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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Wider die Hprachverderbnis

ehr vielleicht als je ist in den gut gesinnten Kreisen unseres Volkes
der Gedanke lebendig geworden, daß es eine Ehrensache sür uns
ist, die Muttersprache zu hegen und zu schützen und sie von dem,
was ihr fremd ist, zu reinigen. Ein sichtbares Zeichen dafür ist
die Entstehung und Entwicklung des Allgemeinen deutschen Sprach¬
vereins, der auf die stattliche Zahl von dreißigtausend Mitgliedern blickt und
eine vielgelesene Zeitschrift herausgibt. Gewiß eine stattliche Einrichtung, die
imstande ist, auf die Öffentlichkeit einen weitgreifenden Einfluß auszuüben.
Wie steht es nun mit dem Erfolge dieser Tätigkeit? Ist es dem Vereine
möglich gewesen, eine tiefgreifende Besserung an unserer Muttersprache herauf¬
zuführen? Man ist in jenen Kreisen im allgemeinen geneigt, hierauf mit einem
fast unbedingten Ja zu antworten. In den folgenden Zeilen soll uns die Frage
beschäftigen, ob diese zuversichtliche Auffassung nicht einer sehr starken Einschränkung
bedarf.

Mein Buch: "Wider die Sprachverderbnis"*) hat auf Seiten des
Sprachvereins eine entschiedene und allerdings nicht unerwartete Ablehnung
erfahren. Es wird mir dort zum Vorwurfe gemacht, daß ich überhaupt
von einer Sprachverderbnis, einem Niedergange der Sprache geredet habe,
und darauf hingewiesen, daß gerade in neuerer Zeit und besonders dank
der Tätigkeit des Sprachvereins ganz gewaltige Fortschritte in der Be¬
kämpfung der Fremdwörter erzielt worden seien. Wir wollen einen gewissen
Erfolg auf diesem Gebiete gerne zugeben -- wie es auch in meinem Buche
geschehen ist --, müssen aber der Auffassung, als ob wir in siegreichem Vor¬
dringen begriffen wären, ernstlich widersprechen. Richtig ist, daß in neuerer
Zeit eine ganze Menge Verdeutschungen geschaffen worden sind; bedeutet dies
aber schon eine Verdrängung der betreffenden Fremdwörter? Da ist noch ein
weites Stück Weges zurückzulegen; erst wenn die Verdeutschung von einem
papierener Worte zu einem lebendigen geworden ist, kann man von einem



*) Im Verlage von Hasert u. Co. zu Borsdorf bei Leipzig 1911.


Wider die Hprachverderbnis

ehr vielleicht als je ist in den gut gesinnten Kreisen unseres Volkes
der Gedanke lebendig geworden, daß es eine Ehrensache sür uns
ist, die Muttersprache zu hegen und zu schützen und sie von dem,
was ihr fremd ist, zu reinigen. Ein sichtbares Zeichen dafür ist
die Entstehung und Entwicklung des Allgemeinen deutschen Sprach¬
vereins, der auf die stattliche Zahl von dreißigtausend Mitgliedern blickt und
eine vielgelesene Zeitschrift herausgibt. Gewiß eine stattliche Einrichtung, die
imstande ist, auf die Öffentlichkeit einen weitgreifenden Einfluß auszuüben.
Wie steht es nun mit dem Erfolge dieser Tätigkeit? Ist es dem Vereine
möglich gewesen, eine tiefgreifende Besserung an unserer Muttersprache herauf¬
zuführen? Man ist in jenen Kreisen im allgemeinen geneigt, hierauf mit einem
fast unbedingten Ja zu antworten. In den folgenden Zeilen soll uns die Frage
beschäftigen, ob diese zuversichtliche Auffassung nicht einer sehr starken Einschränkung
bedarf.

Mein Buch: „Wider die Sprachverderbnis"*) hat auf Seiten des
Sprachvereins eine entschiedene und allerdings nicht unerwartete Ablehnung
erfahren. Es wird mir dort zum Vorwurfe gemacht, daß ich überhaupt
von einer Sprachverderbnis, einem Niedergange der Sprache geredet habe,
und darauf hingewiesen, daß gerade in neuerer Zeit und besonders dank
der Tätigkeit des Sprachvereins ganz gewaltige Fortschritte in der Be¬
kämpfung der Fremdwörter erzielt worden seien. Wir wollen einen gewissen
Erfolg auf diesem Gebiete gerne zugeben — wie es auch in meinem Buche
geschehen ist —, müssen aber der Auffassung, als ob wir in siegreichem Vor¬
dringen begriffen wären, ernstlich widersprechen. Richtig ist, daß in neuerer
Zeit eine ganze Menge Verdeutschungen geschaffen worden sind; bedeutet dies
aber schon eine Verdrängung der betreffenden Fremdwörter? Da ist noch ein
weites Stück Weges zurückzulegen; erst wenn die Verdeutschung von einem
papierener Worte zu einem lebendigen geworden ist, kann man von einem



*) Im Verlage von Hasert u. Co. zu Borsdorf bei Leipzig 1911.
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[0430] [Abbildung] Wider die Hprachverderbnis ehr vielleicht als je ist in den gut gesinnten Kreisen unseres Volkes der Gedanke lebendig geworden, daß es eine Ehrensache sür uns ist, die Muttersprache zu hegen und zu schützen und sie von dem, was ihr fremd ist, zu reinigen. Ein sichtbares Zeichen dafür ist die Entstehung und Entwicklung des Allgemeinen deutschen Sprach¬ vereins, der auf die stattliche Zahl von dreißigtausend Mitgliedern blickt und eine vielgelesene Zeitschrift herausgibt. Gewiß eine stattliche Einrichtung, die imstande ist, auf die Öffentlichkeit einen weitgreifenden Einfluß auszuüben. Wie steht es nun mit dem Erfolge dieser Tätigkeit? Ist es dem Vereine möglich gewesen, eine tiefgreifende Besserung an unserer Muttersprache herauf¬ zuführen? Man ist in jenen Kreisen im allgemeinen geneigt, hierauf mit einem fast unbedingten Ja zu antworten. In den folgenden Zeilen soll uns die Frage beschäftigen, ob diese zuversichtliche Auffassung nicht einer sehr starken Einschränkung bedarf. Mein Buch: „Wider die Sprachverderbnis"*) hat auf Seiten des Sprachvereins eine entschiedene und allerdings nicht unerwartete Ablehnung erfahren. Es wird mir dort zum Vorwurfe gemacht, daß ich überhaupt von einer Sprachverderbnis, einem Niedergange der Sprache geredet habe, und darauf hingewiesen, daß gerade in neuerer Zeit und besonders dank der Tätigkeit des Sprachvereins ganz gewaltige Fortschritte in der Be¬ kämpfung der Fremdwörter erzielt worden seien. Wir wollen einen gewissen Erfolg auf diesem Gebiete gerne zugeben — wie es auch in meinem Buche geschehen ist —, müssen aber der Auffassung, als ob wir in siegreichem Vor¬ dringen begriffen wären, ernstlich widersprechen. Richtig ist, daß in neuerer Zeit eine ganze Menge Verdeutschungen geschaffen worden sind; bedeutet dies aber schon eine Verdrängung der betreffenden Fremdwörter? Da ist noch ein weites Stück Weges zurückzulegen; erst wenn die Verdeutschung von einem papierener Worte zu einem lebendigen geworden ist, kann man von einem *) Im Verlage von Hasert u. Co. zu Borsdorf bei Leipzig 1911.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/430>, abgerufen am 19.10.2024.