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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Amerikanische Diplomaten

vertrat, im September 1869 -- gleichfalls infolge einer Intrige -- abberufen
werden sollte, bat Bismarck seinen Freund Molken in einem aus Varzin datierten
Briefe, er möge seinen Einfluß aufbieten, damit Bancroft in Berlin belassen
werde. Auch Bancroft gehörte zu Bismarcks Freundeskreise.

Ein anderer peinlicher Zwischenfall trug sich 1869 zu, als John P. Hale
Gesandter in Madrid war. Hale wurde von dem GesandtschaftsSekretär Perry
beschuldigt, das Gesandtschaftsprivileg der zollfreien Einfuhr von Gebrauchs¬
gegenständen mißbraucht und Waren, die ihm unter diesem Privileg zugeschickt
wurden, zu seinem Vorteile verkauft zu haben. In Wirklichkeit war Hale einem
skrupelloser Kommissionshändler, dessen Perry sich zu einer Intrige gegen seinen
Chef bediente, zum Opfer gefallen. Auch Hale entging der Abberufung nur
durch rechtzeitigen Rücktritt.--

Welch eine Liste berühmter Namen, welch stattliche Anzahl wahrhaft be¬
deutender Männer steht jedoch der oben geschilderten Spezies gegenüber! Das
Beutesystem belohnt nicht nur den Boß und den "Kseler", sondern auch hervor¬
ragende Männer, die sich um ihre Partei verdient gemacht haben; hie und da
wurden sogar, wenn die Republik ein wenig mit ihren großen Bürgern kokettieren
wollte, die Parteiunterschiede aufgehoben und bedeutende Männer auch aus dem
gegnerischen Lager ins Ausland geschickt. Es ist nicht möglich, an dieser Stelle
alle Berühmtheiten aufzuzählen, die den nordamerikanischen Freistaat in Europa
vertreten haben. Ich werde mich mit einer kleinen Auslese begnügen müssen.
Der Name Benjamin Franklins, des ersten amerikanischen Gesandten, ist aller
Welt geläufig; mit Franklin und den späteren Präsidenten Jefferson und Adams
schloß Friedrich der Große 1785 den denkwürdigen Freundschaftsvertrag, durch
den er als der erste Monarch des europäischen Festlandes die eben aus der
Taufe gehobene amerikanische Republik anerkannte. Henry Wheaton, der größte
aller amerikanischen Völkerrechtslehrer, war 1835 bis 1845 Gesandter in Berlin
und hat in dieser Eigenschaft u. a. den Vertrag mit dem Hannover-oldenburg-
braunschweigischen Steuerverein abgeschlossen. Wheaton war übrigens der erste
regelmäßige diplomatische Vertreter der Vereinigten Staaten in Berlin; John
Ouincy Adams, der später der sechste Präsident der Vereinigten Staaten wurde,
war 1799 als Spezialbotschafter zu Berlin ernannt worden, allein die Mission
trug bloß einen vorübergehenden Charakter und erlosch mit dem Abschluß des
zweiten Freundschaftsvertrages von 1799. James Buchanan, der fünfzehnte
Präsident, war in den fünfziger Jahren Gesandter in London; einer seiner Nach¬
folger war Charles Francis Adams, der Sohn des sechsten Präsidenten, einer der
begabtesten Diplomaten der neuen Welt, ein Mann von seltener Energie und
Klugheit. Motley hat, wie schon erwähnt, die Union in Wien und London
vertreten; Bayard Taylor, der berühmte Dichter und Publizist, ist 1878 als
Gesandter in Berlin gestorben. George Bancroft, der eminente Historiker, hat durch
seine Tätigkeit als Diplomat die Entwicklung des positiven Völkerrechts mächtig
gefördert; seine Naturalisationsverträge mit dem Norddeutschen Bunde und anderen
deutschen Staaten wurden von der englischen Negierung als Grundlage ihrer


Amerikanische Diplomaten

vertrat, im September 1869 — gleichfalls infolge einer Intrige — abberufen
werden sollte, bat Bismarck seinen Freund Molken in einem aus Varzin datierten
Briefe, er möge seinen Einfluß aufbieten, damit Bancroft in Berlin belassen
werde. Auch Bancroft gehörte zu Bismarcks Freundeskreise.

Ein anderer peinlicher Zwischenfall trug sich 1869 zu, als John P. Hale
Gesandter in Madrid war. Hale wurde von dem GesandtschaftsSekretär Perry
beschuldigt, das Gesandtschaftsprivileg der zollfreien Einfuhr von Gebrauchs¬
gegenständen mißbraucht und Waren, die ihm unter diesem Privileg zugeschickt
wurden, zu seinem Vorteile verkauft zu haben. In Wirklichkeit war Hale einem
skrupelloser Kommissionshändler, dessen Perry sich zu einer Intrige gegen seinen
Chef bediente, zum Opfer gefallen. Auch Hale entging der Abberufung nur
durch rechtzeitigen Rücktritt.—

Welch eine Liste berühmter Namen, welch stattliche Anzahl wahrhaft be¬
deutender Männer steht jedoch der oben geschilderten Spezies gegenüber! Das
Beutesystem belohnt nicht nur den Boß und den „Kseler", sondern auch hervor¬
ragende Männer, die sich um ihre Partei verdient gemacht haben; hie und da
wurden sogar, wenn die Republik ein wenig mit ihren großen Bürgern kokettieren
wollte, die Parteiunterschiede aufgehoben und bedeutende Männer auch aus dem
gegnerischen Lager ins Ausland geschickt. Es ist nicht möglich, an dieser Stelle
alle Berühmtheiten aufzuzählen, die den nordamerikanischen Freistaat in Europa
vertreten haben. Ich werde mich mit einer kleinen Auslese begnügen müssen.
Der Name Benjamin Franklins, des ersten amerikanischen Gesandten, ist aller
Welt geläufig; mit Franklin und den späteren Präsidenten Jefferson und Adams
schloß Friedrich der Große 1785 den denkwürdigen Freundschaftsvertrag, durch
den er als der erste Monarch des europäischen Festlandes die eben aus der
Taufe gehobene amerikanische Republik anerkannte. Henry Wheaton, der größte
aller amerikanischen Völkerrechtslehrer, war 1835 bis 1845 Gesandter in Berlin
und hat in dieser Eigenschaft u. a. den Vertrag mit dem Hannover-oldenburg-
braunschweigischen Steuerverein abgeschlossen. Wheaton war übrigens der erste
regelmäßige diplomatische Vertreter der Vereinigten Staaten in Berlin; John
Ouincy Adams, der später der sechste Präsident der Vereinigten Staaten wurde,
war 1799 als Spezialbotschafter zu Berlin ernannt worden, allein die Mission
trug bloß einen vorübergehenden Charakter und erlosch mit dem Abschluß des
zweiten Freundschaftsvertrages von 1799. James Buchanan, der fünfzehnte
Präsident, war in den fünfziger Jahren Gesandter in London; einer seiner Nach¬
folger war Charles Francis Adams, der Sohn des sechsten Präsidenten, einer der
begabtesten Diplomaten der neuen Welt, ein Mann von seltener Energie und
Klugheit. Motley hat, wie schon erwähnt, die Union in Wien und London
vertreten; Bayard Taylor, der berühmte Dichter und Publizist, ist 1878 als
Gesandter in Berlin gestorben. George Bancroft, der eminente Historiker, hat durch
seine Tätigkeit als Diplomat die Entwicklung des positiven Völkerrechts mächtig
gefördert; seine Naturalisationsverträge mit dem Norddeutschen Bunde und anderen
deutschen Staaten wurden von der englischen Negierung als Grundlage ihrer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/354>, abgerufen am 20.10.2024.