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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Zentrums-Rolomalpolitik unter Bismarck

bemerkte er, daß die Flottenverstärkung, wie sie der Reichstag in seltener Ein¬
mütigkeit in den Lesungen vom 18. bis 28. März bewilligt hatte, auch ohne
Kolonialpolitik unabweislich gewesen wäre, seitdem der Handel einen ungeahnten
Aufschwung genommen habe*). Hieraus erhellt, daß er den Zusammenhang
der Dampfersubventionsvorlage mit einer vorbedachten Kolonialpolitik ganz ab¬
lehnen wollte . . .

Um zu einer Beurteilung des Wertes der parlamentarischen Kritik an der
Bismarckschen Kolonialpolitik zu gelangen, mag -- nachdem wir im vorigen
Heft auch die Opposition des Freisinns kennen gelernt haben**) -- der Voll¬
ständigkeit halber noch der anderen Fraktionen anhangsweise kurz gedacht werden.

Da sind zuerst vor allem die Nationalliberalen zu nennen, die unter den
Regierungsparteien die Hauptstütze für die neue Politik bildeten. Während die
dieser Fraktion zugehörigen praktisch-interessierten Kaufleute wie Meier und
Woermann den Kolonialhoffnungen skeptischer gegenüberstanden, wenn sie auch
dringenden Regierungsvorlagen nie ihre Zustimmung versagten, sorgte die Partei¬
leitung besonders durch das Verdienst Hammachers für eine kräftige Förderung
der neuen Überseeziele. Die Konservativen verhielten sich, gestärkt durch die
neue Wirtschaftsgesetzgebung, in ihrem extremeren Flügel unter Holstein ab¬
wartend, in ihrem liberaleren unter Helldorf allmählich geneigter. Ein Über¬
wiegen freihändlerischer Ideen mit ihrer Abneigung gegen Kolonien überhaupt
wirkte auch hier noch vielfach mit, doch fehlte den rechtsstehenden Parteien
niemals der gute Wille zur Durchsetzung der kolonialpolitischen Regierungsvor¬
lagen. Dabei sei freilich bemerkt, daß dies nicht selten weniger aus Über¬
zeugung von ihrer Notwendigkeit und Dringlichkeit als vielmehr aus partei¬
taktischem Selbsterhaltungstrieb geschah, der eine Vermehrung der kompakten
"geborenen" Majorität von fünf Achtel Oppositionsmännern***) durch die Un¬
einigkeit der rechtsstehenden Parteien nicht zuließ.

Was endlich die Stellung der Sozialdemokratie anlangt, so genügt ein
allgemeines Wort mit dem Hinweis auf die Ausführungen des holländischen
Sozialisten van Koi bei den Verhandlungen über Militarismus und Kolonial-
politik auf dem Internationalen Sozialistenkongreß in Stuttgart im August 1907.
der den Genossen den Unverstand der deutschen Sozialdemokratie im Unterschied
zur britischen und holländischen in Kolonialfragen vorhieltf). In der Tat bewies
die Sozialdemokratie von allem Anfang an absolut kein Verständnis für die
eminent soziale Bedeutung der Kolonralpolitik, die mit allen ihren Folgen auf
dem Weltmarkte der Hebung der materiellen Lage der arbeitenden Klassen
besonders förderlich ist. Ihre Stellung zur Kolonialpolitik war, wenn man von






") Reden XI 110.
**) Dort ist auf Seite 200, Zeile 4, der ersten Anmerkung, "in der Wahl" statt "in
die Wege" zu lesen.
Nach Bismarcks Berechnung, Reden X 260.
f) Deutsche Kolvnialzeitung 1909, S. 74ö f.
Zentrums-Rolomalpolitik unter Bismarck

bemerkte er, daß die Flottenverstärkung, wie sie der Reichstag in seltener Ein¬
mütigkeit in den Lesungen vom 18. bis 28. März bewilligt hatte, auch ohne
Kolonialpolitik unabweislich gewesen wäre, seitdem der Handel einen ungeahnten
Aufschwung genommen habe*). Hieraus erhellt, daß er den Zusammenhang
der Dampfersubventionsvorlage mit einer vorbedachten Kolonialpolitik ganz ab¬
lehnen wollte . . .

Um zu einer Beurteilung des Wertes der parlamentarischen Kritik an der
Bismarckschen Kolonialpolitik zu gelangen, mag — nachdem wir im vorigen
Heft auch die Opposition des Freisinns kennen gelernt haben**) — der Voll¬
ständigkeit halber noch der anderen Fraktionen anhangsweise kurz gedacht werden.

Da sind zuerst vor allem die Nationalliberalen zu nennen, die unter den
Regierungsparteien die Hauptstütze für die neue Politik bildeten. Während die
dieser Fraktion zugehörigen praktisch-interessierten Kaufleute wie Meier und
Woermann den Kolonialhoffnungen skeptischer gegenüberstanden, wenn sie auch
dringenden Regierungsvorlagen nie ihre Zustimmung versagten, sorgte die Partei¬
leitung besonders durch das Verdienst Hammachers für eine kräftige Förderung
der neuen Überseeziele. Die Konservativen verhielten sich, gestärkt durch die
neue Wirtschaftsgesetzgebung, in ihrem extremeren Flügel unter Holstein ab¬
wartend, in ihrem liberaleren unter Helldorf allmählich geneigter. Ein Über¬
wiegen freihändlerischer Ideen mit ihrer Abneigung gegen Kolonien überhaupt
wirkte auch hier noch vielfach mit, doch fehlte den rechtsstehenden Parteien
niemals der gute Wille zur Durchsetzung der kolonialpolitischen Regierungsvor¬
lagen. Dabei sei freilich bemerkt, daß dies nicht selten weniger aus Über¬
zeugung von ihrer Notwendigkeit und Dringlichkeit als vielmehr aus partei¬
taktischem Selbsterhaltungstrieb geschah, der eine Vermehrung der kompakten
„geborenen" Majorität von fünf Achtel Oppositionsmännern***) durch die Un¬
einigkeit der rechtsstehenden Parteien nicht zuließ.

Was endlich die Stellung der Sozialdemokratie anlangt, so genügt ein
allgemeines Wort mit dem Hinweis auf die Ausführungen des holländischen
Sozialisten van Koi bei den Verhandlungen über Militarismus und Kolonial-
politik auf dem Internationalen Sozialistenkongreß in Stuttgart im August 1907.
der den Genossen den Unverstand der deutschen Sozialdemokratie im Unterschied
zur britischen und holländischen in Kolonialfragen vorhieltf). In der Tat bewies
die Sozialdemokratie von allem Anfang an absolut kein Verständnis für die
eminent soziale Bedeutung der Kolonralpolitik, die mit allen ihren Folgen auf
dem Weltmarkte der Hebung der materiellen Lage der arbeitenden Klassen
besonders förderlich ist. Ihre Stellung zur Kolonialpolitik war, wenn man von






") Reden XI 110.
**) Dort ist auf Seite 200, Zeile 4, der ersten Anmerkung, „in der Wahl" statt „in
die Wege" zu lesen.
Nach Bismarcks Berechnung, Reden X 260.
f) Deutsche Kolvnialzeitung 1909, S. 74ö f.
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[0279] Zentrums-Rolomalpolitik unter Bismarck bemerkte er, daß die Flottenverstärkung, wie sie der Reichstag in seltener Ein¬ mütigkeit in den Lesungen vom 18. bis 28. März bewilligt hatte, auch ohne Kolonialpolitik unabweislich gewesen wäre, seitdem der Handel einen ungeahnten Aufschwung genommen habe*). Hieraus erhellt, daß er den Zusammenhang der Dampfersubventionsvorlage mit einer vorbedachten Kolonialpolitik ganz ab¬ lehnen wollte . . . Um zu einer Beurteilung des Wertes der parlamentarischen Kritik an der Bismarckschen Kolonialpolitik zu gelangen, mag — nachdem wir im vorigen Heft auch die Opposition des Freisinns kennen gelernt haben**) — der Voll¬ ständigkeit halber noch der anderen Fraktionen anhangsweise kurz gedacht werden. Da sind zuerst vor allem die Nationalliberalen zu nennen, die unter den Regierungsparteien die Hauptstütze für die neue Politik bildeten. Während die dieser Fraktion zugehörigen praktisch-interessierten Kaufleute wie Meier und Woermann den Kolonialhoffnungen skeptischer gegenüberstanden, wenn sie auch dringenden Regierungsvorlagen nie ihre Zustimmung versagten, sorgte die Partei¬ leitung besonders durch das Verdienst Hammachers für eine kräftige Förderung der neuen Überseeziele. Die Konservativen verhielten sich, gestärkt durch die neue Wirtschaftsgesetzgebung, in ihrem extremeren Flügel unter Holstein ab¬ wartend, in ihrem liberaleren unter Helldorf allmählich geneigter. Ein Über¬ wiegen freihändlerischer Ideen mit ihrer Abneigung gegen Kolonien überhaupt wirkte auch hier noch vielfach mit, doch fehlte den rechtsstehenden Parteien niemals der gute Wille zur Durchsetzung der kolonialpolitischen Regierungsvor¬ lagen. Dabei sei freilich bemerkt, daß dies nicht selten weniger aus Über¬ zeugung von ihrer Notwendigkeit und Dringlichkeit als vielmehr aus partei¬ taktischem Selbsterhaltungstrieb geschah, der eine Vermehrung der kompakten „geborenen" Majorität von fünf Achtel Oppositionsmännern***) durch die Un¬ einigkeit der rechtsstehenden Parteien nicht zuließ. Was endlich die Stellung der Sozialdemokratie anlangt, so genügt ein allgemeines Wort mit dem Hinweis auf die Ausführungen des holländischen Sozialisten van Koi bei den Verhandlungen über Militarismus und Kolonial- politik auf dem Internationalen Sozialistenkongreß in Stuttgart im August 1907. der den Genossen den Unverstand der deutschen Sozialdemokratie im Unterschied zur britischen und holländischen in Kolonialfragen vorhieltf). In der Tat bewies die Sozialdemokratie von allem Anfang an absolut kein Verständnis für die eminent soziale Bedeutung der Kolonralpolitik, die mit allen ihren Folgen auf dem Weltmarkte der Hebung der materiellen Lage der arbeitenden Klassen besonders förderlich ist. Ihre Stellung zur Kolonialpolitik war, wenn man von ") Reden XI 110. **) Dort ist auf Seite 200, Zeile 4, der ersten Anmerkung, „in der Wahl" statt „in die Wege" zu lesen. Nach Bismarcks Berechnung, Reden X 260. f) Deutsche Kolvnialzeitung 1909, S. 74ö f.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/279>, abgerufen am 28.12.2024.