Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.Sturm Aber war es nicht schließlich das beste, daß sich ihre Wünsche nicht ver¬ Elastisch wie sie war, sah Edles die Schwester in der Zukunft schon mit "Mag sie sich ausweinen!" dachte sie beruhigt. "Sie wird nicht daran Cäsar von Brügge versuchte den schlechten Eindruck, den er, wie er fühlte, "Wie die wilden Tiere lagen wir hinter dem Drahtzauu, jeden Augenblick "Und die Granate?" fragte Evi. Sturm Aber war es nicht schließlich das beste, daß sich ihre Wünsche nicht ver¬ Elastisch wie sie war, sah Edles die Schwester in der Zukunft schon mit „Mag sie sich ausweinen!" dachte sie beruhigt. „Sie wird nicht daran Cäsar von Brügge versuchte den schlechten Eindruck, den er, wie er fühlte, „Wie die wilden Tiere lagen wir hinter dem Drahtzauu, jeden Augenblick „Und die Granate?" fragte Evi. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0236" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326406"/> <fw type="header" place="top"> Sturm</fw><lb/> <p xml:id="ID_1125"> Aber war es nicht schließlich das beste, daß sich ihre Wünsche nicht ver¬<lb/> wirklichten? Neben dein herrischen und aufbegehrenden Charakter Wolfs Joachims<lb/> würde Edda niemals die Rolle spielen können, zu der ihre gütige, stets sich<lb/> gleichbleibende Art berufen war.</p><lb/> <p xml:id="ID_1126"> Elastisch wie sie war, sah Edles die Schwester in der Zukunft schon mit<lb/> einem Mann verheiratet, der besser zu ihr paßte. Sie war Weib genug, um<lb/> zu fühlen, wie mancher der jungen Leute, die heute auf Sternbnrg zu Gaste<lb/> waren, die Möglichkeit erwog, in einer der drei hübschen und begüterten Schwestern<lb/> seine zukünftige Frau zu finden. Und dieses Bewußtsein hatte ihr Lebensgefühl<lb/> gesteigert. Wenn sie auch selber von all den galanten Aufmerksamkeiten unberührt<lb/> blieb, so freute sie sich doch daran, und es bereitete ihr Vergnügen, sich über<lb/> ihre Sympathie und Antipathie Rechenschaft zu geben. Dabei war sie zu dem<lb/> Schluß gekommen, daß Hans von Burkhard eigentlich der angenehmste von den<lb/> Junkern war. Die Ruhe und Gründlichkeit seiner Lebensauffassung erinnerte<lb/> sie an Paul vou der Borke, nur daß dieser frei war von der lehrhaften und<lb/> ein wenig trockenen Art des jungen Nationalökonomen. Paul war differenzierter.<lb/> Sie zog ihn deshalb entschieden vor und sah in diesem Vergleich die Nichtigkeit<lb/> ihrer eigenen Wahl bestätigt. Aber sie fand, daß Hans von Burkhard eine<lb/> ausgezeichnete Ergänzung zu Ebbas schlichtem Charakter bildete.</p><lb/> <p xml:id="ID_1127"> „Mag sie sich ausweinen!" dachte sie beruhigt. „Sie wird nicht daran<lb/> zerbrechen und doch noch das Glück finden, das sie verdientI"</p><lb/> <p xml:id="ID_1128"> Cäsar von Brügge versuchte den schlechten Eindruck, den er, wie er fühlte,<lb/> vorhin auf Edles gemacht hatte, auszuwetzen. Er erzählte von seiner Ver¬<lb/> wundung in Port Arthur und staffierte die höchst einfache Geschichte mit allerlei<lb/> romantischem Beiwerk aus:</p><lb/> <p xml:id="ID_1129"> „Wie die wilden Tiere lagen wir hinter dem Drahtzauu, jeden Augenblick<lb/> bereit, aus unserem Käfig auszubrechen. Die Japaner kletterten mit einer fabel¬<lb/> haften Gewandtheit gegen uns an. Man konnte deutlich Zug um Zug ihrer<lb/> starren fratzenhaften Maskengesichter unterscheiden. Dreißig Fuß schräg unter<lb/> uns auf dem Festungsdamm hemmte ein Verhau aus Stacheldraht ihren An¬<lb/> stieg. Da knatterten unsere Maschinengewehre los, und die kleinen Kerls klebten<lb/> in den Maschen, wie Moskitos in: Netz. Aber trotzdem gab es kein Aufhalten<lb/> für sie. Ameisengleich wimmelten sie heran. Zehn neue für einen Gefallenen<lb/> zerschnitten den Draht, kletterten darüber weg, strauchelten, sprangen auf und<lb/> tanzten schließlich unmittelbar vor unseren Gewehrläufen. Ich sehe die Kanaille<lb/> noch vor mir: das Maul breit gezerrt wie zu einem Lachen, daß man die gelben<lb/> Pferdezähne zählen konnte, schwang er seine Handgranate. Ich lege an —<lb/> ziele — drücke los. Im Sturz noch schleudert er sein Geschoß. Ich sehe, daß<lb/> er sich nach hinten überschlägt und wie ein Akrobat, den Kopf auf der Erde,<lb/> seinen Körper steif aufrichtet und dann wie ein Federmesser zusammenknickt. Der<lb/> Sturm war abgeschlagen . .</p><lb/> <p xml:id="ID_1130"> „Und die Granate?" fragte Evi.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0236]
Sturm
Aber war es nicht schließlich das beste, daß sich ihre Wünsche nicht ver¬
wirklichten? Neben dein herrischen und aufbegehrenden Charakter Wolfs Joachims
würde Edda niemals die Rolle spielen können, zu der ihre gütige, stets sich
gleichbleibende Art berufen war.
Elastisch wie sie war, sah Edles die Schwester in der Zukunft schon mit
einem Mann verheiratet, der besser zu ihr paßte. Sie war Weib genug, um
zu fühlen, wie mancher der jungen Leute, die heute auf Sternbnrg zu Gaste
waren, die Möglichkeit erwog, in einer der drei hübschen und begüterten Schwestern
seine zukünftige Frau zu finden. Und dieses Bewußtsein hatte ihr Lebensgefühl
gesteigert. Wenn sie auch selber von all den galanten Aufmerksamkeiten unberührt
blieb, so freute sie sich doch daran, und es bereitete ihr Vergnügen, sich über
ihre Sympathie und Antipathie Rechenschaft zu geben. Dabei war sie zu dem
Schluß gekommen, daß Hans von Burkhard eigentlich der angenehmste von den
Junkern war. Die Ruhe und Gründlichkeit seiner Lebensauffassung erinnerte
sie an Paul vou der Borke, nur daß dieser frei war von der lehrhaften und
ein wenig trockenen Art des jungen Nationalökonomen. Paul war differenzierter.
Sie zog ihn deshalb entschieden vor und sah in diesem Vergleich die Nichtigkeit
ihrer eigenen Wahl bestätigt. Aber sie fand, daß Hans von Burkhard eine
ausgezeichnete Ergänzung zu Ebbas schlichtem Charakter bildete.
„Mag sie sich ausweinen!" dachte sie beruhigt. „Sie wird nicht daran
zerbrechen und doch noch das Glück finden, das sie verdientI"
Cäsar von Brügge versuchte den schlechten Eindruck, den er, wie er fühlte,
vorhin auf Edles gemacht hatte, auszuwetzen. Er erzählte von seiner Ver¬
wundung in Port Arthur und staffierte die höchst einfache Geschichte mit allerlei
romantischem Beiwerk aus:
„Wie die wilden Tiere lagen wir hinter dem Drahtzauu, jeden Augenblick
bereit, aus unserem Käfig auszubrechen. Die Japaner kletterten mit einer fabel¬
haften Gewandtheit gegen uns an. Man konnte deutlich Zug um Zug ihrer
starren fratzenhaften Maskengesichter unterscheiden. Dreißig Fuß schräg unter
uns auf dem Festungsdamm hemmte ein Verhau aus Stacheldraht ihren An¬
stieg. Da knatterten unsere Maschinengewehre los, und die kleinen Kerls klebten
in den Maschen, wie Moskitos in: Netz. Aber trotzdem gab es kein Aufhalten
für sie. Ameisengleich wimmelten sie heran. Zehn neue für einen Gefallenen
zerschnitten den Draht, kletterten darüber weg, strauchelten, sprangen auf und
tanzten schließlich unmittelbar vor unseren Gewehrläufen. Ich sehe die Kanaille
noch vor mir: das Maul breit gezerrt wie zu einem Lachen, daß man die gelben
Pferdezähne zählen konnte, schwang er seine Handgranate. Ich lege an —
ziele — drücke los. Im Sturz noch schleudert er sein Geschoß. Ich sehe, daß
er sich nach hinten überschlägt und wie ein Akrobat, den Kopf auf der Erde,
seinen Körper steif aufrichtet und dann wie ein Federmesser zusammenknickt. Der
Sturm war abgeschlagen . .
„Und die Granate?" fragte Evi.
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