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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Kommt die Kaperei wieder?

zu Jahr mehr für uns. Auf der anderen Seite sind die Mittel, um diesen
Seehandel im Kriege zu schützen, kaum entsprechend gewachsen, jedenfalls nicht, so¬
weit es sich um direkten, an Ort und Stelle auszuübenden Schutz handelt. Die
deutsche Kriegsflotte wird ihren Aufgaben in einem europäischen Kriege für ab¬
sehbare Zeit nur gerecht werden können in strengster Durchführung des Grund¬
satzes: Zusammenhalten aller zweckdienlichen Streitkräfte in den heimischen Ge¬
wässern. Die "heimischen Gewässer" sind aber weit enger und weit absoluter
begrenzt, als die der anderen großen Seemächte. Die großbritannischen Inseln
machen die Nordsee strategisch annähernd zu einem Binnenmeere. Sieht man
ganz ab von der nicht unbedingt hierher gehörenden Frage des "8eaImZ up
tre ^ortliZö^" durch die englische Flotte, so liegt doch ohne weiteres auf der
Hand, daß diese unglückliche Gestaltung der Nordsee mir ihren vom Gegner
kontrollierbaren Ausgängen den Schutz des deutschen Seehandels im Kriege --
wie man in England sagt: den "weltweiten Schutz" -- zu einem sehr schwierigen,
ja in mancher Hinsicht unlösbaren Problem macht. Das Übel wird dadurch
noch schlimmer, daß Deutschland, abgesehen von dem einzigen Kiautschau, über
keine Stützpunkte an den Ozeanen verfügt. Ja selbst neutrale Häfen würden uns in
einem Kriege nur in verschwindend geringer Zahl zur Verfügung stehen; das gilt
auch für deutsche Handelsschiffe. Dafür sei nur ein sehr naheliegendes Beispiel
angeführt: nicht nur die französischen Häfen kämen selbstverständlich nicht in Be¬
tracht, sondern auch die portugiesischen und spanischen, da Großbritannien
das Recht besitzt, sich der spanischen und portugiesischen Häfen im Kriege wie
feiner eigenen zu bedienen. Sie würden für die deutsche Handelsflotte mithin
feindliche Häfen bedeuten, und die Küsten des nordatlantischen Ozeans wären
ohne einen einzigen neutralen Zufluchtshafen für sie. Mit der westafrikanischen
Küste bis zum Kap steht es nicht besser. Welche der großen Ozeanstraßen man
auch verfolgen mag: überall der englische oder französische Stützpunkt, der
im Verein mit den übrigen, von ihm aus beherrschten Häfen und Buchten,
das deutsche Handelsschiff im Kriege rastlos und schutzlos macht. Eben in dem
gleichen Stande der Frage begründet sich bekanntlich auch die strategische Schwäche
der Position deutscher Auslandskreuzer im Kriege, verglichen mit den Kreuzern
und Hilfskreuzern der stützpunktreichen Seemächte.

Betrachten wir die Umwandlungsfrage nun im Lichte dieser Ver¬
hältnisse, so ergibt sich ohne weiteres, daß Großbritannien für sich das
Recht der Umwandlung von Handelsschiffen auf hoher See nicht bedarf.
Jeder seiner zahlreichen Kolonialhäfen, jeder seiner so sorgfältig über
den Erdball verteilten Flottenstützvunke ist ein -- im Sinne der Haager
und Londoner Verhandlungen -- "nationaler Hafen". Hier haben wir also
einen wichtigen und klaren Zusammenhang des strategischen Gesichtspunktes
mit der Stellungnahme der großbritannischen Regierung im Haag und zu
London. Zur Umwandlung seiner als Hilfskreuzer bestimmten Handels¬
dampfer im Kriege brauchte England die "hohe See" nicht; es hat ja "nationale


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Kommt die Kaperei wieder?

zu Jahr mehr für uns. Auf der anderen Seite sind die Mittel, um diesen
Seehandel im Kriege zu schützen, kaum entsprechend gewachsen, jedenfalls nicht, so¬
weit es sich um direkten, an Ort und Stelle auszuübenden Schutz handelt. Die
deutsche Kriegsflotte wird ihren Aufgaben in einem europäischen Kriege für ab¬
sehbare Zeit nur gerecht werden können in strengster Durchführung des Grund¬
satzes: Zusammenhalten aller zweckdienlichen Streitkräfte in den heimischen Ge¬
wässern. Die „heimischen Gewässer" sind aber weit enger und weit absoluter
begrenzt, als die der anderen großen Seemächte. Die großbritannischen Inseln
machen die Nordsee strategisch annähernd zu einem Binnenmeere. Sieht man
ganz ab von der nicht unbedingt hierher gehörenden Frage des „8eaImZ up
tre ^ortliZö^" durch die englische Flotte, so liegt doch ohne weiteres auf der
Hand, daß diese unglückliche Gestaltung der Nordsee mir ihren vom Gegner
kontrollierbaren Ausgängen den Schutz des deutschen Seehandels im Kriege —
wie man in England sagt: den „weltweiten Schutz" — zu einem sehr schwierigen,
ja in mancher Hinsicht unlösbaren Problem macht. Das Übel wird dadurch
noch schlimmer, daß Deutschland, abgesehen von dem einzigen Kiautschau, über
keine Stützpunkte an den Ozeanen verfügt. Ja selbst neutrale Häfen würden uns in
einem Kriege nur in verschwindend geringer Zahl zur Verfügung stehen; das gilt
auch für deutsche Handelsschiffe. Dafür sei nur ein sehr naheliegendes Beispiel
angeführt: nicht nur die französischen Häfen kämen selbstverständlich nicht in Be¬
tracht, sondern auch die portugiesischen und spanischen, da Großbritannien
das Recht besitzt, sich der spanischen und portugiesischen Häfen im Kriege wie
feiner eigenen zu bedienen. Sie würden für die deutsche Handelsflotte mithin
feindliche Häfen bedeuten, und die Küsten des nordatlantischen Ozeans wären
ohne einen einzigen neutralen Zufluchtshafen für sie. Mit der westafrikanischen
Küste bis zum Kap steht es nicht besser. Welche der großen Ozeanstraßen man
auch verfolgen mag: überall der englische oder französische Stützpunkt, der
im Verein mit den übrigen, von ihm aus beherrschten Häfen und Buchten,
das deutsche Handelsschiff im Kriege rastlos und schutzlos macht. Eben in dem
gleichen Stande der Frage begründet sich bekanntlich auch die strategische Schwäche
der Position deutscher Auslandskreuzer im Kriege, verglichen mit den Kreuzern
und Hilfskreuzern der stützpunktreichen Seemächte.

Betrachten wir die Umwandlungsfrage nun im Lichte dieser Ver¬
hältnisse, so ergibt sich ohne weiteres, daß Großbritannien für sich das
Recht der Umwandlung von Handelsschiffen auf hoher See nicht bedarf.
Jeder seiner zahlreichen Kolonialhäfen, jeder seiner so sorgfältig über
den Erdball verteilten Flottenstützvunke ist ein — im Sinne der Haager
und Londoner Verhandlungen — „nationaler Hafen". Hier haben wir also
einen wichtigen und klaren Zusammenhang des strategischen Gesichtspunktes
mit der Stellungnahme der großbritannischen Regierung im Haag und zu
London. Zur Umwandlung seiner als Hilfskreuzer bestimmten Handels¬
dampfer im Kriege brauchte England die „hohe See" nicht; es hat ja „nationale


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[0303] Kommt die Kaperei wieder? zu Jahr mehr für uns. Auf der anderen Seite sind die Mittel, um diesen Seehandel im Kriege zu schützen, kaum entsprechend gewachsen, jedenfalls nicht, so¬ weit es sich um direkten, an Ort und Stelle auszuübenden Schutz handelt. Die deutsche Kriegsflotte wird ihren Aufgaben in einem europäischen Kriege für ab¬ sehbare Zeit nur gerecht werden können in strengster Durchführung des Grund¬ satzes: Zusammenhalten aller zweckdienlichen Streitkräfte in den heimischen Ge¬ wässern. Die „heimischen Gewässer" sind aber weit enger und weit absoluter begrenzt, als die der anderen großen Seemächte. Die großbritannischen Inseln machen die Nordsee strategisch annähernd zu einem Binnenmeere. Sieht man ganz ab von der nicht unbedingt hierher gehörenden Frage des „8eaImZ up tre ^ortliZö^" durch die englische Flotte, so liegt doch ohne weiteres auf der Hand, daß diese unglückliche Gestaltung der Nordsee mir ihren vom Gegner kontrollierbaren Ausgängen den Schutz des deutschen Seehandels im Kriege — wie man in England sagt: den „weltweiten Schutz" — zu einem sehr schwierigen, ja in mancher Hinsicht unlösbaren Problem macht. Das Übel wird dadurch noch schlimmer, daß Deutschland, abgesehen von dem einzigen Kiautschau, über keine Stützpunkte an den Ozeanen verfügt. Ja selbst neutrale Häfen würden uns in einem Kriege nur in verschwindend geringer Zahl zur Verfügung stehen; das gilt auch für deutsche Handelsschiffe. Dafür sei nur ein sehr naheliegendes Beispiel angeführt: nicht nur die französischen Häfen kämen selbstverständlich nicht in Be¬ tracht, sondern auch die portugiesischen und spanischen, da Großbritannien das Recht besitzt, sich der spanischen und portugiesischen Häfen im Kriege wie feiner eigenen zu bedienen. Sie würden für die deutsche Handelsflotte mithin feindliche Häfen bedeuten, und die Küsten des nordatlantischen Ozeans wären ohne einen einzigen neutralen Zufluchtshafen für sie. Mit der westafrikanischen Küste bis zum Kap steht es nicht besser. Welche der großen Ozeanstraßen man auch verfolgen mag: überall der englische oder französische Stützpunkt, der im Verein mit den übrigen, von ihm aus beherrschten Häfen und Buchten, das deutsche Handelsschiff im Kriege rastlos und schutzlos macht. Eben in dem gleichen Stande der Frage begründet sich bekanntlich auch die strategische Schwäche der Position deutscher Auslandskreuzer im Kriege, verglichen mit den Kreuzern und Hilfskreuzern der stützpunktreichen Seemächte. Betrachten wir die Umwandlungsfrage nun im Lichte dieser Ver¬ hältnisse, so ergibt sich ohne weiteres, daß Großbritannien für sich das Recht der Umwandlung von Handelsschiffen auf hoher See nicht bedarf. Jeder seiner zahlreichen Kolonialhäfen, jeder seiner so sorgfältig über den Erdball verteilten Flottenstützvunke ist ein — im Sinne der Haager und Londoner Verhandlungen — „nationaler Hafen". Hier haben wir also einen wichtigen und klaren Zusammenhang des strategischen Gesichtspunktes mit der Stellungnahme der großbritannischen Regierung im Haag und zu London. Zur Umwandlung seiner als Hilfskreuzer bestimmten Handels¬ dampfer im Kriege brauchte England die „hohe See" nicht; es hat ja „nationale 19*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/303>, abgerufen am 28.12.2024.