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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Llisal'?es

diesem Papier an und überlasse es einer höheren Fügung, zu entscheiden, ob
das hier Berichtete der Welt bekannt werden oder auf ewig verborgen bleiben soll.
Findet man dieses Blatt nach meinem Abscheiden, so wird man eher an die
Wahrheit dessen, was es besagt, glauben. Dem Zweifler aber sei versichert,
daß ich meiner Sinne vollkommen mächtig bin und daß, so wahr ich Robert
Deveroux Graf Essex heiße, jedes Wort, welches ich hier schreibe, nach meinem
besten Wissen reine Wahrheit und kein Falsch ist.

Und weiter schwöre ich zuvor angesichts der Ewigkeit: der Wunsch, der
Majestät von England Böses anzutun, ist meinem Herzen fremd. Wohl habe
ich die Fahne der Rebellion gegen sie getragen, wohl bin ich mit dem
schottischen Hof in hochverräterische Unterhandlungen getreten, wohl habe ich in
mancher Stunde des Unmuts harte Worte gegen sie gefunden -- damals, als
des Schicksals grausamer Ratschluß mich zum Mitwisser um das Geheimnis der
Majestät von England machte. Heute aber bin ich gewiß, daß ich mich an
der Königin schwer versündigte, indem ich von ihr abfiel, schwerer, indem ich
Schurkisches von ihr dachte. Glaube es einem Sterbenden, mein England: sie
hat Großes an dir getan, du schuldest ihr Dank! Nicht jedes Jahrhundert
bringt eine Elisabeth hervor! Ihr müßte man vergeben, auch wenn sie schwerer
gesündigt hätte, als je ein Mensch in diesem Inselreich! -- Auch du, Finder
dieses Blattes, wes Standes du auch seiest, bist ihr zu Dank und kniebeugender
Treue verpflichtet. Darum sollst du sie nicht schmähen, wenn du diese Auf¬
zeichnungen eines Gerichteten gelesen, sollst nicht an ihr irre werden, sie nicht
unerhörten Betrugs ihres Volkes und der ganzen Welt, Frevels an der ewigen
Wahrheit zeihen! Sondern sollst erwägen, wie du die seltsame, unglaubliche
Kunde, die dir dieses Schriftstück vermitteln wird, zum besten des Landes ver¬
wertest. So du aber befürchtest, daß ihre Verbreitung dem Reiche Schaden
bringen könne, sollst du das Blatt vernichten und für ewig in deinem Herzen
begraben, was ich dir über die Schwelle des Todes zugerufen habe. --

Ich kam als Fünfundzwanzigjähriger an den Hof. Mein Oheim Leicester
führte mich ans dem ungewohnten Pfade. Ich wußte, daß er bei der Majestät
in Gunst stand; daß er sie liebte und nach ihrer Hand strebte, blieb mir nicht
lang verborgen. Sein Sturz brach herein, als ich kaum seiner Führung ent¬
wachsen war. Ein einziges Trachten erfüllte mich seit diesem Tage: an Einfluß
und Ansehen seine Stellung zu gewinnen. Fortuna war mir hold: ich wurde
der mächtigste Mann an Englands Hofe, ich wurde der Freund der Königin.
Ihr Freund -- nicht mehr. Das letzte und höchste, wonach ich strebte, blieb
wir versagt, wie sehr ich auch um ihre Liebe rang und eiferte und stritt. So
oft ich mich unterfing, meine Wünsche und Hoffnungen anzudeuten, begegnete
ich eisiger Ablehnung. Dennoch setzte ich -- jahrelang -- mein Mühen und
Werben fort, bis mir durch eine unheilvolle Fügung jene Erkenntnis ward
(möge Gott mir vergeben, wenn ich, indem ich dies hier schreibe, dem viel¬
fachen Unrecht, das ich meiner gnädigen Majestät von England angetan, noch


Llisal'?es

diesem Papier an und überlasse es einer höheren Fügung, zu entscheiden, ob
das hier Berichtete der Welt bekannt werden oder auf ewig verborgen bleiben soll.
Findet man dieses Blatt nach meinem Abscheiden, so wird man eher an die
Wahrheit dessen, was es besagt, glauben. Dem Zweifler aber sei versichert,
daß ich meiner Sinne vollkommen mächtig bin und daß, so wahr ich Robert
Deveroux Graf Essex heiße, jedes Wort, welches ich hier schreibe, nach meinem
besten Wissen reine Wahrheit und kein Falsch ist.

Und weiter schwöre ich zuvor angesichts der Ewigkeit: der Wunsch, der
Majestät von England Böses anzutun, ist meinem Herzen fremd. Wohl habe
ich die Fahne der Rebellion gegen sie getragen, wohl bin ich mit dem
schottischen Hof in hochverräterische Unterhandlungen getreten, wohl habe ich in
mancher Stunde des Unmuts harte Worte gegen sie gefunden — damals, als
des Schicksals grausamer Ratschluß mich zum Mitwisser um das Geheimnis der
Majestät von England machte. Heute aber bin ich gewiß, daß ich mich an
der Königin schwer versündigte, indem ich von ihr abfiel, schwerer, indem ich
Schurkisches von ihr dachte. Glaube es einem Sterbenden, mein England: sie
hat Großes an dir getan, du schuldest ihr Dank! Nicht jedes Jahrhundert
bringt eine Elisabeth hervor! Ihr müßte man vergeben, auch wenn sie schwerer
gesündigt hätte, als je ein Mensch in diesem Inselreich! — Auch du, Finder
dieses Blattes, wes Standes du auch seiest, bist ihr zu Dank und kniebeugender
Treue verpflichtet. Darum sollst du sie nicht schmähen, wenn du diese Auf¬
zeichnungen eines Gerichteten gelesen, sollst nicht an ihr irre werden, sie nicht
unerhörten Betrugs ihres Volkes und der ganzen Welt, Frevels an der ewigen
Wahrheit zeihen! Sondern sollst erwägen, wie du die seltsame, unglaubliche
Kunde, die dir dieses Schriftstück vermitteln wird, zum besten des Landes ver¬
wertest. So du aber befürchtest, daß ihre Verbreitung dem Reiche Schaden
bringen könne, sollst du das Blatt vernichten und für ewig in deinem Herzen
begraben, was ich dir über die Schwelle des Todes zugerufen habe. —

Ich kam als Fünfundzwanzigjähriger an den Hof. Mein Oheim Leicester
führte mich ans dem ungewohnten Pfade. Ich wußte, daß er bei der Majestät
in Gunst stand; daß er sie liebte und nach ihrer Hand strebte, blieb mir nicht
lang verborgen. Sein Sturz brach herein, als ich kaum seiner Führung ent¬
wachsen war. Ein einziges Trachten erfüllte mich seit diesem Tage: an Einfluß
und Ansehen seine Stellung zu gewinnen. Fortuna war mir hold: ich wurde
der mächtigste Mann an Englands Hofe, ich wurde der Freund der Königin.
Ihr Freund — nicht mehr. Das letzte und höchste, wonach ich strebte, blieb
wir versagt, wie sehr ich auch um ihre Liebe rang und eiferte und stritt. So
oft ich mich unterfing, meine Wünsche und Hoffnungen anzudeuten, begegnete
ich eisiger Ablehnung. Dennoch setzte ich — jahrelang — mein Mühen und
Werben fort, bis mir durch eine unheilvolle Fügung jene Erkenntnis ward
(möge Gott mir vergeben, wenn ich, indem ich dies hier schreibe, dem viel¬
fachen Unrecht, das ich meiner gnädigen Majestät von England angetan, noch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/181>, abgerufen am 24.08.2024.