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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

"Er ist nicht mehr auf meinem Hof. Vor zwei Stunden ist er fortgeritten."

"Nach Borküll?"

Der Freiherr zuckte die Achseln. Da brachte man mit lautem Hallo die
Freigelassenen aus dem Spritzenhaus herbei. Sie bestätigten Wenkendorffs Worte,
denn sie hatten den Baron abreiten hören.

"Also auf nach Borküll!" schrie der rote Reiter. "Wir holen ihn aus den
Federn, den stolzen Offizier. Er soll uns heute noch was vortanzen!"

Damit grüßte er zur Freitreppe hinauf, indem er wieder seinen Zylinder
schwang, lenkte seinen Gaul an die Spitze der Bande und ritt durch die Hinter¬
pforte dem Feldweg zu, als kenne er ihn längst.

Eine rauhe Stimme hatte angefangen, nun fielen sie, abmarschierend im
Chorus alle ein:


"Befreit euch, Arbeitsleute
Gekommen ist die Freiheit heute.. ."

Als sie um die Ecke bogen, stand den schweigenden Zuschauern ein Bild
aus den Bauernkriegen vor Augen. Die gleichen wilden Gestalten, der gleiche
zu jeder Freveltat bereite Mut. Nur daß sie statt Dreschflegel und Heugabel
moderne Hinterlader über den Schultern trugen . . .

Waloemar von Rehren war es, der dem Gedanken aller zuerst Ausdruck
gab: "Die drei reiten ihnen gerade in den Weg!"

"Aber sie tun ihnen nichts!" war Sandbergs Meinung und Cäsar von
Brügge pflichtete ihm lebhaft bei.

Herr von Wenkendorff hatte sich in seinem Zimmer überzeugt, daß die
telephonische Verbindung tatsächlich unterbrochen war.

"Jetzt nach Borküll!" rief er. "Wir dürfen keine Zeit verlieren. Sand¬
berg bleibt mit fünf Herren zurück. Wir anderen müssen die Bande einfach
überholen. Es gibt einen noch näheren Weg, als den Feldweg -- durch den
Bach, Sandberg!"

"Das darf der Herr Baron unter keinen Umständen! Dann lassen Sie
mich lieber mit!" bat der Förster.

"Du suchst Evi und ansteht auf die Leute. Es bleibt nichts anderes
übrig!"

Eois Name ließ Sandberg alle Bedenken vergessen.

Noch müde von dem letzten Ritt wurden jetzt die Pferde wieder aus dem
Stalle gezogen und gesattelt.

Von den Verführungsversuchen und Drohungen der Bande ganz verstört
verrichteten die Knechte in ängstlicher Hast ihre Arbeit. Sandberg aber bestand
darauf, den schweren Rappen selbst zurechtzumachen: "Ich habe ihn gestern
erst geritten, er wird nicht munter!" sagte er und führte den Gaul seinem
Herrn vor.


Sturm

„Er ist nicht mehr auf meinem Hof. Vor zwei Stunden ist er fortgeritten."

„Nach Borküll?"

Der Freiherr zuckte die Achseln. Da brachte man mit lautem Hallo die
Freigelassenen aus dem Spritzenhaus herbei. Sie bestätigten Wenkendorffs Worte,
denn sie hatten den Baron abreiten hören.

„Also auf nach Borküll!" schrie der rote Reiter. „Wir holen ihn aus den
Federn, den stolzen Offizier. Er soll uns heute noch was vortanzen!"

Damit grüßte er zur Freitreppe hinauf, indem er wieder seinen Zylinder
schwang, lenkte seinen Gaul an die Spitze der Bande und ritt durch die Hinter¬
pforte dem Feldweg zu, als kenne er ihn längst.

Eine rauhe Stimme hatte angefangen, nun fielen sie, abmarschierend im
Chorus alle ein:


„Befreit euch, Arbeitsleute
Gekommen ist die Freiheit heute.. ."

Als sie um die Ecke bogen, stand den schweigenden Zuschauern ein Bild
aus den Bauernkriegen vor Augen. Die gleichen wilden Gestalten, der gleiche
zu jeder Freveltat bereite Mut. Nur daß sie statt Dreschflegel und Heugabel
moderne Hinterlader über den Schultern trugen . . .

Waloemar von Rehren war es, der dem Gedanken aller zuerst Ausdruck
gab: „Die drei reiten ihnen gerade in den Weg!"

„Aber sie tun ihnen nichts!" war Sandbergs Meinung und Cäsar von
Brügge pflichtete ihm lebhaft bei.

Herr von Wenkendorff hatte sich in seinem Zimmer überzeugt, daß die
telephonische Verbindung tatsächlich unterbrochen war.

„Jetzt nach Borküll!" rief er. „Wir dürfen keine Zeit verlieren. Sand¬
berg bleibt mit fünf Herren zurück. Wir anderen müssen die Bande einfach
überholen. Es gibt einen noch näheren Weg, als den Feldweg — durch den
Bach, Sandberg!"

„Das darf der Herr Baron unter keinen Umständen! Dann lassen Sie
mich lieber mit!" bat der Förster.

„Du suchst Evi und ansteht auf die Leute. Es bleibt nichts anderes
übrig!"

Eois Name ließ Sandberg alle Bedenken vergessen.

Noch müde von dem letzten Ritt wurden jetzt die Pferde wieder aus dem
Stalle gezogen und gesattelt.

Von den Verführungsversuchen und Drohungen der Bande ganz verstört
verrichteten die Knechte in ängstlicher Hast ihre Arbeit. Sandberg aber bestand
darauf, den schweren Rappen selbst zurechtzumachen: „Ich habe ihn gestern
erst geritten, er wird nicht munter!" sagte er und führte den Gaul seinem
Herrn vor.


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[0286] Sturm „Er ist nicht mehr auf meinem Hof. Vor zwei Stunden ist er fortgeritten." „Nach Borküll?" Der Freiherr zuckte die Achseln. Da brachte man mit lautem Hallo die Freigelassenen aus dem Spritzenhaus herbei. Sie bestätigten Wenkendorffs Worte, denn sie hatten den Baron abreiten hören. „Also auf nach Borküll!" schrie der rote Reiter. „Wir holen ihn aus den Federn, den stolzen Offizier. Er soll uns heute noch was vortanzen!" Damit grüßte er zur Freitreppe hinauf, indem er wieder seinen Zylinder schwang, lenkte seinen Gaul an die Spitze der Bande und ritt durch die Hinter¬ pforte dem Feldweg zu, als kenne er ihn längst. Eine rauhe Stimme hatte angefangen, nun fielen sie, abmarschierend im Chorus alle ein: „Befreit euch, Arbeitsleute Gekommen ist die Freiheit heute.. ." Als sie um die Ecke bogen, stand den schweigenden Zuschauern ein Bild aus den Bauernkriegen vor Augen. Die gleichen wilden Gestalten, der gleiche zu jeder Freveltat bereite Mut. Nur daß sie statt Dreschflegel und Heugabel moderne Hinterlader über den Schultern trugen . . . Waloemar von Rehren war es, der dem Gedanken aller zuerst Ausdruck gab: „Die drei reiten ihnen gerade in den Weg!" „Aber sie tun ihnen nichts!" war Sandbergs Meinung und Cäsar von Brügge pflichtete ihm lebhaft bei. Herr von Wenkendorff hatte sich in seinem Zimmer überzeugt, daß die telephonische Verbindung tatsächlich unterbrochen war. „Jetzt nach Borküll!" rief er. „Wir dürfen keine Zeit verlieren. Sand¬ berg bleibt mit fünf Herren zurück. Wir anderen müssen die Bande einfach überholen. Es gibt einen noch näheren Weg, als den Feldweg — durch den Bach, Sandberg!" „Das darf der Herr Baron unter keinen Umständen! Dann lassen Sie mich lieber mit!" bat der Förster. „Du suchst Evi und ansteht auf die Leute. Es bleibt nichts anderes übrig!" Eois Name ließ Sandberg alle Bedenken vergessen. Noch müde von dem letzten Ritt wurden jetzt die Pferde wieder aus dem Stalle gezogen und gesattelt. Von den Verführungsversuchen und Drohungen der Bande ganz verstört verrichteten die Knechte in ängstlicher Hast ihre Arbeit. Sandberg aber bestand darauf, den schweren Rappen selbst zurechtzumachen: „Ich habe ihn gestern erst geritten, er wird nicht munter!" sagte er und führte den Gaul seinem Herrn vor.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/286>, abgerufen am 28.12.2024.