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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Mit und ohne Waffen

Nichts liegt also dem amtlichen Rußland, das diese Zustände ihrem vollen
Werte nach einschätzt, fürs erste ferner als ein Krieg. Und diese Einsicht hat
die Steuerung des russischen Staatsschiffes im Verlaufe der letzten Jahre mit
genügender Klarheit zum Ausdruck gebracht. In dieser Einsicht ist von seiten
der Diplomatie konsequent gehandelt worden, der Weg eines sogenannten "ab¬
gekürzten" Verfahrens stand der Leitung der russischen Politik überhaupt nicht offen.




Viel Zeit, aber auch viel Blutvergießen ist mit in Kauf genommen worden,
aber auf Kosten anderer; das, worauf es ankam, konnte erreicht werden: das
den Meerengen viel zu nahe gerückte Bulgarien wurde geplündert,
und zwar von anderen, freilich unter Mitbeteiligung und Kontrolle von
Leuten, für deren Zuverlässigkeit man frühzeitig Sorge getragen hatte.

Rumänien übernahm diese Rolle und konnte den abgekürzten Weg betreten.
Aller Welt ist wieder einmal in eklatantester Weise vorgeführt worden, wie
prompt die politischen Geschäfte erledigt werden, wenn alles für den Schlußakt
vorbereitet ist. und wenn a tempo mit der Äußerung beliebiger Wünsche die
längst schlagfertige Heeresmacht zum Aufbruch bläst: Rumänien schnitt den
Bulgaren die Hauptverkehrsadern ab, machte seine Forderungen bezüglich
Silistrias und der Kutzowallachen perfekt (was wegen der mittlerweile veränderten
bulgarischen Schicksale wichtig war), verlangte die Schleifung der Festungen Schumla
und Rnstschuck, berief die Vertretung der Balkanvölker nach Bukarest, und be¬
sorgte auf wenigen Konferenzen das Gleichgewicht auf dem Balkan in einer nie
dagewesenen Exaktheit. Das alles war das Werk von zehn Tagen; vollendet
ohne jedes Blutvergießen.

Auch Deutschland hat, entgegen seiner sonstigen Gepflogenheit, die gegebene
Gelegenheit benutzt, um seine Meinung in abgekürzter Form vorzubringen.
Freilich wird mancherseits bereits daran gezweifelt, daß diese Meinungsäußerung,
die den Griechen Kawala zusprach und sich gegen eine Revision der Bukarester
Beschlüsse erklärte, tatsächlich aufrecht erhalten werden wird. Wenn aber letzteres
dennoch vorauszusehen ist, hat Deutschland sich durch die entschiedene Stellung¬
nahme für die griechischen Interessen pränumerando Aktionsfreiheit geschaffen,
und zwar für die Eventualität einer kommenden Entscheidung für Italien gegen
Griechenland.

Es ist mehr als wahrscheinlich, daß an Deutschland das Ansinnen gestellt
werden wird, Italien in der Durchführung des bereits geäußerten Vorhabens
zu unterstützen: die Frage der cigäischen Inseln jeglichem Dreinreden der euro¬
päischen Mächte zu entziehen. Weiter aber würde ein solcher dem Bundes¬
genossen geleisteter, schwerwiegender Dienst wesentlich dazu beitragen. Deutschland
in Sachen des künftigen Albanien eine große Stimme zu sichern; einen Einfluß,
der berufen sein dürfte, alle eventuell zwischen den beiden Bundesgenossen
Österreich und Italien sich bildenden Reibungsflächen zu verkleinern.


Grenzboten III 1913 29
Mit und ohne Waffen

Nichts liegt also dem amtlichen Rußland, das diese Zustände ihrem vollen
Werte nach einschätzt, fürs erste ferner als ein Krieg. Und diese Einsicht hat
die Steuerung des russischen Staatsschiffes im Verlaufe der letzten Jahre mit
genügender Klarheit zum Ausdruck gebracht. In dieser Einsicht ist von seiten
der Diplomatie konsequent gehandelt worden, der Weg eines sogenannten „ab¬
gekürzten" Verfahrens stand der Leitung der russischen Politik überhaupt nicht offen.




Viel Zeit, aber auch viel Blutvergießen ist mit in Kauf genommen worden,
aber auf Kosten anderer; das, worauf es ankam, konnte erreicht werden: das
den Meerengen viel zu nahe gerückte Bulgarien wurde geplündert,
und zwar von anderen, freilich unter Mitbeteiligung und Kontrolle von
Leuten, für deren Zuverlässigkeit man frühzeitig Sorge getragen hatte.

Rumänien übernahm diese Rolle und konnte den abgekürzten Weg betreten.
Aller Welt ist wieder einmal in eklatantester Weise vorgeführt worden, wie
prompt die politischen Geschäfte erledigt werden, wenn alles für den Schlußakt
vorbereitet ist. und wenn a tempo mit der Äußerung beliebiger Wünsche die
längst schlagfertige Heeresmacht zum Aufbruch bläst: Rumänien schnitt den
Bulgaren die Hauptverkehrsadern ab, machte seine Forderungen bezüglich
Silistrias und der Kutzowallachen perfekt (was wegen der mittlerweile veränderten
bulgarischen Schicksale wichtig war), verlangte die Schleifung der Festungen Schumla
und Rnstschuck, berief die Vertretung der Balkanvölker nach Bukarest, und be¬
sorgte auf wenigen Konferenzen das Gleichgewicht auf dem Balkan in einer nie
dagewesenen Exaktheit. Das alles war das Werk von zehn Tagen; vollendet
ohne jedes Blutvergießen.

Auch Deutschland hat, entgegen seiner sonstigen Gepflogenheit, die gegebene
Gelegenheit benutzt, um seine Meinung in abgekürzter Form vorzubringen.
Freilich wird mancherseits bereits daran gezweifelt, daß diese Meinungsäußerung,
die den Griechen Kawala zusprach und sich gegen eine Revision der Bukarester
Beschlüsse erklärte, tatsächlich aufrecht erhalten werden wird. Wenn aber letzteres
dennoch vorauszusehen ist, hat Deutschland sich durch die entschiedene Stellung¬
nahme für die griechischen Interessen pränumerando Aktionsfreiheit geschaffen,
und zwar für die Eventualität einer kommenden Entscheidung für Italien gegen
Griechenland.

Es ist mehr als wahrscheinlich, daß an Deutschland das Ansinnen gestellt
werden wird, Italien in der Durchführung des bereits geäußerten Vorhabens
zu unterstützen: die Frage der cigäischen Inseln jeglichem Dreinreden der euro¬
päischen Mächte zu entziehen. Weiter aber würde ein solcher dem Bundes¬
genossen geleisteter, schwerwiegender Dienst wesentlich dazu beitragen. Deutschland
in Sachen des künftigen Albanien eine große Stimme zu sichern; einen Einfluß,
der berufen sein dürfte, alle eventuell zwischen den beiden Bundesgenossen
Österreich und Italien sich bildenden Reibungsflächen zu verkleinern.


Grenzboten III 1913 29
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[0461] Mit und ohne Waffen Nichts liegt also dem amtlichen Rußland, das diese Zustände ihrem vollen Werte nach einschätzt, fürs erste ferner als ein Krieg. Und diese Einsicht hat die Steuerung des russischen Staatsschiffes im Verlaufe der letzten Jahre mit genügender Klarheit zum Ausdruck gebracht. In dieser Einsicht ist von seiten der Diplomatie konsequent gehandelt worden, der Weg eines sogenannten „ab¬ gekürzten" Verfahrens stand der Leitung der russischen Politik überhaupt nicht offen. Viel Zeit, aber auch viel Blutvergießen ist mit in Kauf genommen worden, aber auf Kosten anderer; das, worauf es ankam, konnte erreicht werden: das den Meerengen viel zu nahe gerückte Bulgarien wurde geplündert, und zwar von anderen, freilich unter Mitbeteiligung und Kontrolle von Leuten, für deren Zuverlässigkeit man frühzeitig Sorge getragen hatte. Rumänien übernahm diese Rolle und konnte den abgekürzten Weg betreten. Aller Welt ist wieder einmal in eklatantester Weise vorgeführt worden, wie prompt die politischen Geschäfte erledigt werden, wenn alles für den Schlußakt vorbereitet ist. und wenn a tempo mit der Äußerung beliebiger Wünsche die längst schlagfertige Heeresmacht zum Aufbruch bläst: Rumänien schnitt den Bulgaren die Hauptverkehrsadern ab, machte seine Forderungen bezüglich Silistrias und der Kutzowallachen perfekt (was wegen der mittlerweile veränderten bulgarischen Schicksale wichtig war), verlangte die Schleifung der Festungen Schumla und Rnstschuck, berief die Vertretung der Balkanvölker nach Bukarest, und be¬ sorgte auf wenigen Konferenzen das Gleichgewicht auf dem Balkan in einer nie dagewesenen Exaktheit. Das alles war das Werk von zehn Tagen; vollendet ohne jedes Blutvergießen. Auch Deutschland hat, entgegen seiner sonstigen Gepflogenheit, die gegebene Gelegenheit benutzt, um seine Meinung in abgekürzter Form vorzubringen. Freilich wird mancherseits bereits daran gezweifelt, daß diese Meinungsäußerung, die den Griechen Kawala zusprach und sich gegen eine Revision der Bukarester Beschlüsse erklärte, tatsächlich aufrecht erhalten werden wird. Wenn aber letzteres dennoch vorauszusehen ist, hat Deutschland sich durch die entschiedene Stellung¬ nahme für die griechischen Interessen pränumerando Aktionsfreiheit geschaffen, und zwar für die Eventualität einer kommenden Entscheidung für Italien gegen Griechenland. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß an Deutschland das Ansinnen gestellt werden wird, Italien in der Durchführung des bereits geäußerten Vorhabens zu unterstützen: die Frage der cigäischen Inseln jeglichem Dreinreden der euro¬ päischen Mächte zu entziehen. Weiter aber würde ein solcher dem Bundes¬ genossen geleisteter, schwerwiegender Dienst wesentlich dazu beitragen. Deutschland in Sachen des künftigen Albanien eine große Stimme zu sichern; einen Einfluß, der berufen sein dürfte, alle eventuell zwischen den beiden Bundesgenossen Österreich und Italien sich bildenden Reibungsflächen zu verkleinern. Grenzboten III 1913 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/461>, abgerufen am 21.10.2024.