Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.Zur neueren IVortkunst An seiner Heide, an seiner geliebten Heimat, hing Liliencron mit allen Fasern Anders klingen Liliencrons Töne, in denen sein Gefühlsleben zum Aus¬ Überall sucht er möglichst viel Anschauungsmaterial in den Sinn des Bei¬ Zur neueren IVortkunst An seiner Heide, an seiner geliebten Heimat, hing Liliencron mit allen Fasern Anders klingen Liliencrons Töne, in denen sein Gefühlsleben zum Aus¬ Überall sucht er möglichst viel Anschauungsmaterial in den Sinn des Bei¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0313" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326483"/> <fw type="header" place="top"> Zur neueren IVortkunst</fw><lb/> <p xml:id="ID_1461"> An seiner Heide, an seiner geliebten Heimat, hing Liliencron mit allen Fasern<lb/> seines Herzens. Wenn ihm die Buchen „heimatheilig" entgegenrauschen, dann<lb/> leuchtet sein Antlitz „heimatstill" auf, und in der Ferne denkt er oft zurück<lb/> an „die lieben heimatbewegten Stunden". „Stromschnell naht das heimatstete<lb/> schiff", „heimatfordernd", denn „alles ist doch nur Fahrt durch den Teifun,<lb/> und selten, selten ein heimatblinkendes Jnselchen zum Ausruhen". Was anders<lb/> als die begeisterte Liebe zur Heimat könnte ihm immer und immer wieder Ver¬<lb/> anlassung gegeben haben, seiner Bewunderung für die landschaftlichen Reize Aus¬<lb/> druck zu verleihen? Sei es daß er „schatteneinsam" durch die „einsamstille",<lb/> „nebelweiche", „frühlingskühle" Flur dahinwandert, sei es daß er nach sonnen¬<lb/> heißem Tage abends, wenn ein erfrischendes Gewitter niedergegangen ist, durch<lb/> die „regenblanken", „regensatten", „heckenstillen" Gefilde dahinzieht und die<lb/> „trösteweiche" Luft einatmet, sei es daß er an einem „sommerweichen", „sturm¬<lb/> stummen, warmsonnigen, felderbeglänzten, einsamen Herbstnachmittage" die Büchse<lb/> umhängt und „stillheiter" seiner „herzentlastenden" Lieblingsbeschäftigung in der<lb/> Heide und den „buchenstolzen" Wäldern nachgeht, sei es daß ein „klarkalter"<lb/> oder „wintertrüber" Himmel sich über die geliebte Heide „winterstumm" breitet<lb/> — immer erscheint sie ihm liebenswert und schön, für jede Stimmung weiß er<lb/> dann den rechten Ton, das rechte Wort zu finden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1462"> Anders klingen Liliencrons Töne, in denen sein Gefühlsleben zum Aus¬<lb/> druck kommt. Wenn er fagt: „(er) küßt sie auf die kinderholde Stirn", oder<lb/> „ein himmlisches Leuchten drang aus seinen Augen: so sanft, so liebevoll, so<lb/> stillselig, so zufrieden", so trifft er damit Töne, die zu seinen tiefsten, seelen¬<lb/> vollsten gehören und die in so knapper Ausdrucksform nicht allzuoft bei ihm<lb/> wiederkehren. Das gleiche gilt von manchen der folgenden: „liebebang" und<lb/> „trennungstraurig", „liebestill" und „liebewarm", „liebesicher", „lieberschrocken",<lb/> „liebestachlig", „liebunschuldig", „erinnerungshold" und ähnlichen, man sieht,<lb/> die Stufenleiter ist zwar ziemlich groß, die sprachliche Ausdrucksfähigkeit aber<lb/> bewegt sich in ziemlich engen Kreisen und wiederholt sich öfter. Bildungen wie<lb/> „überraschungsfroh", „abschiedöde Klänge", „reugierige Augen", ein „singfrohes<lb/> Herz". ..schnell-und gutherzig", „dankesecht". „(sie) trägt stegesstolz den Kranz,<lb/> den dankesechten". sind zwar auch anschaulich, aber daneben steht doch eine<lb/> ganze Anzahl weniger glücklich gewählter wie „hoffnungsheimlich", ..glückentsetzt",<lb/> "friedhässig" und eine Menge von anderen, die minder charakteristisch sind (welt¬<lb/> allein, stillwütig, todesunbedroht, mort- und luftlustige Falken); barock klingt<lb/> "vorwurfsgroß" und „immer schneller, vorwurfsdränger, flehender (las ich)".</p><lb/> <p xml:id="ID_1463" next="#ID_1464"> Überall sucht er möglichst viel Anschauungsmaterial in den Sinn des Bei¬<lb/> wortes zu legen: klirrend, mächtig, „eisentönig" braust der Ruf der Krieger in<lb/> der Schlacht; der Schmetterling, der sich auf einer Blütendolde ausruht, ist „flügel¬<lb/> lahm", ..flügelplump" die Krähe, die sich zum Äsen auf dem Felde nieder¬<lb/> gelassen hat. „flügelbreit bereit" soll sein Phantasus sein, ruft er aus. „daß<lb/> Mich nicht unterkriegt die Wirklichkeit"; „schwingenstill" schwebt der Geier durch</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0313]
Zur neueren IVortkunst
An seiner Heide, an seiner geliebten Heimat, hing Liliencron mit allen Fasern
seines Herzens. Wenn ihm die Buchen „heimatheilig" entgegenrauschen, dann
leuchtet sein Antlitz „heimatstill" auf, und in der Ferne denkt er oft zurück
an „die lieben heimatbewegten Stunden". „Stromschnell naht das heimatstete
schiff", „heimatfordernd", denn „alles ist doch nur Fahrt durch den Teifun,
und selten, selten ein heimatblinkendes Jnselchen zum Ausruhen". Was anders
als die begeisterte Liebe zur Heimat könnte ihm immer und immer wieder Ver¬
anlassung gegeben haben, seiner Bewunderung für die landschaftlichen Reize Aus¬
druck zu verleihen? Sei es daß er „schatteneinsam" durch die „einsamstille",
„nebelweiche", „frühlingskühle" Flur dahinwandert, sei es daß er nach sonnen¬
heißem Tage abends, wenn ein erfrischendes Gewitter niedergegangen ist, durch
die „regenblanken", „regensatten", „heckenstillen" Gefilde dahinzieht und die
„trösteweiche" Luft einatmet, sei es daß er an einem „sommerweichen", „sturm¬
stummen, warmsonnigen, felderbeglänzten, einsamen Herbstnachmittage" die Büchse
umhängt und „stillheiter" seiner „herzentlastenden" Lieblingsbeschäftigung in der
Heide und den „buchenstolzen" Wäldern nachgeht, sei es daß ein „klarkalter"
oder „wintertrüber" Himmel sich über die geliebte Heide „winterstumm" breitet
— immer erscheint sie ihm liebenswert und schön, für jede Stimmung weiß er
dann den rechten Ton, das rechte Wort zu finden.
Anders klingen Liliencrons Töne, in denen sein Gefühlsleben zum Aus¬
druck kommt. Wenn er fagt: „(er) küßt sie auf die kinderholde Stirn", oder
„ein himmlisches Leuchten drang aus seinen Augen: so sanft, so liebevoll, so
stillselig, so zufrieden", so trifft er damit Töne, die zu seinen tiefsten, seelen¬
vollsten gehören und die in so knapper Ausdrucksform nicht allzuoft bei ihm
wiederkehren. Das gleiche gilt von manchen der folgenden: „liebebang" und
„trennungstraurig", „liebestill" und „liebewarm", „liebesicher", „lieberschrocken",
„liebestachlig", „liebunschuldig", „erinnerungshold" und ähnlichen, man sieht,
die Stufenleiter ist zwar ziemlich groß, die sprachliche Ausdrucksfähigkeit aber
bewegt sich in ziemlich engen Kreisen und wiederholt sich öfter. Bildungen wie
„überraschungsfroh", „abschiedöde Klänge", „reugierige Augen", ein „singfrohes
Herz". ..schnell-und gutherzig", „dankesecht". „(sie) trägt stegesstolz den Kranz,
den dankesechten". sind zwar auch anschaulich, aber daneben steht doch eine
ganze Anzahl weniger glücklich gewählter wie „hoffnungsheimlich", ..glückentsetzt",
"friedhässig" und eine Menge von anderen, die minder charakteristisch sind (welt¬
allein, stillwütig, todesunbedroht, mort- und luftlustige Falken); barock klingt
"vorwurfsgroß" und „immer schneller, vorwurfsdränger, flehender (las ich)".
Überall sucht er möglichst viel Anschauungsmaterial in den Sinn des Bei¬
wortes zu legen: klirrend, mächtig, „eisentönig" braust der Ruf der Krieger in
der Schlacht; der Schmetterling, der sich auf einer Blütendolde ausruht, ist „flügel¬
lahm", ..flügelplump" die Krähe, die sich zum Äsen auf dem Felde nieder¬
gelassen hat. „flügelbreit bereit" soll sein Phantasus sein, ruft er aus. „daß
Mich nicht unterkriegt die Wirklichkeit"; „schwingenstill" schwebt der Geier durch
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