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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

"Die Kosaken, die Kosaken!" Es war das Zauberwort, auf das hin sich die
Mauer von Menschenleibern öffnete und auseinanderstob.

Der Offizier der Kosakenabteilung trat grüßend auf Wolff Joachim zu.
Er sah die Blutlache am Wagen und fragte: "Sind Sie verwundet?"

nervös auflachend deutete der Gardeoffizier auf den Kragen seiner Uniform,
der von dem Streifschuß verbrannt war: "Um ein Haar!"

"Wohnen Sie hier in der Gegend?"

"Nein -- auf dem Dom! Wollte mich nur orientieren. Ich hörte
Schüsse ..."

Der Kosakenoffizier legte wieder grüßend die Rechte an die Pavacha:

"Es empfiehlt sich in diesen Zeiten, Ansammlungen tunlichst aus dem
Wege zu gehen!" sagte er ernst. Dabei wies er auf die Tote, die in einiger
Entfernung, mit dem Gesicht zur Erde gewandt, auf dem Pflaster lag: "Das
ist Öl ins Feuer!"

"Die Kugel hatte mir gegolten!" sagte Wolff Joachim unmutig. Dann
steckte er seinen blutigen Degen mit erzwungener Gelassenheit wieder in die
Scheide und stieg in den Wagen. Kühl erwiderte er den Gruß, denn er
ärgerte sich über die Lektion, die in den Worten des Kosakenoffiziers gelegen
hatte. Mit einem verkniffenem Lächeln um den Mund fuhr er weiter, ohne
auf das Treiben der Straße weiter zu achten.




Frau Lolja Jwanow saß in ungeduldiger Erregung vor dem Ofen des
kleinen Salons neben ihrem Schlafzimmer. Sie kam sich höchst überflüssig vor
in dem Provinzmilieu dieser fremden Stadt und bereute es, dem eifersüchtigen
Drängen ihres Freundes nachgegeben zu haben.

Über zwei Stunden schon wartete sie auf seinen versprochenen Besuch und
wußte nicht, womit sie ihre Zeit zubringen sollte.

Das Zimmermädchen hatte ihr berichtet, daß schon wieder ein Zusammen¬
stoß zwischen Arbeitern und Kosaken stattgefunden hatte, und auch von dem
Überfall auf einen Offizier erzählte sie.

"Als ob es hier sicherer ist wie in Petersburg!" dachte Lolja ärgerlich und
vergaß dabei ganz, daß es die Drohung ihres von ihr verlassenen Gatten war,
die Wolff Joachim hauptsächlich für die Notwendigkeit ihrer Entfernung aus der
Residenz ins Treffen führte. .Die Wut des Betrogenen war noch immer nicht
verraucht, und in mehr als einem Briefe hatte er ihr geschworen, sie niederzu¬
schießen, wo er sie auch treffen würde. Aber in dem ihr eigenen Phlegma
hatte sie diese Drohungen niemals ernst genommen und sich deshalb anfangs
gesträubt, den Baron nach Reval zu begleiten.

"In einer Woche bist du wieder da! Solange bleibe ich in meinen vier
Wänden und lasse keinen Besuch vor, wer es auch sei!"


Sturm

„Die Kosaken, die Kosaken!" Es war das Zauberwort, auf das hin sich die
Mauer von Menschenleibern öffnete und auseinanderstob.

Der Offizier der Kosakenabteilung trat grüßend auf Wolff Joachim zu.
Er sah die Blutlache am Wagen und fragte: „Sind Sie verwundet?"

nervös auflachend deutete der Gardeoffizier auf den Kragen seiner Uniform,
der von dem Streifschuß verbrannt war: „Um ein Haar!"

„Wohnen Sie hier in der Gegend?"

„Nein — auf dem Dom! Wollte mich nur orientieren. Ich hörte
Schüsse ..."

Der Kosakenoffizier legte wieder grüßend die Rechte an die Pavacha:

„Es empfiehlt sich in diesen Zeiten, Ansammlungen tunlichst aus dem
Wege zu gehen!" sagte er ernst. Dabei wies er auf die Tote, die in einiger
Entfernung, mit dem Gesicht zur Erde gewandt, auf dem Pflaster lag: „Das
ist Öl ins Feuer!"

„Die Kugel hatte mir gegolten!" sagte Wolff Joachim unmutig. Dann
steckte er seinen blutigen Degen mit erzwungener Gelassenheit wieder in die
Scheide und stieg in den Wagen. Kühl erwiderte er den Gruß, denn er
ärgerte sich über die Lektion, die in den Worten des Kosakenoffiziers gelegen
hatte. Mit einem verkniffenem Lächeln um den Mund fuhr er weiter, ohne
auf das Treiben der Straße weiter zu achten.




Frau Lolja Jwanow saß in ungeduldiger Erregung vor dem Ofen des
kleinen Salons neben ihrem Schlafzimmer. Sie kam sich höchst überflüssig vor
in dem Provinzmilieu dieser fremden Stadt und bereute es, dem eifersüchtigen
Drängen ihres Freundes nachgegeben zu haben.

Über zwei Stunden schon wartete sie auf seinen versprochenen Besuch und
wußte nicht, womit sie ihre Zeit zubringen sollte.

Das Zimmermädchen hatte ihr berichtet, daß schon wieder ein Zusammen¬
stoß zwischen Arbeitern und Kosaken stattgefunden hatte, und auch von dem
Überfall auf einen Offizier erzählte sie.

„Als ob es hier sicherer ist wie in Petersburg!" dachte Lolja ärgerlich und
vergaß dabei ganz, daß es die Drohung ihres von ihr verlassenen Gatten war,
die Wolff Joachim hauptsächlich für die Notwendigkeit ihrer Entfernung aus der
Residenz ins Treffen führte. .Die Wut des Betrogenen war noch immer nicht
verraucht, und in mehr als einem Briefe hatte er ihr geschworen, sie niederzu¬
schießen, wo er sie auch treffen würde. Aber in dem ihr eigenen Phlegma
hatte sie diese Drohungen niemals ernst genommen und sich deshalb anfangs
gesträubt, den Baron nach Reval zu begleiten.

„In einer Woche bist du wieder da! Solange bleibe ich in meinen vier
Wänden und lasse keinen Besuch vor, wer es auch sei!"


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[0097] Sturm „Die Kosaken, die Kosaken!" Es war das Zauberwort, auf das hin sich die Mauer von Menschenleibern öffnete und auseinanderstob. Der Offizier der Kosakenabteilung trat grüßend auf Wolff Joachim zu. Er sah die Blutlache am Wagen und fragte: „Sind Sie verwundet?" nervös auflachend deutete der Gardeoffizier auf den Kragen seiner Uniform, der von dem Streifschuß verbrannt war: „Um ein Haar!" „Wohnen Sie hier in der Gegend?" „Nein — auf dem Dom! Wollte mich nur orientieren. Ich hörte Schüsse ..." Der Kosakenoffizier legte wieder grüßend die Rechte an die Pavacha: „Es empfiehlt sich in diesen Zeiten, Ansammlungen tunlichst aus dem Wege zu gehen!" sagte er ernst. Dabei wies er auf die Tote, die in einiger Entfernung, mit dem Gesicht zur Erde gewandt, auf dem Pflaster lag: „Das ist Öl ins Feuer!" „Die Kugel hatte mir gegolten!" sagte Wolff Joachim unmutig. Dann steckte er seinen blutigen Degen mit erzwungener Gelassenheit wieder in die Scheide und stieg in den Wagen. Kühl erwiderte er den Gruß, denn er ärgerte sich über die Lektion, die in den Worten des Kosakenoffiziers gelegen hatte. Mit einem verkniffenem Lächeln um den Mund fuhr er weiter, ohne auf das Treiben der Straße weiter zu achten. Frau Lolja Jwanow saß in ungeduldiger Erregung vor dem Ofen des kleinen Salons neben ihrem Schlafzimmer. Sie kam sich höchst überflüssig vor in dem Provinzmilieu dieser fremden Stadt und bereute es, dem eifersüchtigen Drängen ihres Freundes nachgegeben zu haben. Über zwei Stunden schon wartete sie auf seinen versprochenen Besuch und wußte nicht, womit sie ihre Zeit zubringen sollte. Das Zimmermädchen hatte ihr berichtet, daß schon wieder ein Zusammen¬ stoß zwischen Arbeitern und Kosaken stattgefunden hatte, und auch von dem Überfall auf einen Offizier erzählte sie. „Als ob es hier sicherer ist wie in Petersburg!" dachte Lolja ärgerlich und vergaß dabei ganz, daß es die Drohung ihres von ihr verlassenen Gatten war, die Wolff Joachim hauptsächlich für die Notwendigkeit ihrer Entfernung aus der Residenz ins Treffen führte. .Die Wut des Betrogenen war noch immer nicht verraucht, und in mehr als einem Briefe hatte er ihr geschworen, sie niederzu¬ schießen, wo er sie auch treffen würde. Aber in dem ihr eigenen Phlegma hatte sie diese Drohungen niemals ernst genommen und sich deshalb anfangs gesträubt, den Baron nach Reval zu begleiten. „In einer Woche bist du wieder da! Solange bleibe ich in meinen vier Wänden und lasse keinen Besuch vor, wer es auch sei!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/97>, abgerufen am 28.12.2024.