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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Das Blcittchcn Wegebreit
Jan Leuthold, er selber, noch seiner Mutter Kind.
Er spielt mit dem Boot, mit dem Segel spielt der Wind.
Heil wie er heute das kleine Leinen raffte!
Und: "Mutter. Mutter, sieh," wo die Alte um ihn schaffte.
Die Wunde bohrt. -- Und am Ufer der Weser das Schilf.
Er greift es mit den Händen, und: "Mutter. Mutter, hilf!"
Ein Schnitt in den Finger, und Blut, das springend warme,
Da trägt ihn die Mutter heim auf starkem Arme.
Die schlichte sachte Frau im Arbeitskleid.
Sie pflückt im Vorbeigehn ein Blättchen Wegebreit.
Es wächst alle Jahre im Rasen an den Rainen.
Sie tröstet den Knaben: "Nicht weinen, nicht weinen!
Ein Blättchen Wegebreit macht alles gut.
Den Saft auf deine Wunde, das stillt das Blut."
Sie kneift's mit dem Daumen und preßt ihn auf das Blättchen,
Und flicht aus Marien ein Kränzchen ihm, ein Kettchen.
Jan Leuthold. der große, sich auf dem Bette streckt.
Die Wunde bricht. Und das Blut von neuem steckt.
Die andern, die mit ihm in die Baracke getragen,
Sie hören "Mutter, Mutter hilf" ihn klagen.
Und draußen gehn die Tage und Schlachtengetön,
Die sausenden Kugeln bei Spichern auf den Höhn.
"Jan Leuthold!" Wer rief? Er zuckt in seinen Qualen.
"Nehmt an und lest, eine Post aus Westfalen."
Der Umschlag knistert, er bricht ihn leicht wie Torf.
Die Schrift vom alten Pfarrer aus dem Dorf.
Er liest: "Der Mutter Sorge sucht ihresgleichen,
Und Gott befohlen wird dich ihr Gruß erreichen.
Noch keines Sängers Lippe sang es nach,
Was eine Mutter mit dem Herzen sprach.
Ich ging es den Müttern künden: Wund und gefallen.
Sie waren stark, doch deine die stärkste von allen.

Das Blcittchcn Wegebreit
Jan Leuthold, er selber, noch seiner Mutter Kind.
Er spielt mit dem Boot, mit dem Segel spielt der Wind.
Heil wie er heute das kleine Leinen raffte!
Und: „Mutter. Mutter, sieh," wo die Alte um ihn schaffte.
Die Wunde bohrt. — Und am Ufer der Weser das Schilf.
Er greift es mit den Händen, und: „Mutter. Mutter, hilf!"
Ein Schnitt in den Finger, und Blut, das springend warme,
Da trägt ihn die Mutter heim auf starkem Arme.
Die schlichte sachte Frau im Arbeitskleid.
Sie pflückt im Vorbeigehn ein Blättchen Wegebreit.
Es wächst alle Jahre im Rasen an den Rainen.
Sie tröstet den Knaben: „Nicht weinen, nicht weinen!
Ein Blättchen Wegebreit macht alles gut.
Den Saft auf deine Wunde, das stillt das Blut."
Sie kneift's mit dem Daumen und preßt ihn auf das Blättchen,
Und flicht aus Marien ein Kränzchen ihm, ein Kettchen.
Jan Leuthold. der große, sich auf dem Bette streckt.
Die Wunde bricht. Und das Blut von neuem steckt.
Die andern, die mit ihm in die Baracke getragen,
Sie hören „Mutter, Mutter hilf" ihn klagen.
Und draußen gehn die Tage und Schlachtengetön,
Die sausenden Kugeln bei Spichern auf den Höhn.
„Jan Leuthold!" Wer rief? Er zuckt in seinen Qualen.
„Nehmt an und lest, eine Post aus Westfalen."
Der Umschlag knistert, er bricht ihn leicht wie Torf.
Die Schrift vom alten Pfarrer aus dem Dorf.
Er liest: „Der Mutter Sorge sucht ihresgleichen,
Und Gott befohlen wird dich ihr Gruß erreichen.
Noch keines Sängers Lippe sang es nach,
Was eine Mutter mit dem Herzen sprach.
Ich ging es den Müttern künden: Wund und gefallen.
Sie waren stark, doch deine die stärkste von allen.

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[0421] Das Blcittchcn Wegebreit Jan Leuthold, er selber, noch seiner Mutter Kind. Er spielt mit dem Boot, mit dem Segel spielt der Wind. Heil wie er heute das kleine Leinen raffte! Und: „Mutter. Mutter, sieh," wo die Alte um ihn schaffte. Die Wunde bohrt. — Und am Ufer der Weser das Schilf. Er greift es mit den Händen, und: „Mutter. Mutter, hilf!" Ein Schnitt in den Finger, und Blut, das springend warme, Da trägt ihn die Mutter heim auf starkem Arme. Die schlichte sachte Frau im Arbeitskleid. Sie pflückt im Vorbeigehn ein Blättchen Wegebreit. Es wächst alle Jahre im Rasen an den Rainen. Sie tröstet den Knaben: „Nicht weinen, nicht weinen! Ein Blättchen Wegebreit macht alles gut. Den Saft auf deine Wunde, das stillt das Blut." Sie kneift's mit dem Daumen und preßt ihn auf das Blättchen, Und flicht aus Marien ein Kränzchen ihm, ein Kettchen. Jan Leuthold. der große, sich auf dem Bette streckt. Die Wunde bricht. Und das Blut von neuem steckt. Die andern, die mit ihm in die Baracke getragen, Sie hören „Mutter, Mutter hilf" ihn klagen. Und draußen gehn die Tage und Schlachtengetön, Die sausenden Kugeln bei Spichern auf den Höhn. „Jan Leuthold!" Wer rief? Er zuckt in seinen Qualen. „Nehmt an und lest, eine Post aus Westfalen." Der Umschlag knistert, er bricht ihn leicht wie Torf. Die Schrift vom alten Pfarrer aus dem Dorf. Er liest: „Der Mutter Sorge sucht ihresgleichen, Und Gott befohlen wird dich ihr Gruß erreichen. Noch keines Sängers Lippe sang es nach, Was eine Mutter mit dem Herzen sprach. Ich ging es den Müttern künden: Wund und gefallen. Sie waren stark, doch deine die stärkste von allen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/421>, abgerufen am 28.12.2024.