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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Die XIV. internationale Revue der Alkoholgegner in Mailand

genommen und teilweise recht lebhaft erörtert, die davon Kunde gaben, daß
der Kampf gegen den Alkoholismus nicht nur eine immer breitere Basis erlangt,
sondern auch immer mehr an Einheitlichkeit der Angriffsrichtung, an Zu¬
sammenhang mit der Wirklichkeit gewinnt.

Waren es früher vorwiegend ethische Gründe, die den Alkoholgegnern die
Waffen zu ihrem gelegentlich auch mit fanatischer Einseitigkeit geführten Kampf
lieferten, so sind heute mehr denn je wirtschaftliche, soziale Momente in ihren
Bestrebungen in den Vordergrund getreten. Und es kann nicht bezweifelt
werden, daß damit die Bewegung gegen die Schädigungen, die dem Indi¬
viduum und der Gemeinschaft aus dem Alkoholgenuß erwachsen, an Stoßkraft
wesentlich gewonnen hat.

Sie rückt damit mehr und mehr in eine Reihe mit den von anderen Gesichts'
punkten ausgehenden Bestrebungen zur Hebung der Volksgesundheit in physischer
wie in moralischer Hinsicht. Wie denn auch auf dieser Seite die Erkenntnis
der Bedeutung der Alkoholbekämpfung zugenommen hat.

So ficht denn heute die alkoholgegnerische Bewegung, um einen militärischen
Fachausdruck zu gebrauchen, mit angelehnten Flanken. Sie bildet ein Glied
in der Kette der Bestrebungen, die, von verschiedenen Punkten ausgehend, auf
das gleiche Ziel losgehen. Und es ist erfreulicherweise zahlenmäßig nach¬
weisbar, daß diese Interessengemeinschaft sehr glückliche Folgen gezeitigt hat.
Soweit internationale Statistiker vorliegen, lassen sie, von wenigen Ländern
abgesehen, ein Sinken des Alkoholkonsums erkennen, der freilich vorerst noch
nicht mehr als eine Abbröckelung von dem stolzen Triumphbogen des Alkohols
bedeutet, immerhin aber davon zeugt, daß die alkoholgegnerische Idee mit feinen
Fäserchen allenthalben Wurzel gefaßt hat und marschiert.

Diese Tatsache allerseits freudig zu begrüßen, liegt durchaus Veranlassung
vor. Auch dem Nichtabstinenten, der das ariston men tiyäor für seine Person
durchaus nicht anzuerkennen geneigt ist, haben Wissenschaft und Erfahrung
längst aufzeigen können, ein wie fressendes Übel an unserem Volkskörper zum
mindesten der Alkoholmißbrauch ist. Die Zusammenhänge zwischen dem Alkohol
auf der einen, Verbrechen, Geisteskrankheit, Tuberkulose, Geschlechtskrankheiten,
Vererbung, wirtschaftlichem Verfall auf der anderen Seite sind in ihren Grund¬
zügen hente aufgeklärt und werden durch exakte, wissenschaftliche -- d. h.
tendenziöse -- Forschung ständig klarer beleuchtet. So darf denn auch die
internationale Revue der Alkoholgegner über den Kreis der aktiven Kämpfer
hinaus ein allgemeines Interesse für sich in Anspruch nehmen.

Sie zeigte, wie bereits bemerkt, eine größere Geschlossenheit als früher,
wenngleich nicht geleugnet werden kann, daß die Energievergeudung, die das
Vorhandensein zahlreicher verschiedener Richtungen und Strömungen mit sich
bringt, sich auch diesmal noch bemerkbar machte. Noch immer ist die Brücke
zwischen Abstinenten und Anhänger der Mäßigkeit keine sehr massive, und es
fehlte nicht an Momenten, in denen eine Gegensätzlichkeit, die manchmal kaum


Die XIV. internationale Revue der Alkoholgegner in Mailand

genommen und teilweise recht lebhaft erörtert, die davon Kunde gaben, daß
der Kampf gegen den Alkoholismus nicht nur eine immer breitere Basis erlangt,
sondern auch immer mehr an Einheitlichkeit der Angriffsrichtung, an Zu¬
sammenhang mit der Wirklichkeit gewinnt.

Waren es früher vorwiegend ethische Gründe, die den Alkoholgegnern die
Waffen zu ihrem gelegentlich auch mit fanatischer Einseitigkeit geführten Kampf
lieferten, so sind heute mehr denn je wirtschaftliche, soziale Momente in ihren
Bestrebungen in den Vordergrund getreten. Und es kann nicht bezweifelt
werden, daß damit die Bewegung gegen die Schädigungen, die dem Indi¬
viduum und der Gemeinschaft aus dem Alkoholgenuß erwachsen, an Stoßkraft
wesentlich gewonnen hat.

Sie rückt damit mehr und mehr in eine Reihe mit den von anderen Gesichts'
punkten ausgehenden Bestrebungen zur Hebung der Volksgesundheit in physischer
wie in moralischer Hinsicht. Wie denn auch auf dieser Seite die Erkenntnis
der Bedeutung der Alkoholbekämpfung zugenommen hat.

So ficht denn heute die alkoholgegnerische Bewegung, um einen militärischen
Fachausdruck zu gebrauchen, mit angelehnten Flanken. Sie bildet ein Glied
in der Kette der Bestrebungen, die, von verschiedenen Punkten ausgehend, auf
das gleiche Ziel losgehen. Und es ist erfreulicherweise zahlenmäßig nach¬
weisbar, daß diese Interessengemeinschaft sehr glückliche Folgen gezeitigt hat.
Soweit internationale Statistiker vorliegen, lassen sie, von wenigen Ländern
abgesehen, ein Sinken des Alkoholkonsums erkennen, der freilich vorerst noch
nicht mehr als eine Abbröckelung von dem stolzen Triumphbogen des Alkohols
bedeutet, immerhin aber davon zeugt, daß die alkoholgegnerische Idee mit feinen
Fäserchen allenthalben Wurzel gefaßt hat und marschiert.

Diese Tatsache allerseits freudig zu begrüßen, liegt durchaus Veranlassung
vor. Auch dem Nichtabstinenten, der das ariston men tiyäor für seine Person
durchaus nicht anzuerkennen geneigt ist, haben Wissenschaft und Erfahrung
längst aufzeigen können, ein wie fressendes Übel an unserem Volkskörper zum
mindesten der Alkoholmißbrauch ist. Die Zusammenhänge zwischen dem Alkohol
auf der einen, Verbrechen, Geisteskrankheit, Tuberkulose, Geschlechtskrankheiten,
Vererbung, wirtschaftlichem Verfall auf der anderen Seite sind in ihren Grund¬
zügen hente aufgeklärt und werden durch exakte, wissenschaftliche — d. h.
tendenziöse — Forschung ständig klarer beleuchtet. So darf denn auch die
internationale Revue der Alkoholgegner über den Kreis der aktiven Kämpfer
hinaus ein allgemeines Interesse für sich in Anspruch nehmen.

Sie zeigte, wie bereits bemerkt, eine größere Geschlossenheit als früher,
wenngleich nicht geleugnet werden kann, daß die Energievergeudung, die das
Vorhandensein zahlreicher verschiedener Richtungen und Strömungen mit sich
bringt, sich auch diesmal noch bemerkbar machte. Noch immer ist die Brücke
zwischen Abstinenten und Anhänger der Mäßigkeit keine sehr massive, und es
fehlte nicht an Momenten, in denen eine Gegensätzlichkeit, die manchmal kaum


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[0268] Die XIV. internationale Revue der Alkoholgegner in Mailand genommen und teilweise recht lebhaft erörtert, die davon Kunde gaben, daß der Kampf gegen den Alkoholismus nicht nur eine immer breitere Basis erlangt, sondern auch immer mehr an Einheitlichkeit der Angriffsrichtung, an Zu¬ sammenhang mit der Wirklichkeit gewinnt. Waren es früher vorwiegend ethische Gründe, die den Alkoholgegnern die Waffen zu ihrem gelegentlich auch mit fanatischer Einseitigkeit geführten Kampf lieferten, so sind heute mehr denn je wirtschaftliche, soziale Momente in ihren Bestrebungen in den Vordergrund getreten. Und es kann nicht bezweifelt werden, daß damit die Bewegung gegen die Schädigungen, die dem Indi¬ viduum und der Gemeinschaft aus dem Alkoholgenuß erwachsen, an Stoßkraft wesentlich gewonnen hat. Sie rückt damit mehr und mehr in eine Reihe mit den von anderen Gesichts' punkten ausgehenden Bestrebungen zur Hebung der Volksgesundheit in physischer wie in moralischer Hinsicht. Wie denn auch auf dieser Seite die Erkenntnis der Bedeutung der Alkoholbekämpfung zugenommen hat. So ficht denn heute die alkoholgegnerische Bewegung, um einen militärischen Fachausdruck zu gebrauchen, mit angelehnten Flanken. Sie bildet ein Glied in der Kette der Bestrebungen, die, von verschiedenen Punkten ausgehend, auf das gleiche Ziel losgehen. Und es ist erfreulicherweise zahlenmäßig nach¬ weisbar, daß diese Interessengemeinschaft sehr glückliche Folgen gezeitigt hat. Soweit internationale Statistiker vorliegen, lassen sie, von wenigen Ländern abgesehen, ein Sinken des Alkoholkonsums erkennen, der freilich vorerst noch nicht mehr als eine Abbröckelung von dem stolzen Triumphbogen des Alkohols bedeutet, immerhin aber davon zeugt, daß die alkoholgegnerische Idee mit feinen Fäserchen allenthalben Wurzel gefaßt hat und marschiert. Diese Tatsache allerseits freudig zu begrüßen, liegt durchaus Veranlassung vor. Auch dem Nichtabstinenten, der das ariston men tiyäor für seine Person durchaus nicht anzuerkennen geneigt ist, haben Wissenschaft und Erfahrung längst aufzeigen können, ein wie fressendes Übel an unserem Volkskörper zum mindesten der Alkoholmißbrauch ist. Die Zusammenhänge zwischen dem Alkohol auf der einen, Verbrechen, Geisteskrankheit, Tuberkulose, Geschlechtskrankheiten, Vererbung, wirtschaftlichem Verfall auf der anderen Seite sind in ihren Grund¬ zügen hente aufgeklärt und werden durch exakte, wissenschaftliche — d. h. tendenziöse — Forschung ständig klarer beleuchtet. So darf denn auch die internationale Revue der Alkoholgegner über den Kreis der aktiven Kämpfer hinaus ein allgemeines Interesse für sich in Anspruch nehmen. Sie zeigte, wie bereits bemerkt, eine größere Geschlossenheit als früher, wenngleich nicht geleugnet werden kann, daß die Energievergeudung, die das Vorhandensein zahlreicher verschiedener Richtungen und Strömungen mit sich bringt, sich auch diesmal noch bemerkbar machte. Noch immer ist die Brücke zwischen Abstinenten und Anhänger der Mäßigkeit keine sehr massive, und es fehlte nicht an Momenten, in denen eine Gegensätzlichkeit, die manchmal kaum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/268>, abgerufen am 24.08.2024.