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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Mozart resurreetus

Technik gerade gut genug ist, unreifen Backfischen zum jammervollen Klavier¬
geklimper zu überlassen.

Anders spricht er heute zu uns. Nicht nur in jenen späten Werken, die
wie das Finale des "Don Juan", die zwei großen Klavierphantasien (Köchel
394 und 396) hinausgreifen über den äußeren Rahmen, in den er sich sonst
fügte: auch das, was wir in scheinbar so einfach und fröhlich Geschaffenen wie
dem "Figaro" sehen, ist nicht nur immer sonnige Landschaft: ist umfassender,
steigt tiefer hinab und reicht höher hinauf. singt wohl Idylle, spielt mit dem
pikanten Witz des Rokokosalons, reicht aber hinauf über eine ganze Welt bis
zur schauervollen Ahnung seines frühen Scheidens, bis zur antiken Schönheit,
die das Geschick des jung Vollendeten umstrahlt. Es gibt ein Werk, das der
gebildete Durchschnittsmusiker kaum kennt, obwohl es eine reife, in den Farben
des Lebenssommers strahlende Frucht ist, von der Mozart wenige Jahre vor
seinem Tode schrieb, es sei das Schönste, was er je gemacht: das Klavier¬
quintett Köchel 452. Ich führe es an wegen einer Figur im Larghetto, die sich
-- weniger ausgebildet freilich -- bei Mozart oft wiederholt. Eine jener
Stellen, an denen seine Musik aus einer anderen Welt als aus der des Heiteren
kommt. In der Registerarie des "Don Juan", im Part des Pagen im "Figaro",
an vielen Stellen der Sonaten findet sie sich wieder. Hier ist sie am weitesten
entwickelt: in Zweiunddreißigsteln singt die Solooboe: t es ä es f und wieder¬
holt sofort ä k in Sechzehnteln. Es liegt eine süße Wehmut in dieser Wieder¬
holung, ein Schatten von der Tragik dieses strahlenden Lebens, das in dem
beispiellosen Reichtum seines Schaffens, in diesem mühelosem Quellen und
Sprudeln unbesieglich schien und alterlos. Und gerade deswegen sich so früh
verzehrte als eins jener göttlichen Wunder, die diese Erde nicht zu dulden scheint.
Just dieselbe Tragik, zu der Mörikes Novelle (Mozart auf der Reise nach Prag)
die entzückende Fassung ist. Jene Wehmut, von der auch die Größten ergriffen
wurden, die aus diesen Partituren seine Welt erstehen ließen. "Ich habe es
nie verstanden, wie man bei Mozart immer nur von Heiterkeit und einer
gewissen Schönheit sprechen kann. Es gibt eine Wehmut in der Heiterkeit und
einen Schmerz in der Freude, der die Menschen zu Höhen führt, von denen
nur die Göttlichsten zu uns armen Menschen sprechen. Auf diesen Höhen hat
Mozart gestanden." Das sagte bei den Salzburger Festspielen vor sieben
Jahren einer der wenigen, die als Dirigent seinen Werken gewachsen waren:
Felix Model, dessen Erinnerung in der Überlieferung unserer Münchener Theater
länger nachhallt, als es sonst wiedergebenden Künstlern beschicken ist. Felix
Model, dessen Großtat nicht in seiner Karlsruher Zeit zu suchen ist, sondern in
der Tatsache, daß er vor allen anderen dem zum Licht verholfen hat, womit
ich diese Zeilen begann: dem neuerwachten Verständnis für Mozart.

Daß der Musiker Mozart erst heute zu uns so spricht, wie er es selbst
wollte, mag dieselben Gründe haben wie die Tatsache, daß wir den späten
Kammerwerken Beethovens erst seit kurzem näher kommen. Gründe, die der


Mozart resurreetus

Technik gerade gut genug ist, unreifen Backfischen zum jammervollen Klavier¬
geklimper zu überlassen.

Anders spricht er heute zu uns. Nicht nur in jenen späten Werken, die
wie das Finale des „Don Juan", die zwei großen Klavierphantasien (Köchel
394 und 396) hinausgreifen über den äußeren Rahmen, in den er sich sonst
fügte: auch das, was wir in scheinbar so einfach und fröhlich Geschaffenen wie
dem „Figaro" sehen, ist nicht nur immer sonnige Landschaft: ist umfassender,
steigt tiefer hinab und reicht höher hinauf. singt wohl Idylle, spielt mit dem
pikanten Witz des Rokokosalons, reicht aber hinauf über eine ganze Welt bis
zur schauervollen Ahnung seines frühen Scheidens, bis zur antiken Schönheit,
die das Geschick des jung Vollendeten umstrahlt. Es gibt ein Werk, das der
gebildete Durchschnittsmusiker kaum kennt, obwohl es eine reife, in den Farben
des Lebenssommers strahlende Frucht ist, von der Mozart wenige Jahre vor
seinem Tode schrieb, es sei das Schönste, was er je gemacht: das Klavier¬
quintett Köchel 452. Ich führe es an wegen einer Figur im Larghetto, die sich
— weniger ausgebildet freilich — bei Mozart oft wiederholt. Eine jener
Stellen, an denen seine Musik aus einer anderen Welt als aus der des Heiteren
kommt. In der Registerarie des „Don Juan", im Part des Pagen im „Figaro",
an vielen Stellen der Sonaten findet sie sich wieder. Hier ist sie am weitesten
entwickelt: in Zweiunddreißigsteln singt die Solooboe: t es ä es f und wieder¬
holt sofort ä k in Sechzehnteln. Es liegt eine süße Wehmut in dieser Wieder¬
holung, ein Schatten von der Tragik dieses strahlenden Lebens, das in dem
beispiellosen Reichtum seines Schaffens, in diesem mühelosem Quellen und
Sprudeln unbesieglich schien und alterlos. Und gerade deswegen sich so früh
verzehrte als eins jener göttlichen Wunder, die diese Erde nicht zu dulden scheint.
Just dieselbe Tragik, zu der Mörikes Novelle (Mozart auf der Reise nach Prag)
die entzückende Fassung ist. Jene Wehmut, von der auch die Größten ergriffen
wurden, die aus diesen Partituren seine Welt erstehen ließen. „Ich habe es
nie verstanden, wie man bei Mozart immer nur von Heiterkeit und einer
gewissen Schönheit sprechen kann. Es gibt eine Wehmut in der Heiterkeit und
einen Schmerz in der Freude, der die Menschen zu Höhen führt, von denen
nur die Göttlichsten zu uns armen Menschen sprechen. Auf diesen Höhen hat
Mozart gestanden." Das sagte bei den Salzburger Festspielen vor sieben
Jahren einer der wenigen, die als Dirigent seinen Werken gewachsen waren:
Felix Model, dessen Erinnerung in der Überlieferung unserer Münchener Theater
länger nachhallt, als es sonst wiedergebenden Künstlern beschicken ist. Felix
Model, dessen Großtat nicht in seiner Karlsruher Zeit zu suchen ist, sondern in
der Tatsache, daß er vor allen anderen dem zum Licht verholfen hat, womit
ich diese Zeilen begann: dem neuerwachten Verständnis für Mozart.

Daß der Musiker Mozart erst heute zu uns so spricht, wie er es selbst
wollte, mag dieselben Gründe haben wie die Tatsache, daß wir den späten
Kammerwerken Beethovens erst seit kurzem näher kommen. Gründe, die der


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[0530] Mozart resurreetus Technik gerade gut genug ist, unreifen Backfischen zum jammervollen Klavier¬ geklimper zu überlassen. Anders spricht er heute zu uns. Nicht nur in jenen späten Werken, die wie das Finale des „Don Juan", die zwei großen Klavierphantasien (Köchel 394 und 396) hinausgreifen über den äußeren Rahmen, in den er sich sonst fügte: auch das, was wir in scheinbar so einfach und fröhlich Geschaffenen wie dem „Figaro" sehen, ist nicht nur immer sonnige Landschaft: ist umfassender, steigt tiefer hinab und reicht höher hinauf. singt wohl Idylle, spielt mit dem pikanten Witz des Rokokosalons, reicht aber hinauf über eine ganze Welt bis zur schauervollen Ahnung seines frühen Scheidens, bis zur antiken Schönheit, die das Geschick des jung Vollendeten umstrahlt. Es gibt ein Werk, das der gebildete Durchschnittsmusiker kaum kennt, obwohl es eine reife, in den Farben des Lebenssommers strahlende Frucht ist, von der Mozart wenige Jahre vor seinem Tode schrieb, es sei das Schönste, was er je gemacht: das Klavier¬ quintett Köchel 452. Ich führe es an wegen einer Figur im Larghetto, die sich — weniger ausgebildet freilich — bei Mozart oft wiederholt. Eine jener Stellen, an denen seine Musik aus einer anderen Welt als aus der des Heiteren kommt. In der Registerarie des „Don Juan", im Part des Pagen im „Figaro", an vielen Stellen der Sonaten findet sie sich wieder. Hier ist sie am weitesten entwickelt: in Zweiunddreißigsteln singt die Solooboe: t es ä es f und wieder¬ holt sofort ä k in Sechzehnteln. Es liegt eine süße Wehmut in dieser Wieder¬ holung, ein Schatten von der Tragik dieses strahlenden Lebens, das in dem beispiellosen Reichtum seines Schaffens, in diesem mühelosem Quellen und Sprudeln unbesieglich schien und alterlos. Und gerade deswegen sich so früh verzehrte als eins jener göttlichen Wunder, die diese Erde nicht zu dulden scheint. Just dieselbe Tragik, zu der Mörikes Novelle (Mozart auf der Reise nach Prag) die entzückende Fassung ist. Jene Wehmut, von der auch die Größten ergriffen wurden, die aus diesen Partituren seine Welt erstehen ließen. „Ich habe es nie verstanden, wie man bei Mozart immer nur von Heiterkeit und einer gewissen Schönheit sprechen kann. Es gibt eine Wehmut in der Heiterkeit und einen Schmerz in der Freude, der die Menschen zu Höhen führt, von denen nur die Göttlichsten zu uns armen Menschen sprechen. Auf diesen Höhen hat Mozart gestanden." Das sagte bei den Salzburger Festspielen vor sieben Jahren einer der wenigen, die als Dirigent seinen Werken gewachsen waren: Felix Model, dessen Erinnerung in der Überlieferung unserer Münchener Theater länger nachhallt, als es sonst wiedergebenden Künstlern beschicken ist. Felix Model, dessen Großtat nicht in seiner Karlsruher Zeit zu suchen ist, sondern in der Tatsache, daß er vor allen anderen dem zum Licht verholfen hat, womit ich diese Zeilen begann: dem neuerwachten Verständnis für Mozart. Daß der Musiker Mozart erst heute zu uns so spricht, wie er es selbst wollte, mag dieselben Gründe haben wie die Tatsache, daß wir den späten Kammerwerken Beethovens erst seit kurzem näher kommen. Gründe, die der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/530>, abgerufen am 28.12.2024.