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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Radowitz

Richtiger schon ist Gerlachs herbes Urteil: "Er hat kein preußisches Herz
in der Brust." Radowitz selbst hätte dies aufs entschiedenste bestritten. Er
fühlte sich als Preuße oder doch als Deutscher. Aber seine politischen An¬
schauungen hatte er sich nicht gebildet nach den Zuständen und Bedürfnissen
Preußens, sie waren vielmehr doktrinäre Postulate der Romantik, in denen er
mit dem späteren König völlig übereinstimmte. Die Lehren Hallers und anderer
Romantiker, nicht die Realitäten haben der Politik beider die Richtung gewiesen.

Aus der Religion entnimmt Radowitz den obersten Satz seines politischen
Systems. Der Staat hat so wenig wie der Einzelmensch einen vor allem
irdischen Zweck: seine Aufgabe geht dahin, der Förderung göttlicher Ordnung
zu dienen, die sich im geschichtlichen Recht offenbart, jenem Recht, das galt, als
der rücksichtslos nivellierende Beamtenstaat noch nicht die bunte Vielgestaltigkeit
altdeutschen Lebens mit all seinen Privilegien und Gerechtsamen beseitigt hatte
zugunsten des kalten Begriffs einer absoluten Staatssouveränität, den Radowitz
nicht anerkennt. Denn sein Staat ist nicht Herrscher, nicht Träger der Macht¬
interessen einer großen Gemeinschaft, er ist vielmehr Diener Gottes in der Ver¬
wirklichung des göttlichen, des geschichtlichen Rechtes. Der Fürst ist von Gott
eingesetzt "als der lebendige Stellvertreter der ewigen Gerechtigkeit auf Erden,
der die Rechte aller, sowohl der einzelnen als der moralischen Personen heilig
wahren, lieben, zum allgemeinen Besten fördern soll". Diese moralischen Per¬
sonen sind für den Freund des Kronprinzen und Schüler Hallers die "Stände",
die Verbände besonders des platten Landes; und auch beim einzelnen dachte
er in erster Linie an den Gutsherrn, der in seinem ehrwürdigen Recht auf
Patrimonialgericht und -polizei geschützt werden müsse. Nicht die 8ain8 publica
soll oberstes Gesetz sein, sondern die Erhaltung und Erneuerung der geschicht¬
lichen Rechte. Aber auch nach außen hin hat der Staat sich auf den Rechts-
weg "auch in der schlimmsten Zeit" zu beschränken und nicht alle "bereitliegenden
Mittel" anzuwenden. Daß eine Machtpolttik für diese Politiker unmöglich war.
erhellt ohne weiteres.

Und doch ging ihr Streben auf ein Ziel, das nur auf diesem Wege zu
erreichen war: die Errichtung eines deutschen Bundes, der anders als der Bundes¬
staat von 1815, auch dem Auslande gegenüber, als Einheit auftrat und späterhin
die Auseinandersetzung mit Österreich über die Vorherrschaft in diesem Bunde.

Daß der Bundesstaat, wie er 1815 konstruiert war. unhaltbar sei. war
Radowitz und dem König klar; nach außen ohnmächtig, im Innern zerrissen
stellte er fast noch weniger einen Staat dar wie das "Monstrum" des ver¬
gangenen alten Reiches. Es galt, einen Staat zu gründen, der "sich dem Aus-
lande gegenüber als wirkliche Tatsache geltend machte," dessen Verfassung zudem
die nationalen Einheitswünsche befriedigte und so dem Liberalismus seine gefähr¬
lichste Waffe, die Pflege dieser Bestrebungen entwand. Von seinem Regierungs¬
antritt an hat Friedrich Wilhelm IV. mit Radowitz über Reformen verhandelt,
über Reformen, nicht etwa über die Möglichkeit eines gewaltsamen Umsturzes.


Radowitz

Richtiger schon ist Gerlachs herbes Urteil: „Er hat kein preußisches Herz
in der Brust." Radowitz selbst hätte dies aufs entschiedenste bestritten. Er
fühlte sich als Preuße oder doch als Deutscher. Aber seine politischen An¬
schauungen hatte er sich nicht gebildet nach den Zuständen und Bedürfnissen
Preußens, sie waren vielmehr doktrinäre Postulate der Romantik, in denen er
mit dem späteren König völlig übereinstimmte. Die Lehren Hallers und anderer
Romantiker, nicht die Realitäten haben der Politik beider die Richtung gewiesen.

Aus der Religion entnimmt Radowitz den obersten Satz seines politischen
Systems. Der Staat hat so wenig wie der Einzelmensch einen vor allem
irdischen Zweck: seine Aufgabe geht dahin, der Förderung göttlicher Ordnung
zu dienen, die sich im geschichtlichen Recht offenbart, jenem Recht, das galt, als
der rücksichtslos nivellierende Beamtenstaat noch nicht die bunte Vielgestaltigkeit
altdeutschen Lebens mit all seinen Privilegien und Gerechtsamen beseitigt hatte
zugunsten des kalten Begriffs einer absoluten Staatssouveränität, den Radowitz
nicht anerkennt. Denn sein Staat ist nicht Herrscher, nicht Träger der Macht¬
interessen einer großen Gemeinschaft, er ist vielmehr Diener Gottes in der Ver¬
wirklichung des göttlichen, des geschichtlichen Rechtes. Der Fürst ist von Gott
eingesetzt „als der lebendige Stellvertreter der ewigen Gerechtigkeit auf Erden,
der die Rechte aller, sowohl der einzelnen als der moralischen Personen heilig
wahren, lieben, zum allgemeinen Besten fördern soll". Diese moralischen Per¬
sonen sind für den Freund des Kronprinzen und Schüler Hallers die „Stände",
die Verbände besonders des platten Landes; und auch beim einzelnen dachte
er in erster Linie an den Gutsherrn, der in seinem ehrwürdigen Recht auf
Patrimonialgericht und -polizei geschützt werden müsse. Nicht die 8ain8 publica
soll oberstes Gesetz sein, sondern die Erhaltung und Erneuerung der geschicht¬
lichen Rechte. Aber auch nach außen hin hat der Staat sich auf den Rechts-
weg „auch in der schlimmsten Zeit" zu beschränken und nicht alle „bereitliegenden
Mittel" anzuwenden. Daß eine Machtpolttik für diese Politiker unmöglich war.
erhellt ohne weiteres.

Und doch ging ihr Streben auf ein Ziel, das nur auf diesem Wege zu
erreichen war: die Errichtung eines deutschen Bundes, der anders als der Bundes¬
staat von 1815, auch dem Auslande gegenüber, als Einheit auftrat und späterhin
die Auseinandersetzung mit Österreich über die Vorherrschaft in diesem Bunde.

Daß der Bundesstaat, wie er 1815 konstruiert war. unhaltbar sei. war
Radowitz und dem König klar; nach außen ohnmächtig, im Innern zerrissen
stellte er fast noch weniger einen Staat dar wie das „Monstrum" des ver¬
gangenen alten Reiches. Es galt, einen Staat zu gründen, der „sich dem Aus-
lande gegenüber als wirkliche Tatsache geltend machte," dessen Verfassung zudem
die nationalen Einheitswünsche befriedigte und so dem Liberalismus seine gefähr¬
lichste Waffe, die Pflege dieser Bestrebungen entwand. Von seinem Regierungs¬
antritt an hat Friedrich Wilhelm IV. mit Radowitz über Reformen verhandelt,
über Reformen, nicht etwa über die Möglichkeit eines gewaltsamen Umsturzes.


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[0289] Radowitz Richtiger schon ist Gerlachs herbes Urteil: „Er hat kein preußisches Herz in der Brust." Radowitz selbst hätte dies aufs entschiedenste bestritten. Er fühlte sich als Preuße oder doch als Deutscher. Aber seine politischen An¬ schauungen hatte er sich nicht gebildet nach den Zuständen und Bedürfnissen Preußens, sie waren vielmehr doktrinäre Postulate der Romantik, in denen er mit dem späteren König völlig übereinstimmte. Die Lehren Hallers und anderer Romantiker, nicht die Realitäten haben der Politik beider die Richtung gewiesen. Aus der Religion entnimmt Radowitz den obersten Satz seines politischen Systems. Der Staat hat so wenig wie der Einzelmensch einen vor allem irdischen Zweck: seine Aufgabe geht dahin, der Förderung göttlicher Ordnung zu dienen, die sich im geschichtlichen Recht offenbart, jenem Recht, das galt, als der rücksichtslos nivellierende Beamtenstaat noch nicht die bunte Vielgestaltigkeit altdeutschen Lebens mit all seinen Privilegien und Gerechtsamen beseitigt hatte zugunsten des kalten Begriffs einer absoluten Staatssouveränität, den Radowitz nicht anerkennt. Denn sein Staat ist nicht Herrscher, nicht Träger der Macht¬ interessen einer großen Gemeinschaft, er ist vielmehr Diener Gottes in der Ver¬ wirklichung des göttlichen, des geschichtlichen Rechtes. Der Fürst ist von Gott eingesetzt „als der lebendige Stellvertreter der ewigen Gerechtigkeit auf Erden, der die Rechte aller, sowohl der einzelnen als der moralischen Personen heilig wahren, lieben, zum allgemeinen Besten fördern soll". Diese moralischen Per¬ sonen sind für den Freund des Kronprinzen und Schüler Hallers die „Stände", die Verbände besonders des platten Landes; und auch beim einzelnen dachte er in erster Linie an den Gutsherrn, der in seinem ehrwürdigen Recht auf Patrimonialgericht und -polizei geschützt werden müsse. Nicht die 8ain8 publica soll oberstes Gesetz sein, sondern die Erhaltung und Erneuerung der geschicht¬ lichen Rechte. Aber auch nach außen hin hat der Staat sich auf den Rechts- weg „auch in der schlimmsten Zeit" zu beschränken und nicht alle „bereitliegenden Mittel" anzuwenden. Daß eine Machtpolttik für diese Politiker unmöglich war. erhellt ohne weiteres. Und doch ging ihr Streben auf ein Ziel, das nur auf diesem Wege zu erreichen war: die Errichtung eines deutschen Bundes, der anders als der Bundes¬ staat von 1815, auch dem Auslande gegenüber, als Einheit auftrat und späterhin die Auseinandersetzung mit Österreich über die Vorherrschaft in diesem Bunde. Daß der Bundesstaat, wie er 1815 konstruiert war. unhaltbar sei. war Radowitz und dem König klar; nach außen ohnmächtig, im Innern zerrissen stellte er fast noch weniger einen Staat dar wie das „Monstrum" des ver¬ gangenen alten Reiches. Es galt, einen Staat zu gründen, der „sich dem Aus- lande gegenüber als wirkliche Tatsache geltend machte," dessen Verfassung zudem die nationalen Einheitswünsche befriedigte und so dem Liberalismus seine gefähr¬ lichste Waffe, die Pflege dieser Bestrebungen entwand. Von seinem Regierungs¬ antritt an hat Friedrich Wilhelm IV. mit Radowitz über Reformen verhandelt, über Reformen, nicht etwa über die Möglichkeit eines gewaltsamen Umsturzes.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/289>, abgerufen am 05.07.2024.