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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Dstasiatische Gewitterwolken

zugunsten der japanischen Herrschaft. Heute droht Japan auf Grund der offen¬
sichtlich aufgebauschten Zwischenfälle in Harlan und Nanking, bei denen japanische
Staatsangehörige den Warnungen der chinesischen Regierung zum Trotz sich mut¬
willig in Gefahr begeben hatten, mit der Besetzung der wichtigen, an der Straße
von Formosa gelegenen chinesischen Hafenplätze Amoy und Futschau. die die
Eingangspforten zu der reichen Provinz Füllen darstellen, die seit Jahren den
Schauplatz eifriger japanischer Propagandatätigkeit bildet. Hat England seinen
ostasiatischen Verbündeten noch in letzter Stunde vor einer Überspannung des
Bogens gewarnt? Ein Artikel der Times vom 9. September läßt fast darauf
schließen.




Die Beteiligung Japans an der chinesischen Revolution greift hinüber in
das Gebiet der großen Politik und steht naturgemäß in engstem Zusammenhang
mit dem Wettbewerb der Mächte auf dem ostasiatischen Markt.

In den letzten Julitagen des vorigen Jahres wurde die Welt durch eine
Meldung der Times über den bevorstehenden Abschluß eines russisch-japanischen
Bündnisses überrascht. Ihr waren, wie ich an Ort und Stelle zu beobachten
Gelegenheit hatte, seit Monaten Äußerungen der japanischen Presse voraus¬
gegangen, die auf die Lockerung des britisch-japanischen Bündnisses hinwiesen
und einen engern Anschluß an Rußland empfahlen. Die Beweggründe zu dieser
Stimmung gingen auf den Knoxschen Vorschlag zur Neutralisierung der mandschu¬
rischen Eisenbahnen vom Jahre 1910, der Japan begreiflicherweise besonders
unsympathisch war, und die übrigen Zwistigkeiten mit der Nordamerikanischen
Union zurück. England zog damals aus der Weltlage insofern seine Schlüsse,
als es das Bündnis mit Japan zwar erneuerte, dieser Erneuerung jedoch eine
Form gab, die die Nötigung zur Unterstützung Japans in einer kriegerischen
Aktion gegen die Vereinigten Staaten ausschloß. Die britisch-russische An¬
näherung machte außerdem für England eine Unterstützung durch Japan nach
dieser Richtung entbehrlich. Von den Grundlagen des anglo-japanischen
Bündnisses verblieb also nur noch "die Erhaltung der Unverletzlichkeit
des chinesischen Reiches und der Öffnen Tür in seinem Handelsbereich".
Diese "Öffne Tür" aber hat Japan, wie alle Welt weiß, soweit
die Südmanschurei in Betracht kommt, längst nicht mehr geachtet, und
die "Unverletzlichkeit des chinesischen Reiches" schien gerade in diesen Tagen
durch Japan besonders gefährdet. Für die der Mandschurei benachbarte
Mongolei hegte außerdem Rußland ähnliche Wünsche. Kein Wunder, daß eine
russisch-japanische Interessengemeinschaft entstand, die zunächst in der russisch¬
japanischen Entente vom Jahre 1910 zum Ausdruck kam, der dann im vorigen
Jahre weitere Abmachungen über mongolisch-mandschurische Fragen zwischen
beiden Ländern gefolgt sind. Im April 1911 sahen jedoch in erster Linie
Japan, im weiteren aber auch Rußland ihre Pläne hinsichtlich der nord-


Dstasiatische Gewitterwolken

zugunsten der japanischen Herrschaft. Heute droht Japan auf Grund der offen¬
sichtlich aufgebauschten Zwischenfälle in Harlan und Nanking, bei denen japanische
Staatsangehörige den Warnungen der chinesischen Regierung zum Trotz sich mut¬
willig in Gefahr begeben hatten, mit der Besetzung der wichtigen, an der Straße
von Formosa gelegenen chinesischen Hafenplätze Amoy und Futschau. die die
Eingangspforten zu der reichen Provinz Füllen darstellen, die seit Jahren den
Schauplatz eifriger japanischer Propagandatätigkeit bildet. Hat England seinen
ostasiatischen Verbündeten noch in letzter Stunde vor einer Überspannung des
Bogens gewarnt? Ein Artikel der Times vom 9. September läßt fast darauf
schließen.




Die Beteiligung Japans an der chinesischen Revolution greift hinüber in
das Gebiet der großen Politik und steht naturgemäß in engstem Zusammenhang
mit dem Wettbewerb der Mächte auf dem ostasiatischen Markt.

In den letzten Julitagen des vorigen Jahres wurde die Welt durch eine
Meldung der Times über den bevorstehenden Abschluß eines russisch-japanischen
Bündnisses überrascht. Ihr waren, wie ich an Ort und Stelle zu beobachten
Gelegenheit hatte, seit Monaten Äußerungen der japanischen Presse voraus¬
gegangen, die auf die Lockerung des britisch-japanischen Bündnisses hinwiesen
und einen engern Anschluß an Rußland empfahlen. Die Beweggründe zu dieser
Stimmung gingen auf den Knoxschen Vorschlag zur Neutralisierung der mandschu¬
rischen Eisenbahnen vom Jahre 1910, der Japan begreiflicherweise besonders
unsympathisch war, und die übrigen Zwistigkeiten mit der Nordamerikanischen
Union zurück. England zog damals aus der Weltlage insofern seine Schlüsse,
als es das Bündnis mit Japan zwar erneuerte, dieser Erneuerung jedoch eine
Form gab, die die Nötigung zur Unterstützung Japans in einer kriegerischen
Aktion gegen die Vereinigten Staaten ausschloß. Die britisch-russische An¬
näherung machte außerdem für England eine Unterstützung durch Japan nach
dieser Richtung entbehrlich. Von den Grundlagen des anglo-japanischen
Bündnisses verblieb also nur noch „die Erhaltung der Unverletzlichkeit
des chinesischen Reiches und der Öffnen Tür in seinem Handelsbereich".
Diese „Öffne Tür" aber hat Japan, wie alle Welt weiß, soweit
die Südmanschurei in Betracht kommt, längst nicht mehr geachtet, und
die „Unverletzlichkeit des chinesischen Reiches" schien gerade in diesen Tagen
durch Japan besonders gefährdet. Für die der Mandschurei benachbarte
Mongolei hegte außerdem Rußland ähnliche Wünsche. Kein Wunder, daß eine
russisch-japanische Interessengemeinschaft entstand, die zunächst in der russisch¬
japanischen Entente vom Jahre 1910 zum Ausdruck kam, der dann im vorigen
Jahre weitere Abmachungen über mongolisch-mandschurische Fragen zwischen
beiden Ländern gefolgt sind. Im April 1911 sahen jedoch in erster Linie
Japan, im weiteren aber auch Rußland ihre Pläne hinsichtlich der nord-


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[0590] Dstasiatische Gewitterwolken zugunsten der japanischen Herrschaft. Heute droht Japan auf Grund der offen¬ sichtlich aufgebauschten Zwischenfälle in Harlan und Nanking, bei denen japanische Staatsangehörige den Warnungen der chinesischen Regierung zum Trotz sich mut¬ willig in Gefahr begeben hatten, mit der Besetzung der wichtigen, an der Straße von Formosa gelegenen chinesischen Hafenplätze Amoy und Futschau. die die Eingangspforten zu der reichen Provinz Füllen darstellen, die seit Jahren den Schauplatz eifriger japanischer Propagandatätigkeit bildet. Hat England seinen ostasiatischen Verbündeten noch in letzter Stunde vor einer Überspannung des Bogens gewarnt? Ein Artikel der Times vom 9. September läßt fast darauf schließen. Die Beteiligung Japans an der chinesischen Revolution greift hinüber in das Gebiet der großen Politik und steht naturgemäß in engstem Zusammenhang mit dem Wettbewerb der Mächte auf dem ostasiatischen Markt. In den letzten Julitagen des vorigen Jahres wurde die Welt durch eine Meldung der Times über den bevorstehenden Abschluß eines russisch-japanischen Bündnisses überrascht. Ihr waren, wie ich an Ort und Stelle zu beobachten Gelegenheit hatte, seit Monaten Äußerungen der japanischen Presse voraus¬ gegangen, die auf die Lockerung des britisch-japanischen Bündnisses hinwiesen und einen engern Anschluß an Rußland empfahlen. Die Beweggründe zu dieser Stimmung gingen auf den Knoxschen Vorschlag zur Neutralisierung der mandschu¬ rischen Eisenbahnen vom Jahre 1910, der Japan begreiflicherweise besonders unsympathisch war, und die übrigen Zwistigkeiten mit der Nordamerikanischen Union zurück. England zog damals aus der Weltlage insofern seine Schlüsse, als es das Bündnis mit Japan zwar erneuerte, dieser Erneuerung jedoch eine Form gab, die die Nötigung zur Unterstützung Japans in einer kriegerischen Aktion gegen die Vereinigten Staaten ausschloß. Die britisch-russische An¬ näherung machte außerdem für England eine Unterstützung durch Japan nach dieser Richtung entbehrlich. Von den Grundlagen des anglo-japanischen Bündnisses verblieb also nur noch „die Erhaltung der Unverletzlichkeit des chinesischen Reiches und der Öffnen Tür in seinem Handelsbereich". Diese „Öffne Tür" aber hat Japan, wie alle Welt weiß, soweit die Südmanschurei in Betracht kommt, längst nicht mehr geachtet, und die „Unverletzlichkeit des chinesischen Reiches" schien gerade in diesen Tagen durch Japan besonders gefährdet. Für die der Mandschurei benachbarte Mongolei hegte außerdem Rußland ähnliche Wünsche. Kein Wunder, daß eine russisch-japanische Interessengemeinschaft entstand, die zunächst in der russisch¬ japanischen Entente vom Jahre 1910 zum Ausdruck kam, der dann im vorigen Jahre weitere Abmachungen über mongolisch-mandschurische Fragen zwischen beiden Ländern gefolgt sind. Im April 1911 sahen jedoch in erster Linie Japan, im weiteren aber auch Rußland ihre Pläne hinsichtlich der nord-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/590>, abgerufen am 19.10.2024.