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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

Der Hinweis auf Evi hatte alle Bedenken niedergestimmt. Nichts war ihr
zuviel, was den Toten irgendwie ehren konnte. Sie hatte dafür gesorgt, daß
riesige Mengen Tannengrün aus dem Wald geholt wurden. Der ganze lange
Weg von Sternburg bis zur Kirche war damit bestreut. Und zum ersten Male
seit jener Schreckensnacht brach ein dankbares Lächeln durch die bleiche Trauer
ihrer Mienen, als die stattliche Reiterschar aufmarschierte.

Noch mehr als seine Tochter zeigte sich Herr von Wenkendorff selbst gerührt.
Er hatte von nichts geahnt und wollte gerade mit Baron Alexander von der
Borke in die geschlossene Kutsche steigen, als er die Junker bemerkte. Mit
Tränen im Auge hatte er ihnen gedankt. . .

Friedlich stieg der Rauch aus Sternburgs Schloten in die Winterluft. In
dieser sonnigen Mittagsstunde erinnerte nichts mehr an die wilde Szene, deren
Schauplatz der weite Hof vor wenigen Tagen gewesen war.

Edles und Edda empfanden die Ruhe wohltuend, die sich nach dem Auf¬
bruch des Trauerzuges im Herrenhaus eingestellt hatte. Sie waren auf Wunsch
des Vaters mit Evi dem Begräbnis ferngeblieben. Jetzt saßen sie endlich
wieder mal allein zu ungestörtem, traulichen Gespräch beieinander, von Lolja,
die heute hatte aufstehen dürfen, in der Pflege an Wolff Joachims Genesungs¬
lager abgelöst.

"Was hältst du nun eigentlich von diesem Mädchen aus der Fremde?"
fragte Edles.

"Ich glaube fast, ich hab' sie lieb. Sie ist von einer entzückenden, echt
weiblichen Schmiegsamkeit und dabei rein und gut wie ein Kind!"

"Ich bewundere dich, Edda!"

"Als ob ich was dazu getan hätte! Es ist ganz von selbst gekommen.
Ich sah sie leiden und aller Haß war verflogen. Auch weiß ich jetzt ihre Ge¬
schichte. Sie ist ganz anders, als damals die gehässige Zeitungsnotiz er¬
warten ließ."

"Erzähle!"

"Sie war von Anfang an unglücklich in ihrer Ehe. Wie alt schätzt du sie
übrigens?"

"Na, so wie wir -- Mitte zwanzig!"

"Frau Jwanow ist neunzehn Jahre!"

"Dann muß sie ja ein Kind gewesen sein, als sie heiratete --"

"Als sie verheiratet wurde! Sie ist sozusagen an ihren Mann verkauft
worden -- mit sechzehn Jahren! Und dieser Jwanow ist siebenundfunzig --
ein reicher Kaufmann, der sich die junge Frau erstand, wie er sich etwa einen
kostbaren Teppich leistet. Sie war eben aus dem Institut gekommen. Ihre
Eltern sind beide tot. Nun sollte sie vorläufig bei ihren Verwandten leben. Ihr
Onkel hat irgendein Agenturgeschäft. Sie brauchten wohl Geld -- kurz sie haben
solange geredet, bis das Kind sich zu der Ehe bereit erklärte. Stell dir vor
-- Evi sollte jetzt heiraten . . . Wolff Joachim hatte seine Wohnung im


Sturm

Der Hinweis auf Evi hatte alle Bedenken niedergestimmt. Nichts war ihr
zuviel, was den Toten irgendwie ehren konnte. Sie hatte dafür gesorgt, daß
riesige Mengen Tannengrün aus dem Wald geholt wurden. Der ganze lange
Weg von Sternburg bis zur Kirche war damit bestreut. Und zum ersten Male
seit jener Schreckensnacht brach ein dankbares Lächeln durch die bleiche Trauer
ihrer Mienen, als die stattliche Reiterschar aufmarschierte.

Noch mehr als seine Tochter zeigte sich Herr von Wenkendorff selbst gerührt.
Er hatte von nichts geahnt und wollte gerade mit Baron Alexander von der
Borke in die geschlossene Kutsche steigen, als er die Junker bemerkte. Mit
Tränen im Auge hatte er ihnen gedankt. . .

Friedlich stieg der Rauch aus Sternburgs Schloten in die Winterluft. In
dieser sonnigen Mittagsstunde erinnerte nichts mehr an die wilde Szene, deren
Schauplatz der weite Hof vor wenigen Tagen gewesen war.

Edles und Edda empfanden die Ruhe wohltuend, die sich nach dem Auf¬
bruch des Trauerzuges im Herrenhaus eingestellt hatte. Sie waren auf Wunsch
des Vaters mit Evi dem Begräbnis ferngeblieben. Jetzt saßen sie endlich
wieder mal allein zu ungestörtem, traulichen Gespräch beieinander, von Lolja,
die heute hatte aufstehen dürfen, in der Pflege an Wolff Joachims Genesungs¬
lager abgelöst.

„Was hältst du nun eigentlich von diesem Mädchen aus der Fremde?"
fragte Edles.

„Ich glaube fast, ich hab' sie lieb. Sie ist von einer entzückenden, echt
weiblichen Schmiegsamkeit und dabei rein und gut wie ein Kind!"

„Ich bewundere dich, Edda!"

„Als ob ich was dazu getan hätte! Es ist ganz von selbst gekommen.
Ich sah sie leiden und aller Haß war verflogen. Auch weiß ich jetzt ihre Ge¬
schichte. Sie ist ganz anders, als damals die gehässige Zeitungsnotiz er¬
warten ließ."

„Erzähle!"

„Sie war von Anfang an unglücklich in ihrer Ehe. Wie alt schätzt du sie
übrigens?"

„Na, so wie wir — Mitte zwanzig!"

„Frau Jwanow ist neunzehn Jahre!"

„Dann muß sie ja ein Kind gewesen sein, als sie heiratete —"

„Als sie verheiratet wurde! Sie ist sozusagen an ihren Mann verkauft
worden — mit sechzehn Jahren! Und dieser Jwanow ist siebenundfunzig —
ein reicher Kaufmann, der sich die junge Frau erstand, wie er sich etwa einen
kostbaren Teppich leistet. Sie war eben aus dem Institut gekommen. Ihre
Eltern sind beide tot. Nun sollte sie vorläufig bei ihren Verwandten leben. Ihr
Onkel hat irgendein Agenturgeschäft. Sie brauchten wohl Geld — kurz sie haben
solange geredet, bis das Kind sich zu der Ehe bereit erklärte. Stell dir vor
— Evi sollte jetzt heiraten . . . Wolff Joachim hatte seine Wohnung im


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[0574] Sturm Der Hinweis auf Evi hatte alle Bedenken niedergestimmt. Nichts war ihr zuviel, was den Toten irgendwie ehren konnte. Sie hatte dafür gesorgt, daß riesige Mengen Tannengrün aus dem Wald geholt wurden. Der ganze lange Weg von Sternburg bis zur Kirche war damit bestreut. Und zum ersten Male seit jener Schreckensnacht brach ein dankbares Lächeln durch die bleiche Trauer ihrer Mienen, als die stattliche Reiterschar aufmarschierte. Noch mehr als seine Tochter zeigte sich Herr von Wenkendorff selbst gerührt. Er hatte von nichts geahnt und wollte gerade mit Baron Alexander von der Borke in die geschlossene Kutsche steigen, als er die Junker bemerkte. Mit Tränen im Auge hatte er ihnen gedankt. . . Friedlich stieg der Rauch aus Sternburgs Schloten in die Winterluft. In dieser sonnigen Mittagsstunde erinnerte nichts mehr an die wilde Szene, deren Schauplatz der weite Hof vor wenigen Tagen gewesen war. Edles und Edda empfanden die Ruhe wohltuend, die sich nach dem Auf¬ bruch des Trauerzuges im Herrenhaus eingestellt hatte. Sie waren auf Wunsch des Vaters mit Evi dem Begräbnis ferngeblieben. Jetzt saßen sie endlich wieder mal allein zu ungestörtem, traulichen Gespräch beieinander, von Lolja, die heute hatte aufstehen dürfen, in der Pflege an Wolff Joachims Genesungs¬ lager abgelöst. „Was hältst du nun eigentlich von diesem Mädchen aus der Fremde?" fragte Edles. „Ich glaube fast, ich hab' sie lieb. Sie ist von einer entzückenden, echt weiblichen Schmiegsamkeit und dabei rein und gut wie ein Kind!" „Ich bewundere dich, Edda!" „Als ob ich was dazu getan hätte! Es ist ganz von selbst gekommen. Ich sah sie leiden und aller Haß war verflogen. Auch weiß ich jetzt ihre Ge¬ schichte. Sie ist ganz anders, als damals die gehässige Zeitungsnotiz er¬ warten ließ." „Erzähle!" „Sie war von Anfang an unglücklich in ihrer Ehe. Wie alt schätzt du sie übrigens?" „Na, so wie wir — Mitte zwanzig!" „Frau Jwanow ist neunzehn Jahre!" „Dann muß sie ja ein Kind gewesen sein, als sie heiratete —" „Als sie verheiratet wurde! Sie ist sozusagen an ihren Mann verkauft worden — mit sechzehn Jahren! Und dieser Jwanow ist siebenundfunzig — ein reicher Kaufmann, der sich die junge Frau erstand, wie er sich etwa einen kostbaren Teppich leistet. Sie war eben aus dem Institut gekommen. Ihre Eltern sind beide tot. Nun sollte sie vorläufig bei ihren Verwandten leben. Ihr Onkel hat irgendein Agenturgeschäft. Sie brauchten wohl Geld — kurz sie haben solange geredet, bis das Kind sich zu der Ehe bereit erklärte. Stell dir vor — Evi sollte jetzt heiraten . . . Wolff Joachim hatte seine Wohnung im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/574>, abgerufen am 20.10.2024.