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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Wer dieses kluge, klare Büchlein ist wenig
zu sagen. Der Verfasser urteilt aus sicherer
Kenntnis der Werke und beweist einen hellen,
offenen Blick. Er beginnt bei der reich¬
bewegter Zeit der Romantik, der geistigen
Emanzipation der Frauen, und endet bei der
Kunst unserer Tage. Mit gutem Verständnis
gruppiert er seinen Stoff um sieben Ab¬
schnitte: Romantik, die jungdeutsche Zeit, im
Zeitalter des Realismus, Übergangsjahre,
seelische und soziale Emanzipation, Heimat¬
kunst und Gesellschciftsschilderung, neue Höhen¬
kunst. Alle wesentlichen Schriftstellerinnen sind
genannt und durch nachfühlende Worte cha¬
rakterisiert. Bei tieferer Betrachtung freilich
bleiben als wahrhaft bedeutsam und eigen¬
tümlich nur wenige zurück: Bettina von Arnim,
Annette von Droste-Hülshoff, Louise von
Fran?vis, Marie von Ebner-Eschenbach, He¬
lene Bohlen und Ricarda Huch. über die
einzelnen Urteile des Verfassers zu richten,
Wäre zwecklos, zumal man sagen darf, daß
sie stets auf Persönlicher Eigenart und gewissen¬
haftem Studium aufgebaut find. So er¬
icheint mir z. B. die wundersame, einzig¬
artige Erscheinung der Bettina etwas nüchtern
gedeutet, Malwida von Meysenbug dagegen
reichlich überschätzt zu sein. Als sicheres Nach¬
schlagebuch und treffliche literarische Arbeit
kann dieses Büchlein aufs nachdrücklichste
empfohlen sein; es ist mit drei Bildnissen
geziert und außerdem erfreulich gering im
Preise.

Lrnst Ludwig Schellenberg
Tagesfragen

Die Abneigung gegen das Feinkomische.
Wir haben längst keinen Mangel mehr an
Büchern über irgend etwas, und eine ganze
Reihe von wohlbeleibten "Ästhetikern" belehrt
uns über Wesen, Merkmale und Einteilung
des Komischen. Zuletzt freilich muß man an
Wilh. Hauffs geistreiche Bemerkung in seiner
Schutzrede Wider Clauren denken: aus Koch¬
büchern lerne der Leser Wohl, wie ein Fest¬
mahl zubereitet wird, aus Claurens Romanen
hingegen, wie es schmeckt. ES leidet nun
keinen Zweifel, daß den Leuten schon seit ge¬
raumer Zeit alles Komische um so weniger
schmecken will, je feiner es sich gibt. Beinahe

[Spaltenumbruch]

zwanzig Jahre ist eS her, daß eine Satire
in Buchform ihren Weg machen konnte, weil
sie begriffen wurde. Das hat sich in dieser
Weise nicht wiederholt, denn die Aussicht auf
Verständnis ist geschwunden; nur gröbere Ver¬
ulkungen in Art der Thomaschen Filserbriefe
besitzen ihr Publikum, wobei noch die Frage
erlaubt wäre, ob hier wirklich des Pudels
Kern neben dem drastischen Aufputz zur Gel¬
tung gelangt. Die klägliche Rolle des Ko¬
mischen in der heutigen erzählenden Literatur
ist bekannt und wird nicht einmal mehr be¬
klagt, sondern nur noch registriert; auf der
Bühne, wo sich alles von selbst vergröbert,
darf man Feinkomisches jetzt überhaupt nicht
suchen. Und wenn endlich die sogenannten
Witzblätter entweder die innerlich neutrale
Anekdote Pflegen, mit kalter Küche wirtschaften,
oder mit Keulen dreinschlagen, so entdeckt man
dabei wenigstens am allerersten die kritische
Spur. Wer Zustände, Einrichtungen oder
Personen als die Vertreter eines Prinzips
angreift, schadet ihnen durch offenbaren Un-
glimpf lange nicht so sehr, wie durch den
gemächlichen Nachweis des Unechten im ganzen
Aufbau, bzw. Fühlen, Denken und Handeln.
Das Feinkomische, vor dessen tupfenden Rea¬
genzstäbchen auf die Dauer kein falscher Flitter
bestände, wird jedoch gemieden und, wenn
einmal nicht, von der Gegenseite als tätlicher
Affront und "vergiftete Waffe" hingestellt.
Solche Klagen über Verletzung einer idealen
Grenzlinie -- in Wirklichkeit über Mißbrauch
der Wahrheit, wie seltsam das auch klingt, --
sind dann des Widerhalls sicher. Ganz im¬
posante Kundgebungen, von der vox populi
kaum zu unterscheiden, sind schon aus der¬
gleichen Anlässen zustande gekommen und
haben dem Störenfried seine Tätigkeit prompt
verleidet. Eine Prüfung dieser Gesamt¬
erscheinung aber lehrt, daß die Gebundenheit
der materiellen Interessen als Ursache übrig
bleibt. Noch genauer: eine innerlich wider¬
sinnige Solidarität phantastischer Erwartun¬
gen, die heut der einzelne, ohne es laut zu
gestehen, in Anlehnung an irgendeine wirt¬
schaftliche Macht für seine nebelhaften Zu¬
kunftspläne mit sich herumträgt. Da ist die
unbestochene Feinkomik, vor deren Wirkung
Ausflüchte zerflattern und hochgetürmte Irr¬
tümer einschnurren, immer der große Feind,

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Wer dieses kluge, klare Büchlein ist wenig
zu sagen. Der Verfasser urteilt aus sicherer
Kenntnis der Werke und beweist einen hellen,
offenen Blick. Er beginnt bei der reich¬
bewegter Zeit der Romantik, der geistigen
Emanzipation der Frauen, und endet bei der
Kunst unserer Tage. Mit gutem Verständnis
gruppiert er seinen Stoff um sieben Ab¬
schnitte: Romantik, die jungdeutsche Zeit, im
Zeitalter des Realismus, Übergangsjahre,
seelische und soziale Emanzipation, Heimat¬
kunst und Gesellschciftsschilderung, neue Höhen¬
kunst. Alle wesentlichen Schriftstellerinnen sind
genannt und durch nachfühlende Worte cha¬
rakterisiert. Bei tieferer Betrachtung freilich
bleiben als wahrhaft bedeutsam und eigen¬
tümlich nur wenige zurück: Bettina von Arnim,
Annette von Droste-Hülshoff, Louise von
Fran?vis, Marie von Ebner-Eschenbach, He¬
lene Bohlen und Ricarda Huch. über die
einzelnen Urteile des Verfassers zu richten,
Wäre zwecklos, zumal man sagen darf, daß
sie stets auf Persönlicher Eigenart und gewissen¬
haftem Studium aufgebaut find. So er¬
icheint mir z. B. die wundersame, einzig¬
artige Erscheinung der Bettina etwas nüchtern
gedeutet, Malwida von Meysenbug dagegen
reichlich überschätzt zu sein. Als sicheres Nach¬
schlagebuch und treffliche literarische Arbeit
kann dieses Büchlein aufs nachdrücklichste
empfohlen sein; es ist mit drei Bildnissen
geziert und außerdem erfreulich gering im
Preise.

Lrnst Ludwig Schellenberg
Tagesfragen

Die Abneigung gegen das Feinkomische.
Wir haben längst keinen Mangel mehr an
Büchern über irgend etwas, und eine ganze
Reihe von wohlbeleibten „Ästhetikern" belehrt
uns über Wesen, Merkmale und Einteilung
des Komischen. Zuletzt freilich muß man an
Wilh. Hauffs geistreiche Bemerkung in seiner
Schutzrede Wider Clauren denken: aus Koch¬
büchern lerne der Leser Wohl, wie ein Fest¬
mahl zubereitet wird, aus Claurens Romanen
hingegen, wie es schmeckt. ES leidet nun
keinen Zweifel, daß den Leuten schon seit ge¬
raumer Zeit alles Komische um so weniger
schmecken will, je feiner es sich gibt. Beinahe

[Spaltenumbruch]

zwanzig Jahre ist eS her, daß eine Satire
in Buchform ihren Weg machen konnte, weil
sie begriffen wurde. Das hat sich in dieser
Weise nicht wiederholt, denn die Aussicht auf
Verständnis ist geschwunden; nur gröbere Ver¬
ulkungen in Art der Thomaschen Filserbriefe
besitzen ihr Publikum, wobei noch die Frage
erlaubt wäre, ob hier wirklich des Pudels
Kern neben dem drastischen Aufputz zur Gel¬
tung gelangt. Die klägliche Rolle des Ko¬
mischen in der heutigen erzählenden Literatur
ist bekannt und wird nicht einmal mehr be¬
klagt, sondern nur noch registriert; auf der
Bühne, wo sich alles von selbst vergröbert,
darf man Feinkomisches jetzt überhaupt nicht
suchen. Und wenn endlich die sogenannten
Witzblätter entweder die innerlich neutrale
Anekdote Pflegen, mit kalter Küche wirtschaften,
oder mit Keulen dreinschlagen, so entdeckt man
dabei wenigstens am allerersten die kritische
Spur. Wer Zustände, Einrichtungen oder
Personen als die Vertreter eines Prinzips
angreift, schadet ihnen durch offenbaren Un-
glimpf lange nicht so sehr, wie durch den
gemächlichen Nachweis des Unechten im ganzen
Aufbau, bzw. Fühlen, Denken und Handeln.
Das Feinkomische, vor dessen tupfenden Rea¬
genzstäbchen auf die Dauer kein falscher Flitter
bestände, wird jedoch gemieden und, wenn
einmal nicht, von der Gegenseite als tätlicher
Affront und „vergiftete Waffe" hingestellt.
Solche Klagen über Verletzung einer idealen
Grenzlinie — in Wirklichkeit über Mißbrauch
der Wahrheit, wie seltsam das auch klingt, —
sind dann des Widerhalls sicher. Ganz im¬
posante Kundgebungen, von der vox populi
kaum zu unterscheiden, sind schon aus der¬
gleichen Anlässen zustande gekommen und
haben dem Störenfried seine Tätigkeit prompt
verleidet. Eine Prüfung dieser Gesamt¬
erscheinung aber lehrt, daß die Gebundenheit
der materiellen Interessen als Ursache übrig
bleibt. Noch genauer: eine innerlich wider¬
sinnige Solidarität phantastischer Erwartun¬
gen, die heut der einzelne, ohne es laut zu
gestehen, in Anlehnung an irgendeine wirt¬
schaftliche Macht für seine nebelhaften Zu¬
kunftspläne mit sich herumträgt. Da ist die
unbestochene Feinkomik, vor deren Wirkung
Ausflüchte zerflattern und hochgetürmte Irr¬
tümer einschnurren, immer der große Feind,

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[0587] Maßgebliches und Unmaßgebliches Wer dieses kluge, klare Büchlein ist wenig zu sagen. Der Verfasser urteilt aus sicherer Kenntnis der Werke und beweist einen hellen, offenen Blick. Er beginnt bei der reich¬ bewegter Zeit der Romantik, der geistigen Emanzipation der Frauen, und endet bei der Kunst unserer Tage. Mit gutem Verständnis gruppiert er seinen Stoff um sieben Ab¬ schnitte: Romantik, die jungdeutsche Zeit, im Zeitalter des Realismus, Übergangsjahre, seelische und soziale Emanzipation, Heimat¬ kunst und Gesellschciftsschilderung, neue Höhen¬ kunst. Alle wesentlichen Schriftstellerinnen sind genannt und durch nachfühlende Worte cha¬ rakterisiert. Bei tieferer Betrachtung freilich bleiben als wahrhaft bedeutsam und eigen¬ tümlich nur wenige zurück: Bettina von Arnim, Annette von Droste-Hülshoff, Louise von Fran?vis, Marie von Ebner-Eschenbach, He¬ lene Bohlen und Ricarda Huch. über die einzelnen Urteile des Verfassers zu richten, Wäre zwecklos, zumal man sagen darf, daß sie stets auf Persönlicher Eigenart und gewissen¬ haftem Studium aufgebaut find. So er¬ icheint mir z. B. die wundersame, einzig¬ artige Erscheinung der Bettina etwas nüchtern gedeutet, Malwida von Meysenbug dagegen reichlich überschätzt zu sein. Als sicheres Nach¬ schlagebuch und treffliche literarische Arbeit kann dieses Büchlein aufs nachdrücklichste empfohlen sein; es ist mit drei Bildnissen geziert und außerdem erfreulich gering im Preise. Lrnst Ludwig Schellenberg Tagesfragen Die Abneigung gegen das Feinkomische. Wir haben längst keinen Mangel mehr an Büchern über irgend etwas, und eine ganze Reihe von wohlbeleibten „Ästhetikern" belehrt uns über Wesen, Merkmale und Einteilung des Komischen. Zuletzt freilich muß man an Wilh. Hauffs geistreiche Bemerkung in seiner Schutzrede Wider Clauren denken: aus Koch¬ büchern lerne der Leser Wohl, wie ein Fest¬ mahl zubereitet wird, aus Claurens Romanen hingegen, wie es schmeckt. ES leidet nun keinen Zweifel, daß den Leuten schon seit ge¬ raumer Zeit alles Komische um so weniger schmecken will, je feiner es sich gibt. Beinahe zwanzig Jahre ist eS her, daß eine Satire in Buchform ihren Weg machen konnte, weil sie begriffen wurde. Das hat sich in dieser Weise nicht wiederholt, denn die Aussicht auf Verständnis ist geschwunden; nur gröbere Ver¬ ulkungen in Art der Thomaschen Filserbriefe besitzen ihr Publikum, wobei noch die Frage erlaubt wäre, ob hier wirklich des Pudels Kern neben dem drastischen Aufputz zur Gel¬ tung gelangt. Die klägliche Rolle des Ko¬ mischen in der heutigen erzählenden Literatur ist bekannt und wird nicht einmal mehr be¬ klagt, sondern nur noch registriert; auf der Bühne, wo sich alles von selbst vergröbert, darf man Feinkomisches jetzt überhaupt nicht suchen. Und wenn endlich die sogenannten Witzblätter entweder die innerlich neutrale Anekdote Pflegen, mit kalter Küche wirtschaften, oder mit Keulen dreinschlagen, so entdeckt man dabei wenigstens am allerersten die kritische Spur. Wer Zustände, Einrichtungen oder Personen als die Vertreter eines Prinzips angreift, schadet ihnen durch offenbaren Un- glimpf lange nicht so sehr, wie durch den gemächlichen Nachweis des Unechten im ganzen Aufbau, bzw. Fühlen, Denken und Handeln. Das Feinkomische, vor dessen tupfenden Rea¬ genzstäbchen auf die Dauer kein falscher Flitter bestände, wird jedoch gemieden und, wenn einmal nicht, von der Gegenseite als tätlicher Affront und „vergiftete Waffe" hingestellt. Solche Klagen über Verletzung einer idealen Grenzlinie — in Wirklichkeit über Mißbrauch der Wahrheit, wie seltsam das auch klingt, — sind dann des Widerhalls sicher. Ganz im¬ posante Kundgebungen, von der vox populi kaum zu unterscheiden, sind schon aus der¬ gleichen Anlässen zustande gekommen und haben dem Störenfried seine Tätigkeit prompt verleidet. Eine Prüfung dieser Gesamt¬ erscheinung aber lehrt, daß die Gebundenheit der materiellen Interessen als Ursache übrig bleibt. Noch genauer: eine innerlich wider¬ sinnige Solidarität phantastischer Erwartun¬ gen, die heut der einzelne, ohne es laut zu gestehen, in Anlehnung an irgendeine wirt¬ schaftliche Macht für seine nebelhaften Zu¬ kunftspläne mit sich herumträgt. Da ist die unbestochene Feinkomik, vor deren Wirkung Ausflüchte zerflattern und hochgetürmte Irr¬ tümer einschnurren, immer der große Feind,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/587>, abgerufen am 19.10.2024.