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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

variiert, ändert sich auch die Bedeutung, die ein Wort im Sprachgebrauch
jedesmal erhält. Und wenn wir die Sprache eines großen Dichters als eine
ganz eigenartige, individuelle Welt zu würdigen versuchen, bekennen wir uns
zu einem treffenden Worte W. von Humboldts: "Denn so wundervoll ist
innerhalb der Sprache die Individualisierung innerhalb der allgemeinen
Übereinstimmung, daß man ebenso richtig sagen kann, daß das ganze Menschen¬
geschlecht nur eine Sprache, als daß jeder Mensch eine besondere besitzt."

Was aber diese allgemeine Übereinstimmung sei, sind wir nicht imstande
zu sagen. Und besäßen wir auch eine leicht faßliche Formel dafür, so könnten
wir mit ihr am wenigsten die Fragen endgültig beantworten, die auf Sprach¬
richtigkeit. Sprachschönheit und Weltsprache (S. 118 ff.) gerichtet sind. Wir
hätten ein schematisches. totes Gerippe, dem der warme Pulsschlag des indivi¬
duellen Lebens mit seiner unendlichen Mannigfaltigkeit fehlte.




Reichsspiegel
Der neue Ansiedlungsprcisident

Nach einem Interregnum von mehr als drei Monaten ist der Geheime
Regierungsrat und Vortragende Rat im preußischen Ministerium des Innern.
Herr Gänse, als Nachfolger des Herrn Dr. Gramsch an die Spitze der
Preußischen Ansiedlungskommission zu Posen berufen worden. Es ist nach
unserem Geschmack eine der schönsten Stellen, die der König von Preußen zu
besetzen hat, weil an ihr, wie sonst nirgends im preußischen Staate, sichtbar für
Jahrhunderte gewirkt werden kann. Jeder Bauernhof, den die Ansiedlungs¬
kommission anlegt, jede Befestigung deutschen Besitzes, die ihr in Land und
Stadt gelingt, ist ein sichtbarer Fortschritt des Deutschtums, ein sichtbares
Denkmal auch für die Arbeit des Ansiedlungspräsidenten. Es ist aber auch eine
der chwierigsten Stellen, die zu besetzen ist. umbrandet nicht nur von der Wut
eines Volkes, das wegen seiner bewußt reichsfeindlichen Ziele zurückgedrängt
werden muß. angegriffen und befehdet auch von allen denen, die das Eingreifen
des staatlichen Siedlungswerkes aus behaglichem Hindämmern aufstört oder zu
offenem Bekenntnis für das Allgemeinwohl zwingt. Und diese Stellung ist um
so schwieriger, als sie mit allerhand Hemmungen umgeben ist, die gerade von
den Gegnern leicht gehandhabt werden können. Sie wurden in Heft 34 und
36 dieses Jahres eingehend dargetan.


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Reichsspiegel

variiert, ändert sich auch die Bedeutung, die ein Wort im Sprachgebrauch
jedesmal erhält. Und wenn wir die Sprache eines großen Dichters als eine
ganz eigenartige, individuelle Welt zu würdigen versuchen, bekennen wir uns
zu einem treffenden Worte W. von Humboldts: „Denn so wundervoll ist
innerhalb der Sprache die Individualisierung innerhalb der allgemeinen
Übereinstimmung, daß man ebenso richtig sagen kann, daß das ganze Menschen¬
geschlecht nur eine Sprache, als daß jeder Mensch eine besondere besitzt."

Was aber diese allgemeine Übereinstimmung sei, sind wir nicht imstande
zu sagen. Und besäßen wir auch eine leicht faßliche Formel dafür, so könnten
wir mit ihr am wenigsten die Fragen endgültig beantworten, die auf Sprach¬
richtigkeit. Sprachschönheit und Weltsprache (S. 118 ff.) gerichtet sind. Wir
hätten ein schematisches. totes Gerippe, dem der warme Pulsschlag des indivi¬
duellen Lebens mit seiner unendlichen Mannigfaltigkeit fehlte.




Reichsspiegel
Der neue Ansiedlungsprcisident

Nach einem Interregnum von mehr als drei Monaten ist der Geheime
Regierungsrat und Vortragende Rat im preußischen Ministerium des Innern.
Herr Gänse, als Nachfolger des Herrn Dr. Gramsch an die Spitze der
Preußischen Ansiedlungskommission zu Posen berufen worden. Es ist nach
unserem Geschmack eine der schönsten Stellen, die der König von Preußen zu
besetzen hat, weil an ihr, wie sonst nirgends im preußischen Staate, sichtbar für
Jahrhunderte gewirkt werden kann. Jeder Bauernhof, den die Ansiedlungs¬
kommission anlegt, jede Befestigung deutschen Besitzes, die ihr in Land und
Stadt gelingt, ist ein sichtbarer Fortschritt des Deutschtums, ein sichtbares
Denkmal auch für die Arbeit des Ansiedlungspräsidenten. Es ist aber auch eine
der chwierigsten Stellen, die zu besetzen ist. umbrandet nicht nur von der Wut
eines Volkes, das wegen seiner bewußt reichsfeindlichen Ziele zurückgedrängt
werden muß. angegriffen und befehdet auch von allen denen, die das Eingreifen
des staatlichen Siedlungswerkes aus behaglichem Hindämmern aufstört oder zu
offenem Bekenntnis für das Allgemeinwohl zwingt. Und diese Stellung ist um
so schwieriger, als sie mit allerhand Hemmungen umgeben ist, die gerade von
den Gegnern leicht gehandhabt werden können. Sie wurden in Heft 34 und
36 dieses Jahres eingehend dargetan.


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[0239] Reichsspiegel variiert, ändert sich auch die Bedeutung, die ein Wort im Sprachgebrauch jedesmal erhält. Und wenn wir die Sprache eines großen Dichters als eine ganz eigenartige, individuelle Welt zu würdigen versuchen, bekennen wir uns zu einem treffenden Worte W. von Humboldts: „Denn so wundervoll ist innerhalb der Sprache die Individualisierung innerhalb der allgemeinen Übereinstimmung, daß man ebenso richtig sagen kann, daß das ganze Menschen¬ geschlecht nur eine Sprache, als daß jeder Mensch eine besondere besitzt." Was aber diese allgemeine Übereinstimmung sei, sind wir nicht imstande zu sagen. Und besäßen wir auch eine leicht faßliche Formel dafür, so könnten wir mit ihr am wenigsten die Fragen endgültig beantworten, die auf Sprach¬ richtigkeit. Sprachschönheit und Weltsprache (S. 118 ff.) gerichtet sind. Wir hätten ein schematisches. totes Gerippe, dem der warme Pulsschlag des indivi¬ duellen Lebens mit seiner unendlichen Mannigfaltigkeit fehlte. Reichsspiegel Der neue Ansiedlungsprcisident Nach einem Interregnum von mehr als drei Monaten ist der Geheime Regierungsrat und Vortragende Rat im preußischen Ministerium des Innern. Herr Gänse, als Nachfolger des Herrn Dr. Gramsch an die Spitze der Preußischen Ansiedlungskommission zu Posen berufen worden. Es ist nach unserem Geschmack eine der schönsten Stellen, die der König von Preußen zu besetzen hat, weil an ihr, wie sonst nirgends im preußischen Staate, sichtbar für Jahrhunderte gewirkt werden kann. Jeder Bauernhof, den die Ansiedlungs¬ kommission anlegt, jede Befestigung deutschen Besitzes, die ihr in Land und Stadt gelingt, ist ein sichtbarer Fortschritt des Deutschtums, ein sichtbares Denkmal auch für die Arbeit des Ansiedlungspräsidenten. Es ist aber auch eine der chwierigsten Stellen, die zu besetzen ist. umbrandet nicht nur von der Wut eines Volkes, das wegen seiner bewußt reichsfeindlichen Ziele zurückgedrängt werden muß. angegriffen und befehdet auch von allen denen, die das Eingreifen des staatlichen Siedlungswerkes aus behaglichem Hindämmern aufstört oder zu offenem Bekenntnis für das Allgemeinwohl zwingt. Und diese Stellung ist um so schwieriger, als sie mit allerhand Hemmungen umgeben ist, die gerade von den Gegnern leicht gehandhabt werden können. Sie wurden in Heft 34 und 36 dieses Jahres eingehend dargetan. 16«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/239>, abgerufen am 22.07.2024.