Werk gewaltiger Kämpfe und Taten" sein würde. Ohne
freudige Hoffnung auf Gelingen, mit dem Mut des Märtyrers, stimmte er
allem zu, was irgend zur Erfüllung seiner politischen Ideale führen konnte,
und der Zusammenbruch des Parlaments im Frühjahr 1849 überraschte ihn nicht.

Radowitz' Einheitswünsche waren freilich damit nicht begraben; denn gleich¬
zeitig mit der Ablehnung der ihm vom Parlament gebotenen Krone lud Friedrich
Wilhelm die deutschen Fürsten nach Berlin zur Beratung über eine deutsche
Verfassung ein und beauftragte Radowitz mit der Leitung dieser Verhandlungen.
Die wenigen Regierungen, die sich der Frankfurter Verfassung nicht unterworfen
hatten, Österreich, Bayern, Sachsen und Hannover, entsandten darauf Vertreter
nach Berlin; doch nur mit den beiden letzteren kam ein Verfassungsentwurf zu¬
stande, der auf ein engeres Deutschland ohne Österreich uuter preußischer Führung
abzielte. Im Laufe des Sommers traten die meisten deutschen Regierungen bei,
besonders die größeren nur aus Furcht vor der Macht der preußischen Waffen,
die in Sachsen, in der Pfalz und in Baden die gefährlichen Aufstände nieder¬
geschlagen hatten, während ihnen das von Unruhen zerrissene Österreich keinen
Rückhalt bieten konnte. Die unsichersten Freunde waren Sachsen und Hannover,
die ihr weiteres Verbleiben im Bunde vom Eintritt Bayerns und völliger Ver¬
ständigung mit Österreich abhängig machten, Bedingungen, auf deren glatte
Erfüllung zunächst nicht zu hoffen war. Und doch nahm sie Radowitz ohne
Vorbehalt an, um sein Werk nicht zu gefährden.

Fast noch schlimmer war, daß die Rücksicht auf die unbedingte Anhäng¬
lichkeit des Königs an Österreich und Radowitz' Furcht vor einem Rechtsbruch
jedes energische Vorgehen gegen den Kaiserstaat verbot; man hat den Eindruck,
daß Friedrich Wilhelm die Verständigung mit Habsburg weit mehr am Herzen
lag als die preußische Hegemonie in Deutschland, während Radowitz diese vor-


Rudowit;

Da wählte ihn ohne sein Zutun ein katholischer Kreis Westfalens zu seinem
Vertreter in der Frankfurter Nationalversammlung, deren Hauptaufgabe darin
bestand, dem deutschen Volk die Einheit, eine Verfassung und einen Kaiser zu
geben, also eben in der Erfüllung von Radowitz' politischen Idealen. Und
doch konnte Radowitz immer nur mit Widerstreben den Beschlüssen dieses Parla¬
ments folgen. Sein Wunsch wäre gewesen, daß die Verfassung von den Re¬
gierungen und den Frankfurtern vereinbart wurde: diese wachten die neue Ge¬
staltung Deutschlands allein rechtskräftig. Er kämpfte für ein Nebeneinander
der beiden Großmächte im Bunde: die Majorität entschied für den Austritt
Österreichs. Er wollte, daß wie die Verfassung auch die Wahl des Kaisers
nicht der Nationalversammlung allein überlassen bliebe, diese wählte ohne die
Regierungen zu befragen, Friedrich Wilhelm, der, wie vorauszusehen gewesen,
die „aus Dreck und Latten der Revolution" gezimmerte Krone mit Abscheu von
sich wies. Und doch hatte Radowitz, wenn schon unter Vorbehalt, stets mit
der Majorität gestimmt, obgleich er von Anfang an fühlte, daß die Entscheidung
über Deutschlands Zukunft nicht in den Händen „deliberierender Versammlungen"
liegen, sondern „das Werk gewaltiger Kämpfe und Taten" sein würde. Ohne
freudige Hoffnung auf Gelingen, mit dem Mut des Märtyrers, stimmte er
allem zu, was irgend zur Erfüllung seiner politischen Ideale führen konnte,
und der Zusammenbruch des Parlaments im Frühjahr 1849 überraschte ihn nicht.

Radowitz' Einheitswünsche waren freilich damit nicht begraben; denn gleich¬
zeitig mit der Ablehnung der ihm vom Parlament gebotenen Krone lud Friedrich
Wilhelm die deutschen Fürsten nach Berlin zur Beratung über eine deutsche
Verfassung ein und beauftragte Radowitz mit der Leitung dieser Verhandlungen.
Die wenigen Regierungen, die sich der Frankfurter Verfassung nicht unterworfen
hatten, Österreich, Bayern, Sachsen und Hannover, entsandten darauf Vertreter
nach Berlin; doch nur mit den beiden letzteren kam ein Verfassungsentwurf zu¬
stande, der auf ein engeres Deutschland ohne Österreich uuter preußischer Führung
abzielte. Im Laufe des Sommers traten die meisten deutschen Regierungen bei,
besonders die größeren nur aus Furcht vor der Macht der preußischen Waffen,
die in Sachsen, in der Pfalz und in Baden die gefährlichen Aufstände nieder¬
geschlagen hatten, während ihnen das von Unruhen zerrissene Österreich keinen
Rückhalt bieten konnte. Die unsichersten Freunde waren Sachsen und Hannover,
die ihr weiteres Verbleiben im Bunde vom Eintritt Bayerns und völliger Ver¬
ständigung mit Österreich abhängig machten, Bedingungen, auf deren glatte
Erfüllung zunächst nicht zu hoffen war. Und doch nahm sie Radowitz ohne
Vorbehalt an, um sein Werk nicht zu gefährden.

Fast noch schlimmer war, daß die Rücksicht auf die unbedingte Anhäng¬
lichkeit des Königs an Österreich und Radowitz' Furcht vor einem Rechtsbruch
jedes energische Vorgehen gegen den Kaiserstaat verbot; man hat den Eindruck,
daß Friedrich Wilhelm die Verständigung mit Habsburg weit mehr am Herzen
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[0291] Rudowit; Da wählte ihn ohne sein Zutun ein katholischer Kreis Westfalens zu seinem Vertreter in der Frankfurter Nationalversammlung, deren Hauptaufgabe darin bestand, dem deutschen Volk die Einheit, eine Verfassung und einen Kaiser zu geben, also eben in der Erfüllung von Radowitz' politischen Idealen. Und doch konnte Radowitz immer nur mit Widerstreben den Beschlüssen dieses Parla¬ ments folgen. Sein Wunsch wäre gewesen, daß die Verfassung von den Re¬ gierungen und den Frankfurtern vereinbart wurde: diese wachten die neue Ge¬ staltung Deutschlands allein rechtskräftig. Er kämpfte für ein Nebeneinander der beiden Großmächte im Bunde: die Majorität entschied für den Austritt Österreichs. Er wollte, daß wie die Verfassung auch die Wahl des Kaisers nicht der Nationalversammlung allein überlassen bliebe, diese wählte ohne die Regierungen zu befragen, Friedrich Wilhelm, der, wie vorauszusehen gewesen, die „aus Dreck und Latten der Revolution" gezimmerte Krone mit Abscheu von sich wies. Und doch hatte Radowitz, wenn schon unter Vorbehalt, stets mit der Majorität gestimmt, obgleich er von Anfang an fühlte, daß die Entscheidung über Deutschlands Zukunft nicht in den Händen „deliberierender Versammlungen" liegen, sondern „das Werk gewaltiger Kämpfe und Taten" sein würde. Ohne freudige Hoffnung auf Gelingen, mit dem Mut des Märtyrers, stimmte er allem zu, was irgend zur Erfüllung seiner politischen Ideale führen konnte, und der Zusammenbruch des Parlaments im Frühjahr 1849 überraschte ihn nicht. Radowitz' Einheitswünsche waren freilich damit nicht begraben; denn gleich¬ zeitig mit der Ablehnung der ihm vom Parlament gebotenen Krone lud Friedrich Wilhelm die deutschen Fürsten nach Berlin zur Beratung über eine deutsche Verfassung ein und beauftragte Radowitz mit der Leitung dieser Verhandlungen. Die wenigen Regierungen, die sich der Frankfurter Verfassung nicht unterworfen hatten, Österreich, Bayern, Sachsen und Hannover, entsandten darauf Vertreter nach Berlin; doch nur mit den beiden letzteren kam ein Verfassungsentwurf zu¬ stande, der auf ein engeres Deutschland ohne Österreich uuter preußischer Führung abzielte. Im Laufe des Sommers traten die meisten deutschen Regierungen bei, besonders die größeren nur aus Furcht vor der Macht der preußischen Waffen, die in Sachsen, in der Pfalz und in Baden die gefährlichen Aufstände nieder¬ geschlagen hatten, während ihnen das von Unruhen zerrissene Österreich keinen Rückhalt bieten konnte. Die unsichersten Freunde waren Sachsen und Hannover, die ihr weiteres Verbleiben im Bunde vom Eintritt Bayerns und völliger Ver¬ ständigung mit Österreich abhängig machten, Bedingungen, auf deren glatte Erfüllung zunächst nicht zu hoffen war. Und doch nahm sie Radowitz ohne Vorbehalt an, um sein Werk nicht zu gefährden. Fast noch schlimmer war, daß die Rücksicht auf die unbedingte Anhäng¬ lichkeit des Königs an Österreich und Radowitz' Furcht vor einem Rechtsbruch jedes energische Vorgehen gegen den Kaiserstaat verbot; man hat den Eindruck, daß Friedrich Wilhelm die Verständigung mit Habsburg weit mehr am Herzen lag als die preußische Hegemonie in Deutschland, während Radowitz diese vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/291>, abgerufen am 28.07.2024.