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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Der Prinz von Ithaka als Erzieher

Ein Wetterstrahl traf den Roman und seinen Verfasser. Die königliche
Druckerlaubnis wurde zurückgezogen, das Buch verboten. Fenelon, der beteuerte,
daß das Buch lediglich für seinen ehemaligen Zögling geschrieben und nur durch
die Indiskretion eines Kopisten veröffentlicht worden sei, wurde vom Könige
aus der Liste des Hofpersonals gestrichen. Aber alsbald erschien im Haag ein
Nachdruck. Er fand, wie man sich denken kann, jetzt erst recht gewaltige Ver¬
breitung. Allerorten tauchten neue Nachdrücke auf, in kaum einem Jahre
mehr als zwanzig.

Liest man heute das Buch, so berühren uns die kleinen Spitzen, die es
gegen diese oder jene Persönlichkeit aus der Umgebung Ludwig des Vierzehnten
enthalten mag, nur noch wenig. Aber wie rin Flammenzeichen treten die Sätze
hervor, in denen Fenelon die Gesamtpolitik Ludwigs, sowohl die äußere wie
die innere, verurteilt. "Ein Eroberer ist ein Mann, den die dem Menschen¬
geschlecht zürnenden Götter in ihrer Wut der Erde gegeben haben. Er stürzt
seine eigene siegreiche Nation fast eben so sehr ins Elend, wie die von ihm
Besiegten . . . Die Sieger selbst geraten während dieser verworrenen Zeit in einen
Zustand großer Demoralisation ... Ein König, der das Blut so vieler Menschen
vergießt und soviel Elend herbeiführt, um einigen Ruhm zu erwerben oder
die Grenzen seines Reiches zu erweitern, ist des Ruhmes unwürdig, den er
sucht; er verdient sogar das einzubüßen, was er schon besitzt."

Pazifistische Anschauungen werden mit einer Leidenschaft vorgetragen, die
sich allen Gegengründen verschließt. "Der Krieg ist das größte Übel, durch
die die Götter die Menschen heimsuchen ... Er ist zuweilen notwendig,
das ist freilich wahr; aber es ist eine Schande, daß es so ist . . . Das
Blut eines Volkes darf nur vergossen werden, um es vor dem Untergange
zu retten*)".

Auch die innere Politik trifft sein Tadel. Er geißelt den Luxus des Hof¬
lebens, die kostspieligen Prachtbauten, den einseitigen Merkantilismus, der die
Landwirtschaft vernachlässige. Vor allem aber stellt er dem Herrscherideal
Ludwigs ein anderes gegenüber; nicht das Volk sei des Fürsten, sondern der
Fürst des Volkes wegen da. Mit hinreißender Wärme versieht er den Grund¬
satz, daß die Wohlfahrt des Staates das höchste Gesetz auch für den Fürsten
sein müsse. -- Man begreift die Empörung Ludwig des Vierzehnten. Unter
seinen eigenen Augen, am Vorabend des europäischen Krieges, den er um der
spanischen Erbfolge willen zu entzünden im Begriffe stand, war dies Buch ent¬
standen, das seine ganze Politik unbarmherziger Kritik unterzog.

Aber mit um so größerem Interesse las man das merkwürdige Buch ringsum
an allen Höfen Europas. Im Park von Lietzenburg las es die geistvollste
Fürstin der Zeit. Kurfürstin Sophie Charlotte von Brandenburg. Sie kannte



S. 186 u. a. Ich zitiere noch der am leichtesten zugänglichen Rückertschen Über¬
setzung. Leipzig. Reclam.
Der Prinz von Ithaka als Erzieher

Ein Wetterstrahl traf den Roman und seinen Verfasser. Die königliche
Druckerlaubnis wurde zurückgezogen, das Buch verboten. Fenelon, der beteuerte,
daß das Buch lediglich für seinen ehemaligen Zögling geschrieben und nur durch
die Indiskretion eines Kopisten veröffentlicht worden sei, wurde vom Könige
aus der Liste des Hofpersonals gestrichen. Aber alsbald erschien im Haag ein
Nachdruck. Er fand, wie man sich denken kann, jetzt erst recht gewaltige Ver¬
breitung. Allerorten tauchten neue Nachdrücke auf, in kaum einem Jahre
mehr als zwanzig.

Liest man heute das Buch, so berühren uns die kleinen Spitzen, die es
gegen diese oder jene Persönlichkeit aus der Umgebung Ludwig des Vierzehnten
enthalten mag, nur noch wenig. Aber wie rin Flammenzeichen treten die Sätze
hervor, in denen Fenelon die Gesamtpolitik Ludwigs, sowohl die äußere wie
die innere, verurteilt. „Ein Eroberer ist ein Mann, den die dem Menschen¬
geschlecht zürnenden Götter in ihrer Wut der Erde gegeben haben. Er stürzt
seine eigene siegreiche Nation fast eben so sehr ins Elend, wie die von ihm
Besiegten . . . Die Sieger selbst geraten während dieser verworrenen Zeit in einen
Zustand großer Demoralisation ... Ein König, der das Blut so vieler Menschen
vergießt und soviel Elend herbeiführt, um einigen Ruhm zu erwerben oder
die Grenzen seines Reiches zu erweitern, ist des Ruhmes unwürdig, den er
sucht; er verdient sogar das einzubüßen, was er schon besitzt."

Pazifistische Anschauungen werden mit einer Leidenschaft vorgetragen, die
sich allen Gegengründen verschließt. „Der Krieg ist das größte Übel, durch
die die Götter die Menschen heimsuchen ... Er ist zuweilen notwendig,
das ist freilich wahr; aber es ist eine Schande, daß es so ist . . . Das
Blut eines Volkes darf nur vergossen werden, um es vor dem Untergange
zu retten*)".

Auch die innere Politik trifft sein Tadel. Er geißelt den Luxus des Hof¬
lebens, die kostspieligen Prachtbauten, den einseitigen Merkantilismus, der die
Landwirtschaft vernachlässige. Vor allem aber stellt er dem Herrscherideal
Ludwigs ein anderes gegenüber; nicht das Volk sei des Fürsten, sondern der
Fürst des Volkes wegen da. Mit hinreißender Wärme versieht er den Grund¬
satz, daß die Wohlfahrt des Staates das höchste Gesetz auch für den Fürsten
sein müsse. — Man begreift die Empörung Ludwig des Vierzehnten. Unter
seinen eigenen Augen, am Vorabend des europäischen Krieges, den er um der
spanischen Erbfolge willen zu entzünden im Begriffe stand, war dies Buch ent¬
standen, das seine ganze Politik unbarmherziger Kritik unterzog.

Aber mit um so größerem Interesse las man das merkwürdige Buch ringsum
an allen Höfen Europas. Im Park von Lietzenburg las es die geistvollste
Fürstin der Zeit. Kurfürstin Sophie Charlotte von Brandenburg. Sie kannte



S. 186 u. a. Ich zitiere noch der am leichtesten zugänglichen Rückertschen Über¬
setzung. Leipzig. Reclam.
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[0465] Der Prinz von Ithaka als Erzieher Ein Wetterstrahl traf den Roman und seinen Verfasser. Die königliche Druckerlaubnis wurde zurückgezogen, das Buch verboten. Fenelon, der beteuerte, daß das Buch lediglich für seinen ehemaligen Zögling geschrieben und nur durch die Indiskretion eines Kopisten veröffentlicht worden sei, wurde vom Könige aus der Liste des Hofpersonals gestrichen. Aber alsbald erschien im Haag ein Nachdruck. Er fand, wie man sich denken kann, jetzt erst recht gewaltige Ver¬ breitung. Allerorten tauchten neue Nachdrücke auf, in kaum einem Jahre mehr als zwanzig. Liest man heute das Buch, so berühren uns die kleinen Spitzen, die es gegen diese oder jene Persönlichkeit aus der Umgebung Ludwig des Vierzehnten enthalten mag, nur noch wenig. Aber wie rin Flammenzeichen treten die Sätze hervor, in denen Fenelon die Gesamtpolitik Ludwigs, sowohl die äußere wie die innere, verurteilt. „Ein Eroberer ist ein Mann, den die dem Menschen¬ geschlecht zürnenden Götter in ihrer Wut der Erde gegeben haben. Er stürzt seine eigene siegreiche Nation fast eben so sehr ins Elend, wie die von ihm Besiegten . . . Die Sieger selbst geraten während dieser verworrenen Zeit in einen Zustand großer Demoralisation ... Ein König, der das Blut so vieler Menschen vergießt und soviel Elend herbeiführt, um einigen Ruhm zu erwerben oder die Grenzen seines Reiches zu erweitern, ist des Ruhmes unwürdig, den er sucht; er verdient sogar das einzubüßen, was er schon besitzt." Pazifistische Anschauungen werden mit einer Leidenschaft vorgetragen, die sich allen Gegengründen verschließt. „Der Krieg ist das größte Übel, durch die die Götter die Menschen heimsuchen ... Er ist zuweilen notwendig, das ist freilich wahr; aber es ist eine Schande, daß es so ist . . . Das Blut eines Volkes darf nur vergossen werden, um es vor dem Untergange zu retten*)". Auch die innere Politik trifft sein Tadel. Er geißelt den Luxus des Hof¬ lebens, die kostspieligen Prachtbauten, den einseitigen Merkantilismus, der die Landwirtschaft vernachlässige. Vor allem aber stellt er dem Herrscherideal Ludwigs ein anderes gegenüber; nicht das Volk sei des Fürsten, sondern der Fürst des Volkes wegen da. Mit hinreißender Wärme versieht er den Grund¬ satz, daß die Wohlfahrt des Staates das höchste Gesetz auch für den Fürsten sein müsse. — Man begreift die Empörung Ludwig des Vierzehnten. Unter seinen eigenen Augen, am Vorabend des europäischen Krieges, den er um der spanischen Erbfolge willen zu entzünden im Begriffe stand, war dies Buch ent¬ standen, das seine ganze Politik unbarmherziger Kritik unterzog. Aber mit um so größerem Interesse las man das merkwürdige Buch ringsum an allen Höfen Europas. Im Park von Lietzenburg las es die geistvollste Fürstin der Zeit. Kurfürstin Sophie Charlotte von Brandenburg. Sie kannte S. 186 u. a. Ich zitiere noch der am leichtesten zugänglichen Rückertschen Über¬ setzung. Leipzig. Reclam.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/465>, abgerufen am 28.12.2024.