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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Zur Sprachkritik

Der Kritik der Begriffe geht als sachliches Fundament eine Geschichte der
Worte voraus, die in der umfangreichen Einleitung behandelt wird. Mauthners
sprachlicher Standpunkt ist durch seinen Gegensatz gegen die herrschende indo¬
germanische Einheitshnpothese bestimmt. Als sprachbildender Faktor gilt ihm
prinzipiell die Entlehnung und Lehnübersetzung, die er für Einzelworte. Redens¬
arten und Motive (Märchen) oft überraschend belegt. Es darf uns an dem
Wert dieser Erklärung nicht irre machen, wenn Mauthner in seiner Entdecker¬
freude dieses Prinzip überschätzt. Er ist auch hier das ausschlagende Pendel
einer neuen Phase, das die vorangegangene nur durch ebenso einseitige Gegen¬
bewegung korrigieren kann. Mauthner selbst gibt (im Text des Hauptteils)
einige Beispiele für Ähnlichkeiten zwischen den sogenannten indogermanischen
Sprachen, "bei denen an eine Lehnübersetzung nicht zu denken ist" (wie bei
-<">,-:-: -- pulLkei- -- schön, denen der Grundbegriff des Schemens gemeinsam
ist. II 333). Er ist dann genötigt, z. B. "die Steigerung des Adjektivs allein
eine zufällige Analogiebildung unserer arischen Sprachen, die sie allein besitzen",
zu nennen (II 189). Gibt es aber überhaupt solche "zufällige" Analogien,
dann ist jede Erklärung durch Entlehnung und Lehnübersetzung an eine nach¬
weisbare oder überzeugend erschlossene Priorität des Begriffes in einer der frag¬
lichen Sprachen zu knüpfen. Diesen, gewiß schwierigen Nachweis bleibt Mauthner
sür manche seiner Beispiele schuldig. Dies, gilt besonders für die von ihm
sogenannten "internationalen Lehnübersetzungen", wo es in dem Artikel "vier"
(Seite I.XXXI) auch zugegeben wird. Ist die Priorität des Wortes außer
Frage (wie in extra -- sonder), so braucht die neue Bildung nicht von diesem
Wort her übersetzt zu sein, sondern kann selbständig von dem Begriff her gesetzt
sein, sür den die nationale Entsprechung des fremden Wortes der ungesuchte
Ausdruck war. Damit wäre dann nur bewiesen, daß eine gemeinsame Anlage
die arische Sprachentwicklung in parallele Bahnen zwingt. So kann dem Begriff
des Herausgehobenen, Abseitigen auch ohne den Umweg einer "Übersetzung von
extra" (Seite I^XXVIII) das Wort "Sonderdruck" seinen Ursprung verdanken.
Wir werden sehen, daß hier bereits die Mauthnersche bedingungslose Gleich.
Setzung von Wort und Begriff hineinspielt.

Zu dieser historischen Unselbständigkeit der Sprache, die sich in Worten
und Bildern wie eine ewige Krankheit forterbt, kommt für Mauthner als zweite
skeptische Voraussetzung ihre immanente Unzulänglichkeit. Er drückt sie in einem
Bilde aus. das sehr tiefe Einblicke gewährt, wenn man sich seiner Bildhaftigkeit
bewußt bleibt. Er sagt, die Sprache spalte die eine Wirklichkeit in drei Welten:
die adjektivische, verbale und substantivische Welt. Die adjektivische Welt ist die
Welt der Erfahrung. Sie enthält die Dinge als eine Vielheit poin-
tillierter Einzeleindrücke (Seite 25). Die verbale Welt ist die Welt des Werdens.
Sie enthält die Dinge als einen kausalen Zusammenhang in der Zeit
(II 526). Die substantivische Welt ist die Welt des Seins. Sie enthält die
Dinge xc-v' als die substantiellen Träger der adjektivischen und verbalen


Zur Sprachkritik

Der Kritik der Begriffe geht als sachliches Fundament eine Geschichte der
Worte voraus, die in der umfangreichen Einleitung behandelt wird. Mauthners
sprachlicher Standpunkt ist durch seinen Gegensatz gegen die herrschende indo¬
germanische Einheitshnpothese bestimmt. Als sprachbildender Faktor gilt ihm
prinzipiell die Entlehnung und Lehnübersetzung, die er für Einzelworte. Redens¬
arten und Motive (Märchen) oft überraschend belegt. Es darf uns an dem
Wert dieser Erklärung nicht irre machen, wenn Mauthner in seiner Entdecker¬
freude dieses Prinzip überschätzt. Er ist auch hier das ausschlagende Pendel
einer neuen Phase, das die vorangegangene nur durch ebenso einseitige Gegen¬
bewegung korrigieren kann. Mauthner selbst gibt (im Text des Hauptteils)
einige Beispiele für Ähnlichkeiten zwischen den sogenannten indogermanischen
Sprachen, „bei denen an eine Lehnübersetzung nicht zu denken ist" (wie bei
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ist. II 333). Er ist dann genötigt, z. B. „die Steigerung des Adjektivs allein
eine zufällige Analogiebildung unserer arischen Sprachen, die sie allein besitzen",
zu nennen (II 189). Gibt es aber überhaupt solche „zufällige" Analogien,
dann ist jede Erklärung durch Entlehnung und Lehnübersetzung an eine nach¬
weisbare oder überzeugend erschlossene Priorität des Begriffes in einer der frag¬
lichen Sprachen zu knüpfen. Diesen, gewiß schwierigen Nachweis bleibt Mauthner
sür manche seiner Beispiele schuldig. Dies, gilt besonders für die von ihm
sogenannten „internationalen Lehnübersetzungen", wo es in dem Artikel „vier"
(Seite I.XXXI) auch zugegeben wird. Ist die Priorität des Wortes außer
Frage (wie in extra — sonder), so braucht die neue Bildung nicht von diesem
Wort her übersetzt zu sein, sondern kann selbständig von dem Begriff her gesetzt
sein, sür den die nationale Entsprechung des fremden Wortes der ungesuchte
Ausdruck war. Damit wäre dann nur bewiesen, daß eine gemeinsame Anlage
die arische Sprachentwicklung in parallele Bahnen zwingt. So kann dem Begriff
des Herausgehobenen, Abseitigen auch ohne den Umweg einer „Übersetzung von
extra" (Seite I^XXVIII) das Wort „Sonderdruck" seinen Ursprung verdanken.
Wir werden sehen, daß hier bereits die Mauthnersche bedingungslose Gleich.
Setzung von Wort und Begriff hineinspielt.

Zu dieser historischen Unselbständigkeit der Sprache, die sich in Worten
und Bildern wie eine ewige Krankheit forterbt, kommt für Mauthner als zweite
skeptische Voraussetzung ihre immanente Unzulänglichkeit. Er drückt sie in einem
Bilde aus. das sehr tiefe Einblicke gewährt, wenn man sich seiner Bildhaftigkeit
bewußt bleibt. Er sagt, die Sprache spalte die eine Wirklichkeit in drei Welten:
die adjektivische, verbale und substantivische Welt. Die adjektivische Welt ist die
Welt der Erfahrung. Sie enthält die Dinge als eine Vielheit poin-
tillierter Einzeleindrücke (Seite 25). Die verbale Welt ist die Welt des Werdens.
Sie enthält die Dinge als einen kausalen Zusammenhang in der Zeit
(II 526). Die substantivische Welt ist die Welt des Seins. Sie enthält die
Dinge xc-v' als die substantiellen Träger der adjektivischen und verbalen


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[0041] Zur Sprachkritik Der Kritik der Begriffe geht als sachliches Fundament eine Geschichte der Worte voraus, die in der umfangreichen Einleitung behandelt wird. Mauthners sprachlicher Standpunkt ist durch seinen Gegensatz gegen die herrschende indo¬ germanische Einheitshnpothese bestimmt. Als sprachbildender Faktor gilt ihm prinzipiell die Entlehnung und Lehnübersetzung, die er für Einzelworte. Redens¬ arten und Motive (Märchen) oft überraschend belegt. Es darf uns an dem Wert dieser Erklärung nicht irre machen, wenn Mauthner in seiner Entdecker¬ freude dieses Prinzip überschätzt. Er ist auch hier das ausschlagende Pendel einer neuen Phase, das die vorangegangene nur durch ebenso einseitige Gegen¬ bewegung korrigieren kann. Mauthner selbst gibt (im Text des Hauptteils) einige Beispiele für Ähnlichkeiten zwischen den sogenannten indogermanischen Sprachen, „bei denen an eine Lehnübersetzung nicht zu denken ist" (wie bei -<«>,-:-: — pulLkei- — schön, denen der Grundbegriff des Schemens gemeinsam ist. II 333). Er ist dann genötigt, z. B. „die Steigerung des Adjektivs allein eine zufällige Analogiebildung unserer arischen Sprachen, die sie allein besitzen", zu nennen (II 189). Gibt es aber überhaupt solche „zufällige" Analogien, dann ist jede Erklärung durch Entlehnung und Lehnübersetzung an eine nach¬ weisbare oder überzeugend erschlossene Priorität des Begriffes in einer der frag¬ lichen Sprachen zu knüpfen. Diesen, gewiß schwierigen Nachweis bleibt Mauthner sür manche seiner Beispiele schuldig. Dies, gilt besonders für die von ihm sogenannten „internationalen Lehnübersetzungen", wo es in dem Artikel „vier" (Seite I.XXXI) auch zugegeben wird. Ist die Priorität des Wortes außer Frage (wie in extra — sonder), so braucht die neue Bildung nicht von diesem Wort her übersetzt zu sein, sondern kann selbständig von dem Begriff her gesetzt sein, sür den die nationale Entsprechung des fremden Wortes der ungesuchte Ausdruck war. Damit wäre dann nur bewiesen, daß eine gemeinsame Anlage die arische Sprachentwicklung in parallele Bahnen zwingt. So kann dem Begriff des Herausgehobenen, Abseitigen auch ohne den Umweg einer „Übersetzung von extra" (Seite I^XXVIII) das Wort „Sonderdruck" seinen Ursprung verdanken. Wir werden sehen, daß hier bereits die Mauthnersche bedingungslose Gleich. Setzung von Wort und Begriff hineinspielt. Zu dieser historischen Unselbständigkeit der Sprache, die sich in Worten und Bildern wie eine ewige Krankheit forterbt, kommt für Mauthner als zweite skeptische Voraussetzung ihre immanente Unzulänglichkeit. Er drückt sie in einem Bilde aus. das sehr tiefe Einblicke gewährt, wenn man sich seiner Bildhaftigkeit bewußt bleibt. Er sagt, die Sprache spalte die eine Wirklichkeit in drei Welten: die adjektivische, verbale und substantivische Welt. Die adjektivische Welt ist die Welt der Erfahrung. Sie enthält die Dinge als eine Vielheit poin- tillierter Einzeleindrücke (Seite 25). Die verbale Welt ist die Welt des Werdens. Sie enthält die Dinge als einen kausalen Zusammenhang in der Zeit (II 526). Die substantivische Welt ist die Welt des Seins. Sie enthält die Dinge xc-v' als die substantiellen Träger der adjektivischen und verbalen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/41>, abgerufen am 19.10.2024.