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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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5turn
Roman
Max Ludwig- von
(Fünfzehnte Fortsetzung)

So rasch ihn seine alten Beine trugen, rannte Maddis durch die Nacht.
"Zwei Stunden fahle ich die Chaussee lang" murmelte er mit bebenden Lippen.
"Über die Felder schneide ich ab. Wenn ichs nur schaffe! Wenn ichs nur
schaffe! Mein Gott, auf den Armen hab ich ihn getragen, den Herrn Paul.
Nun werden sie ihn erschießen. Nichts hat er ihnen getan, gut ist er -- seelen¬
gut. Und der Herr Baron auch. Hat telegraphiert: Gebt ihnen die zwanzig
Kopeken, Jetzt kommen sie und reißen ihn aus dem Wagen, die Satans-
brüoer..."

Er lief den langgestreckten Ackr hinab, auf dem schon der Winterroggen
grünte. Es war Nacht geworden. Auf der Höhe blieb er stehen und holte
Atem. Da trug ihm der Wind einen brandigen Geruch zu. Er wandte sich
um und sah hinter dem Wald, den er eben durchquert hatte, eine Feuergarbe
gen Himmel steigen.

"Das ist Borküll!" jammerte er und fiel in die Knie. Er faltete die
Hände und schickte ein Stoßgebet zum Himmel.

Dann sprang er auf und lief noch eiliger das Feld hinab bis zum Bach.
Ohne langes Besinnen watete er durch das immer noch ziemlich hochstehende
Wasser.

Er kam an dem Schober vorbei, wo in der Nacht vorher der rote Reiter
gestorben war, und endlich sah er Sternburgs breit lagernde Gehöfte vor sich.
Hinter ihnen färbte gleichfalls ein Feuerschein den Himmel: "Die ganze Welt
brennt. Recht so! Wenn Borküll hin ist -- soll alles brennen!"

So sprach der Alte im Rennen, und die Tränen rollten ihm über den
Bart. Aber Sternburg stand fest und unberührt. Das Hoftor war noch nicht
geschlossen, und ans den Ställen vernahm Maddis die friedlichen Geräusche
eines gewöhnlichen Werktages. Er dachte dabei an Borküll, und das Herz tat
ihm weh.

Fast zusammenbrechend vor Erschöpfung langte er im Herrenhaus an. Der
Flur war dunkel, doch aus der angelehnten Saaltür strahlte Kerzenschein. Eine
leise Ruhe herrschte und verschloß auch Maddis den Mund.


Grenzboten III 1913 30


5turn
Roman
Max Ludwig- von
(Fünfzehnte Fortsetzung)

So rasch ihn seine alten Beine trugen, rannte Maddis durch die Nacht.
„Zwei Stunden fahle ich die Chaussee lang" murmelte er mit bebenden Lippen.
„Über die Felder schneide ich ab. Wenn ichs nur schaffe! Wenn ichs nur
schaffe! Mein Gott, auf den Armen hab ich ihn getragen, den Herrn Paul.
Nun werden sie ihn erschießen. Nichts hat er ihnen getan, gut ist er — seelen¬
gut. Und der Herr Baron auch. Hat telegraphiert: Gebt ihnen die zwanzig
Kopeken, Jetzt kommen sie und reißen ihn aus dem Wagen, die Satans-
brüoer..."

Er lief den langgestreckten Ackr hinab, auf dem schon der Winterroggen
grünte. Es war Nacht geworden. Auf der Höhe blieb er stehen und holte
Atem. Da trug ihm der Wind einen brandigen Geruch zu. Er wandte sich
um und sah hinter dem Wald, den er eben durchquert hatte, eine Feuergarbe
gen Himmel steigen.

„Das ist Borküll!" jammerte er und fiel in die Knie. Er faltete die
Hände und schickte ein Stoßgebet zum Himmel.

Dann sprang er auf und lief noch eiliger das Feld hinab bis zum Bach.
Ohne langes Besinnen watete er durch das immer noch ziemlich hochstehende
Wasser.

Er kam an dem Schober vorbei, wo in der Nacht vorher der rote Reiter
gestorben war, und endlich sah er Sternburgs breit lagernde Gehöfte vor sich.
Hinter ihnen färbte gleichfalls ein Feuerschein den Himmel: „Die ganze Welt
brennt. Recht so! Wenn Borküll hin ist — soll alles brennen!"

So sprach der Alte im Rennen, und die Tränen rollten ihm über den
Bart. Aber Sternburg stand fest und unberührt. Das Hoftor war noch nicht
geschlossen, und ans den Ställen vernahm Maddis die friedlichen Geräusche
eines gewöhnlichen Werktages. Er dachte dabei an Borküll, und das Herz tat
ihm weh.

Fast zusammenbrechend vor Erschöpfung langte er im Herrenhaus an. Der
Flur war dunkel, doch aus der angelehnten Saaltür strahlte Kerzenschein. Eine
leise Ruhe herrschte und verschloß auch Maddis den Mund.


Grenzboten III 1913 30
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[0477] [Abbildung] 5turn Roman Max Ludwig- von (Fünfzehnte Fortsetzung) So rasch ihn seine alten Beine trugen, rannte Maddis durch die Nacht. „Zwei Stunden fahle ich die Chaussee lang" murmelte er mit bebenden Lippen. „Über die Felder schneide ich ab. Wenn ichs nur schaffe! Wenn ichs nur schaffe! Mein Gott, auf den Armen hab ich ihn getragen, den Herrn Paul. Nun werden sie ihn erschießen. Nichts hat er ihnen getan, gut ist er — seelen¬ gut. Und der Herr Baron auch. Hat telegraphiert: Gebt ihnen die zwanzig Kopeken, Jetzt kommen sie und reißen ihn aus dem Wagen, die Satans- brüoer..." Er lief den langgestreckten Ackr hinab, auf dem schon der Winterroggen grünte. Es war Nacht geworden. Auf der Höhe blieb er stehen und holte Atem. Da trug ihm der Wind einen brandigen Geruch zu. Er wandte sich um und sah hinter dem Wald, den er eben durchquert hatte, eine Feuergarbe gen Himmel steigen. „Das ist Borküll!" jammerte er und fiel in die Knie. Er faltete die Hände und schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Dann sprang er auf und lief noch eiliger das Feld hinab bis zum Bach. Ohne langes Besinnen watete er durch das immer noch ziemlich hochstehende Wasser. Er kam an dem Schober vorbei, wo in der Nacht vorher der rote Reiter gestorben war, und endlich sah er Sternburgs breit lagernde Gehöfte vor sich. Hinter ihnen färbte gleichfalls ein Feuerschein den Himmel: „Die ganze Welt brennt. Recht so! Wenn Borküll hin ist — soll alles brennen!" So sprach der Alte im Rennen, und die Tränen rollten ihm über den Bart. Aber Sternburg stand fest und unberührt. Das Hoftor war noch nicht geschlossen, und ans den Ställen vernahm Maddis die friedlichen Geräusche eines gewöhnlichen Werktages. Er dachte dabei an Borküll, und das Herz tat ihm weh. Fast zusammenbrechend vor Erschöpfung langte er im Herrenhaus an. Der Flur war dunkel, doch aus der angelehnten Saaltür strahlte Kerzenschein. Eine leise Ruhe herrschte und verschloß auch Maddis den Mund. Grenzboten III 1913 30

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/477>, abgerufen am 19.10.2024.