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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Das Symbol in der Kunst

eines Gefühlstones, der für den Dichter damit verknüpft war, sondern sogar
zum Symbol eines komplizierten Gemütszustandes.

Von dieser Symbolik des reinen Kunstmittels, von diesem symbolischen
Formalismus,*) den Kandinski bei Maeterlinck findet, erhofft er reiche Möglich¬
keiten für die Zukunftsliteratur.

Ansätze zu diesem symbolischen Formalismus findet er nun auch aus dem
Gebiete anderer Künste. Das Leitmotiv Wagners betrachtet er als "eine Art
musikalisch ausgedrückter geistiger Atmosphäre, die dem Helden vorausgeht, die
er also auf Entfernung geistig ausströmt", d.h. doch wohl als ein Symbol,
das die "geistige Atmosphäre" des Helden im Hörer erzeugen soll. Unter den
modernsten Musikern findet er bei Debussy und Skrjabin Ansätze, bei Arnold
Schönberg schon eine ziemlich vollendete Ausbildung jenes symbolischen Forma¬
lismus in der Musik. Unter Verzicht auf das "gewohnte Schöne", d. h. auf
die Harmonie und ihre Gesetze, führt Schönbergsche Musik nach Kandinskis Ansicht
uns in ein neues Reich ein, wo die musikalischen Erlebnisse keine akustischen
sind, sondern rein seelische. Hier beginnt die "Zukunftsmusik". Auch in dieser
Zukunftsmusik soll die Verwendung der musikalischen Mittel, soll die Bindung
der Töne nicht nach den objektiven akustischen Gesetzen der Harmonielehre,
sondern nach dem Ablaufe des inneren, des gefühlsmäßigen Erlebens im
Künstler vor sich gehen. Der Gefühlston. mit dem jeder musikalische Ton,
sogar jede Dissonanz für den Künstler ausgezeichnet ist. soll allein maßgebend
sein für seine Verwendung.

Auf dem Gebiete der Malerei endlich erblickt Kandinski in Rosetti, der
die abstrakten Formen "der Präraffaeliten wieder zum Leben zu bringen suchte,
in Böcklin, der seine "abstrakten Gestalten" in zwar stark entwickelte materielle,
aber doch mythologische und märchenhafte Formen kleidete, und schließlich in
Segantini, der auch aus der bis ins kleinste durchgearbeiteten Naturform eine
"abstrakte Gestalt", gemeint ist wohl die typische Form, herauszuarbeiten ver¬
stand, in diesen drei Malern erblickt er mit Recht die Vorläufer des rein for¬
malen Symbolismus, die "Sucher des Inneren im Äußeren".

Über Cözanne. der die "innere malerische Note" der Gegenstände zum
Ausdruck zu bringen sucht, führt der Weg dann zu Matisse und Picasso, von
denen jener den malerischen Eigenwert der Farbe, dieser den malerischen Eigen¬
wert der Form mit Vorliebe kultiviert. Diese beiden Maler und ihre Art sind
für Kandinski "zwei große Weisungen auf ein großes Ziel".

Welches dieses große Ziel ist, das macht er sich nach den eben geschilderten
Überlegungen völlig begrifflich klar. Es handelt sich darum, in der Malerei
Form und Farbe, losgelöst von jeder gegenständlichen Bedeutung der einzelnen
Lormen und einzelnen Farben, zu verwenden als reine künstlerische Mittel, als
Symbole lediglich für den Gefühlston. der mit jeder reinen Form, mit jeder
Farbe für den Künstler verknüpft ist.



") Dieser Ausdruck ist Kandinski fremd und stammt von mir.
Das Symbol in der Kunst

eines Gefühlstones, der für den Dichter damit verknüpft war, sondern sogar
zum Symbol eines komplizierten Gemütszustandes.

Von dieser Symbolik des reinen Kunstmittels, von diesem symbolischen
Formalismus,*) den Kandinski bei Maeterlinck findet, erhofft er reiche Möglich¬
keiten für die Zukunftsliteratur.

Ansätze zu diesem symbolischen Formalismus findet er nun auch aus dem
Gebiete anderer Künste. Das Leitmotiv Wagners betrachtet er als „eine Art
musikalisch ausgedrückter geistiger Atmosphäre, die dem Helden vorausgeht, die
er also auf Entfernung geistig ausströmt", d.h. doch wohl als ein Symbol,
das die „geistige Atmosphäre" des Helden im Hörer erzeugen soll. Unter den
modernsten Musikern findet er bei Debussy und Skrjabin Ansätze, bei Arnold
Schönberg schon eine ziemlich vollendete Ausbildung jenes symbolischen Forma¬
lismus in der Musik. Unter Verzicht auf das „gewohnte Schöne", d. h. auf
die Harmonie und ihre Gesetze, führt Schönbergsche Musik nach Kandinskis Ansicht
uns in ein neues Reich ein, wo die musikalischen Erlebnisse keine akustischen
sind, sondern rein seelische. Hier beginnt die „Zukunftsmusik". Auch in dieser
Zukunftsmusik soll die Verwendung der musikalischen Mittel, soll die Bindung
der Töne nicht nach den objektiven akustischen Gesetzen der Harmonielehre,
sondern nach dem Ablaufe des inneren, des gefühlsmäßigen Erlebens im
Künstler vor sich gehen. Der Gefühlston. mit dem jeder musikalische Ton,
sogar jede Dissonanz für den Künstler ausgezeichnet ist. soll allein maßgebend
sein für seine Verwendung.

Auf dem Gebiete der Malerei endlich erblickt Kandinski in Rosetti, der
die abstrakten Formen „der Präraffaeliten wieder zum Leben zu bringen suchte,
in Böcklin, der seine „abstrakten Gestalten" in zwar stark entwickelte materielle,
aber doch mythologische und märchenhafte Formen kleidete, und schließlich in
Segantini, der auch aus der bis ins kleinste durchgearbeiteten Naturform eine
„abstrakte Gestalt", gemeint ist wohl die typische Form, herauszuarbeiten ver¬
stand, in diesen drei Malern erblickt er mit Recht die Vorläufer des rein for¬
malen Symbolismus, die „Sucher des Inneren im Äußeren".

Über Cözanne. der die „innere malerische Note" der Gegenstände zum
Ausdruck zu bringen sucht, führt der Weg dann zu Matisse und Picasso, von
denen jener den malerischen Eigenwert der Farbe, dieser den malerischen Eigen¬
wert der Form mit Vorliebe kultiviert. Diese beiden Maler und ihre Art sind
für Kandinski „zwei große Weisungen auf ein großes Ziel".

Welches dieses große Ziel ist, das macht er sich nach den eben geschilderten
Überlegungen völlig begrifflich klar. Es handelt sich darum, in der Malerei
Form und Farbe, losgelöst von jeder gegenständlichen Bedeutung der einzelnen
Lormen und einzelnen Farben, zu verwenden als reine künstlerische Mittel, als
Symbole lediglich für den Gefühlston. der mit jeder reinen Form, mit jeder
Farbe für den Künstler verknüpft ist.



") Dieser Ausdruck ist Kandinski fremd und stammt von mir.
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[0069] Das Symbol in der Kunst eines Gefühlstones, der für den Dichter damit verknüpft war, sondern sogar zum Symbol eines komplizierten Gemütszustandes. Von dieser Symbolik des reinen Kunstmittels, von diesem symbolischen Formalismus,*) den Kandinski bei Maeterlinck findet, erhofft er reiche Möglich¬ keiten für die Zukunftsliteratur. Ansätze zu diesem symbolischen Formalismus findet er nun auch aus dem Gebiete anderer Künste. Das Leitmotiv Wagners betrachtet er als „eine Art musikalisch ausgedrückter geistiger Atmosphäre, die dem Helden vorausgeht, die er also auf Entfernung geistig ausströmt", d.h. doch wohl als ein Symbol, das die „geistige Atmosphäre" des Helden im Hörer erzeugen soll. Unter den modernsten Musikern findet er bei Debussy und Skrjabin Ansätze, bei Arnold Schönberg schon eine ziemlich vollendete Ausbildung jenes symbolischen Forma¬ lismus in der Musik. Unter Verzicht auf das „gewohnte Schöne", d. h. auf die Harmonie und ihre Gesetze, führt Schönbergsche Musik nach Kandinskis Ansicht uns in ein neues Reich ein, wo die musikalischen Erlebnisse keine akustischen sind, sondern rein seelische. Hier beginnt die „Zukunftsmusik". Auch in dieser Zukunftsmusik soll die Verwendung der musikalischen Mittel, soll die Bindung der Töne nicht nach den objektiven akustischen Gesetzen der Harmonielehre, sondern nach dem Ablaufe des inneren, des gefühlsmäßigen Erlebens im Künstler vor sich gehen. Der Gefühlston. mit dem jeder musikalische Ton, sogar jede Dissonanz für den Künstler ausgezeichnet ist. soll allein maßgebend sein für seine Verwendung. Auf dem Gebiete der Malerei endlich erblickt Kandinski in Rosetti, der die abstrakten Formen „der Präraffaeliten wieder zum Leben zu bringen suchte, in Böcklin, der seine „abstrakten Gestalten" in zwar stark entwickelte materielle, aber doch mythologische und märchenhafte Formen kleidete, und schließlich in Segantini, der auch aus der bis ins kleinste durchgearbeiteten Naturform eine „abstrakte Gestalt", gemeint ist wohl die typische Form, herauszuarbeiten ver¬ stand, in diesen drei Malern erblickt er mit Recht die Vorläufer des rein for¬ malen Symbolismus, die „Sucher des Inneren im Äußeren". Über Cözanne. der die „innere malerische Note" der Gegenstände zum Ausdruck zu bringen sucht, führt der Weg dann zu Matisse und Picasso, von denen jener den malerischen Eigenwert der Farbe, dieser den malerischen Eigen¬ wert der Form mit Vorliebe kultiviert. Diese beiden Maler und ihre Art sind für Kandinski „zwei große Weisungen auf ein großes Ziel". Welches dieses große Ziel ist, das macht er sich nach den eben geschilderten Überlegungen völlig begrifflich klar. Es handelt sich darum, in der Malerei Form und Farbe, losgelöst von jeder gegenständlichen Bedeutung der einzelnen Lormen und einzelnen Farben, zu verwenden als reine künstlerische Mittel, als Symbole lediglich für den Gefühlston. der mit jeder reinen Form, mit jeder Farbe für den Künstler verknüpft ist. ") Dieser Ausdruck ist Kandinski fremd und stammt von mir.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/69>, abgerufen am 28.12.2024.