Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Freie Advokatur und numerus clsusus

Hilfsarbeiten sein Brot verdienen. Er kann sein Arbeitsfeld in wirtschaftlichen,
industriellen oder politischen Verbänden suchen.

Es stehen aber andere Dinge auf dem Spiele. Die Eigenart der Rechts¬
anwaltschaft und ihre Bedeutung für die gesamte Rechtspflege bringt es mit
sich, daß ein allzu hitziger Daseinskampf nicht nur die Anwälte selbst, sondern
vor allem auch das Publikum und die Qualität der Justiz schädigt. Ein Schlag¬
wort, und zwar ein wissenschaftliches Schlagwort muß hier zunächst bekämpft
werden. Es ist nicht allgemein richtig, daß der freie und ungehemmte Kampf
ums Dasein ohne weiteres die Auslese des Tüchtigsten bewirkt. Oder vielmehr,
es kommt sehr darauf an, was man unter dem Tüchtigsten versteht. Nur wenn
es sich um rein gegenständliches Material handelt, hat der Satz in gewissem
Sinne seine Richtigkeit. Bei der Herstellung und dem Vertrieb von Ge- und
Verbrauchsgegenständen wird grundsätzlich in freier Konkurrenz schließlich das
Beste siegen. In welcher Weise, mit welchen Mitteln der überragende Erfolg
erzielt worden ist, bedeutet wenig im Vergleiche zu der Qualität des Objektes,
das als Ergebnis des freien Spiels der Kräfte den Sieg davonträgt. Wenn
trotzdem auch in Handel und Industrie der unlautere Wettbewerb bekämpft und
eingeschränkt wird, so ist das nichts weiter als die Anerkennung der Tatsache,
daß auch hier ungeachtet der schließlich erzielten Auslese des Besten noch andere
Werte zu schützen sind, seien es nun Werte der öffentlichen Moral oder die
schutzbedürftiger Interessen des -- wirtschaftlich -- Schwächeren.

Das Recht aber ist keine Ware wie die übrigen. In je höherem Maße
der Gegenstand der Konkurrenz auf geistigem Gebiete liegt, um so weniger wird
durch den freien Wettbewerb das "Beste" hervorgebracht werden. Es wird
vielleicht auch hier der Stärkere siegen. Das besagt aber nichts für die Qualität
des Gebotenen. Derjenige Rechtsanwalt, der rücksichtslos seinen Vorteil wahr¬
nimmt, der mit allen Mitteln den Gegner -- wirtschaftlich und prozessual ver¬
standen -- bekämpft, wird darum nicht die rechtlich qualitativ beste Arbeit
leisten. Es liegt das eben an der eigenartigen Doppelnatur des Anwaltsberufes.
Der Rechtsanwalt soll einmal -- wirtschaftlich -- seiner Partei die besten Dienste
leisten, auf der anderen Seite aber soll er -- rechtlich -- der Wahrheit und
dem Rechte dienen. Beides durchkreuzt sich oft gegenseitig. Die ungehinderte
Konkurrenz wird im günstigsten Falle eine Auslese in ersterer Hinsicht
bewirken: es werden diejenigen Anwälte übrig bleiben, die ihren Parteien
die besten Dienste leisten. Es werden aber vielleicht gerade diejenigen An¬
wälte als "untauglich" ausgemerzt werden, die dem Rechte und der Wahrheit
dienen und die eine hohe rechtlich - sittliche Auffassung von den Pflichten der
Advokatur haben.

Dazu kommt aber noch ein weiteres. Der Anwaltsstand erfordert und
genießt das höchste Vertrauen im Publikum und bei der Richterschaft. Es ist
nötig, daß er dauernd wirtschaftlich und sozial auf einer Höhe bleibt, die ein
solches Vertrauen rechtfertigt. Ein Anwalt, der durch rücksichtslose Gebarung


Freie Advokatur und numerus clsusus

Hilfsarbeiten sein Brot verdienen. Er kann sein Arbeitsfeld in wirtschaftlichen,
industriellen oder politischen Verbänden suchen.

Es stehen aber andere Dinge auf dem Spiele. Die Eigenart der Rechts¬
anwaltschaft und ihre Bedeutung für die gesamte Rechtspflege bringt es mit
sich, daß ein allzu hitziger Daseinskampf nicht nur die Anwälte selbst, sondern
vor allem auch das Publikum und die Qualität der Justiz schädigt. Ein Schlag¬
wort, und zwar ein wissenschaftliches Schlagwort muß hier zunächst bekämpft
werden. Es ist nicht allgemein richtig, daß der freie und ungehemmte Kampf
ums Dasein ohne weiteres die Auslese des Tüchtigsten bewirkt. Oder vielmehr,
es kommt sehr darauf an, was man unter dem Tüchtigsten versteht. Nur wenn
es sich um rein gegenständliches Material handelt, hat der Satz in gewissem
Sinne seine Richtigkeit. Bei der Herstellung und dem Vertrieb von Ge- und
Verbrauchsgegenständen wird grundsätzlich in freier Konkurrenz schließlich das
Beste siegen. In welcher Weise, mit welchen Mitteln der überragende Erfolg
erzielt worden ist, bedeutet wenig im Vergleiche zu der Qualität des Objektes,
das als Ergebnis des freien Spiels der Kräfte den Sieg davonträgt. Wenn
trotzdem auch in Handel und Industrie der unlautere Wettbewerb bekämpft und
eingeschränkt wird, so ist das nichts weiter als die Anerkennung der Tatsache,
daß auch hier ungeachtet der schließlich erzielten Auslese des Besten noch andere
Werte zu schützen sind, seien es nun Werte der öffentlichen Moral oder die
schutzbedürftiger Interessen des — wirtschaftlich — Schwächeren.

Das Recht aber ist keine Ware wie die übrigen. In je höherem Maße
der Gegenstand der Konkurrenz auf geistigem Gebiete liegt, um so weniger wird
durch den freien Wettbewerb das „Beste" hervorgebracht werden. Es wird
vielleicht auch hier der Stärkere siegen. Das besagt aber nichts für die Qualität
des Gebotenen. Derjenige Rechtsanwalt, der rücksichtslos seinen Vorteil wahr¬
nimmt, der mit allen Mitteln den Gegner — wirtschaftlich und prozessual ver¬
standen — bekämpft, wird darum nicht die rechtlich qualitativ beste Arbeit
leisten. Es liegt das eben an der eigenartigen Doppelnatur des Anwaltsberufes.
Der Rechtsanwalt soll einmal — wirtschaftlich — seiner Partei die besten Dienste
leisten, auf der anderen Seite aber soll er — rechtlich — der Wahrheit und
dem Rechte dienen. Beides durchkreuzt sich oft gegenseitig. Die ungehinderte
Konkurrenz wird im günstigsten Falle eine Auslese in ersterer Hinsicht
bewirken: es werden diejenigen Anwälte übrig bleiben, die ihren Parteien
die besten Dienste leisten. Es werden aber vielleicht gerade diejenigen An¬
wälte als „untauglich" ausgemerzt werden, die dem Rechte und der Wahrheit
dienen und die eine hohe rechtlich - sittliche Auffassung von den Pflichten der
Advokatur haben.

Dazu kommt aber noch ein weiteres. Der Anwaltsstand erfordert und
genießt das höchste Vertrauen im Publikum und bei der Richterschaft. Es ist
nötig, daß er dauernd wirtschaftlich und sozial auf einer Höhe bleibt, die ein
solches Vertrauen rechtfertigt. Ein Anwalt, der durch rücksichtslose Gebarung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0451" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326621"/>
          <fw type="header" place="top"> Freie Advokatur und numerus clsusus</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2173" prev="#ID_2172"> Hilfsarbeiten sein Brot verdienen. Er kann sein Arbeitsfeld in wirtschaftlichen,<lb/>
industriellen oder politischen Verbänden suchen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2174"> Es stehen aber andere Dinge auf dem Spiele. Die Eigenart der Rechts¬<lb/>
anwaltschaft und ihre Bedeutung für die gesamte Rechtspflege bringt es mit<lb/>
sich, daß ein allzu hitziger Daseinskampf nicht nur die Anwälte selbst, sondern<lb/>
vor allem auch das Publikum und die Qualität der Justiz schädigt. Ein Schlag¬<lb/>
wort, und zwar ein wissenschaftliches Schlagwort muß hier zunächst bekämpft<lb/>
werden. Es ist nicht allgemein richtig, daß der freie und ungehemmte Kampf<lb/>
ums Dasein ohne weiteres die Auslese des Tüchtigsten bewirkt. Oder vielmehr,<lb/>
es kommt sehr darauf an, was man unter dem Tüchtigsten versteht. Nur wenn<lb/>
es sich um rein gegenständliches Material handelt, hat der Satz in gewissem<lb/>
Sinne seine Richtigkeit. Bei der Herstellung und dem Vertrieb von Ge- und<lb/>
Verbrauchsgegenständen wird grundsätzlich in freier Konkurrenz schließlich das<lb/>
Beste siegen. In welcher Weise, mit welchen Mitteln der überragende Erfolg<lb/>
erzielt worden ist, bedeutet wenig im Vergleiche zu der Qualität des Objektes,<lb/>
das als Ergebnis des freien Spiels der Kräfte den Sieg davonträgt. Wenn<lb/>
trotzdem auch in Handel und Industrie der unlautere Wettbewerb bekämpft und<lb/>
eingeschränkt wird, so ist das nichts weiter als die Anerkennung der Tatsache,<lb/>
daß auch hier ungeachtet der schließlich erzielten Auslese des Besten noch andere<lb/>
Werte zu schützen sind, seien es nun Werte der öffentlichen Moral oder die<lb/>
schutzbedürftiger Interessen des &#x2014; wirtschaftlich &#x2014; Schwächeren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2175"> Das Recht aber ist keine Ware wie die übrigen. In je höherem Maße<lb/>
der Gegenstand der Konkurrenz auf geistigem Gebiete liegt, um so weniger wird<lb/>
durch den freien Wettbewerb das &#x201E;Beste" hervorgebracht werden. Es wird<lb/>
vielleicht auch hier der Stärkere siegen. Das besagt aber nichts für die Qualität<lb/>
des Gebotenen. Derjenige Rechtsanwalt, der rücksichtslos seinen Vorteil wahr¬<lb/>
nimmt, der mit allen Mitteln den Gegner &#x2014; wirtschaftlich und prozessual ver¬<lb/>
standen &#x2014; bekämpft, wird darum nicht die rechtlich qualitativ beste Arbeit<lb/>
leisten. Es liegt das eben an der eigenartigen Doppelnatur des Anwaltsberufes.<lb/>
Der Rechtsanwalt soll einmal &#x2014; wirtschaftlich &#x2014; seiner Partei die besten Dienste<lb/>
leisten, auf der anderen Seite aber soll er &#x2014; rechtlich &#x2014; der Wahrheit und<lb/>
dem Rechte dienen. Beides durchkreuzt sich oft gegenseitig. Die ungehinderte<lb/>
Konkurrenz wird im günstigsten Falle eine Auslese in ersterer Hinsicht<lb/>
bewirken: es werden diejenigen Anwälte übrig bleiben, die ihren Parteien<lb/>
die besten Dienste leisten. Es werden aber vielleicht gerade diejenigen An¬<lb/>
wälte als &#x201E;untauglich" ausgemerzt werden, die dem Rechte und der Wahrheit<lb/>
dienen und die eine hohe rechtlich - sittliche Auffassung von den Pflichten der<lb/>
Advokatur haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2176" next="#ID_2177"> Dazu kommt aber noch ein weiteres. Der Anwaltsstand erfordert und<lb/>
genießt das höchste Vertrauen im Publikum und bei der Richterschaft. Es ist<lb/>
nötig, daß er dauernd wirtschaftlich und sozial auf einer Höhe bleibt, die ein<lb/>
solches Vertrauen rechtfertigt.  Ein Anwalt, der durch rücksichtslose Gebarung</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0451] Freie Advokatur und numerus clsusus Hilfsarbeiten sein Brot verdienen. Er kann sein Arbeitsfeld in wirtschaftlichen, industriellen oder politischen Verbänden suchen. Es stehen aber andere Dinge auf dem Spiele. Die Eigenart der Rechts¬ anwaltschaft und ihre Bedeutung für die gesamte Rechtspflege bringt es mit sich, daß ein allzu hitziger Daseinskampf nicht nur die Anwälte selbst, sondern vor allem auch das Publikum und die Qualität der Justiz schädigt. Ein Schlag¬ wort, und zwar ein wissenschaftliches Schlagwort muß hier zunächst bekämpft werden. Es ist nicht allgemein richtig, daß der freie und ungehemmte Kampf ums Dasein ohne weiteres die Auslese des Tüchtigsten bewirkt. Oder vielmehr, es kommt sehr darauf an, was man unter dem Tüchtigsten versteht. Nur wenn es sich um rein gegenständliches Material handelt, hat der Satz in gewissem Sinne seine Richtigkeit. Bei der Herstellung und dem Vertrieb von Ge- und Verbrauchsgegenständen wird grundsätzlich in freier Konkurrenz schließlich das Beste siegen. In welcher Weise, mit welchen Mitteln der überragende Erfolg erzielt worden ist, bedeutet wenig im Vergleiche zu der Qualität des Objektes, das als Ergebnis des freien Spiels der Kräfte den Sieg davonträgt. Wenn trotzdem auch in Handel und Industrie der unlautere Wettbewerb bekämpft und eingeschränkt wird, so ist das nichts weiter als die Anerkennung der Tatsache, daß auch hier ungeachtet der schließlich erzielten Auslese des Besten noch andere Werte zu schützen sind, seien es nun Werte der öffentlichen Moral oder die schutzbedürftiger Interessen des — wirtschaftlich — Schwächeren. Das Recht aber ist keine Ware wie die übrigen. In je höherem Maße der Gegenstand der Konkurrenz auf geistigem Gebiete liegt, um so weniger wird durch den freien Wettbewerb das „Beste" hervorgebracht werden. Es wird vielleicht auch hier der Stärkere siegen. Das besagt aber nichts für die Qualität des Gebotenen. Derjenige Rechtsanwalt, der rücksichtslos seinen Vorteil wahr¬ nimmt, der mit allen Mitteln den Gegner — wirtschaftlich und prozessual ver¬ standen — bekämpft, wird darum nicht die rechtlich qualitativ beste Arbeit leisten. Es liegt das eben an der eigenartigen Doppelnatur des Anwaltsberufes. Der Rechtsanwalt soll einmal — wirtschaftlich — seiner Partei die besten Dienste leisten, auf der anderen Seite aber soll er — rechtlich — der Wahrheit und dem Rechte dienen. Beides durchkreuzt sich oft gegenseitig. Die ungehinderte Konkurrenz wird im günstigsten Falle eine Auslese in ersterer Hinsicht bewirken: es werden diejenigen Anwälte übrig bleiben, die ihren Parteien die besten Dienste leisten. Es werden aber vielleicht gerade diejenigen An¬ wälte als „untauglich" ausgemerzt werden, die dem Rechte und der Wahrheit dienen und die eine hohe rechtlich - sittliche Auffassung von den Pflichten der Advokatur haben. Dazu kommt aber noch ein weiteres. Der Anwaltsstand erfordert und genießt das höchste Vertrauen im Publikum und bei der Richterschaft. Es ist nötig, daß er dauernd wirtschaftlich und sozial auf einer Höhe bleibt, die ein solches Vertrauen rechtfertigt. Ein Anwalt, der durch rücksichtslose Gebarung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/451
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/451>, abgerufen am 20.10.2024.